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Yann Tiersen in München Komponist, Multi-Instrumentalist und Naturbursche

Ein Notenheft liegt immer neben meinem Klavier zu Hause: "Yann Tiersen – Piano Works". Auch wenn ich die meisten Stücke mittlerweile auswendig spiele, schaue ich immer mal wieder hinein und entdecke neue minimalistische Klangwelten. Die erkundet Yann Tiersen auch auf seinem neuen Album "All". Von "Amélie" ist hier nicht mehr viel zu spüren. Aber Yann Tiersen weiß seine Hits beim Konzert in der Münchner Philharmonie geschickt mit Neuem zu verbinden.

Der Komponist Yann Tiersen | Bildquelle: picture alliance/KEYSTONE

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Yann Tiersen im Münchner Gasteig

Lange ist es her, dass ich "Die fabelhafte Welt der Amélie" als Teenager zum ersten Mal sah und sie mich verzauberte. Die Musik vom Filmkomponisten Yann Tiersen schwirrt mir aber noch heute durch den Kopf und lässt mich in Gedanken durch Montmartre schlendern. Typisch dabei für Tiersen: Das Akkordeon, das in der Münchner Philharmonie auch neben dem Klavier bereitsteht. Tiersen schnallt es sich an diesem Konzertabend aber nur ein einziges Mal um und spielt gleichzeitig am Schiffer- und am echten Klavier.

Yann Tiersen im Gasteig | Bildquelle: Gino Thanner Bildquelle: Gino Thanner "Amélie" hat der französische Komponist ein Stück weit hinter sich gelassen. Auch wenn auf seinem neuen Album "All" vertraute Sounds wie Glockenspiel und Cembalo wiederkehren. Yann Tiersen beweist mit diesem neuen Programm einmal wieder, dass er ein unfassbar guter Multi-Instrumentalist ist: Locker und auf leisen Sohlen schleicht er auf der Bühne der Philharmonie von melancholischen Klavierparts zu den schillernden Röhrenglocken, um gleich darauf seine Virtuosität auf der Violine zu demonstrieren.

Die Flucht vor dem Puma

Yann Tiersen ist ein Naturbursche. Nicht umsonst lebt er schon seit einiger Zeit abgeschieden vom Rest der Welt auf der Insel Ouessant vor der Küste der Bretagne. Eine alte Dorfdisko baute er dort in ein Studio um. Hier hat Tiersen sein neues Album "All" aufgenommen, eine Liebeserklärung an die Natur. Die hat er dafür auch mit dem Mikrofon eingefangen.

Grund dafür war ein lebensbedrohlicher Zwischenfall für Tiersen und seine Ehefrau Emilie in einem Nationalpark in Kalifornien vor ein paar Jahren: Bei einer Fahrradtour wird das Musiker-Paar von einem Puma überrascht - ihnen gelingt die Flucht. Doch dieses Erlebnis lässt Tiersen nicht locker. Fortan sieht er die Natur um sich herum mit anderen Augen. 2018 reist er schließlich zurück an die Stelle in den Redwoods Kaliforniens, spielt Melodien auf der Geige im Freien ein und nimmt sogenannte Field Recordings auf.

Ein Trend, den viele junge Musikerinnen und Musiker mittlerweile nutzen: Naturgeräusche sollen die Grundlage für die eigene Musik schaffen. Das praktiziert der Franzose aber nicht nur in Nordamerika, sondern auch rund um den stillgelegten Berliner Flughafen Tempelhof, den die Natur nach und nach für sich zurückerobert. Und diese Natureindrücke verwandeln den Konzertsaal in München in ein stimmungsvolles Open-Air-Konzert.

Duopartner Alex

Yann Tiersen im Gasteig | Bildquelle: Gino Thanner Yann Tiersen mit Tonbandgerät Alex auf der Bühne | Bildquelle: Gino Thanner Mit auf der Bühne in der Philharmonie im Gasteig ist nicht nur eine dreiköpfige Band, sondern auch ein Tonbandgerät. Alex ist sein Name, erklärt Tiersen dem Publikum. Alex habe lange in einem Schweizer Radio gearbeitet und nur schlechte Musik spielen müssen. Also hat der Komponist ihn gefragt, ob er nicht Naturgeräusche bei seinen Konzerten abspielen will. Und das tut Alex: Vogelrufe und Windrauschen legen eine Grundatmosphäre für das Klavierspiel Tiersens und die bretonischen Songtexte, sodass ich mich auf die französische Insel Ouessant träume. Tiersen wendet sich währenddessen seinem technischen Partner fast schon kammermusikalisch zu und lässt Alex für mich lebendig werden.

Au revoir Amélie

Geschickt webt Yann Tiersen auch einige wenige "Amélie"-Klassiker in sein Programm mit ein. Nur ein Stück spielt er an diesem Abend in der Originalfassung mit Melodica und Klavier. Das bekannteste Stück "Comptine d'un autre été" erklingt in einer Cembalo-Version und leitet direkt zum nächsten Stück über. Dem Publikum bleibt gar keine Zeit dem Komponisten zu antworten. Es scheint fast so, als hätte Tiersen genug von seinen alten Klassikern.

Andere Stücke interpretiert er an diesem Abend neu mit Ehefrau Emilie singend an Gong und Trommel und zwei weiteren Bandkollegen an diversen Instrumenten und Synthesizern. Yann Tiersen wird also elektronischer und experimenteller, nimmt sein Publikum dennoch weiterhin mit in eine fabelhafte Welt, wenn auch nicht unbedingt in die von Amélie.

Sendung: "Allegro" am 23. September 2019 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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