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Der Pianist Pierre-Laurent Aimard "Dieser Preis ist eine riesige Ermutigung"

Pierre-Laurent Aimard ist der Empfänger des Ernst von Siemens Musikkpreises 2017. Am 2. Juni findet die Preisverleihung statt. Im Interview mit BR-KLASSIK verrät Aimard, was der Preis für ihn bedeutet und warum er sich ohne tägliches Lernen nicht ausgefüllt fühlt.

Pierre Laurent Aimard Pianist | Bildquelle: picture alliance / Manu Theobald/Ernst von Siemens Musikstiftung/dpa

Bildquelle: picture alliance / Manu Theobald/Ernst von Siemens Musikstiftung/dpa

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Sie bekommen den Ernst von Siemens Musikpreis. Was bedeutet Ihnen eine solche Auszeichnung?

Pierre-Laurent Aimard: Das hätte ich mir nie vorstellen können - an keinem Moment in meinem Leben. Als György Ligeti den Preis verliehen bekam, habe ich bei der Preisverleihung für ihn gespielt. Ich glaubte immer, dieser Preis sei nur für Schöpfer konzipiert worden. Ich nehme an, die Jurymitglieder haben sich entschieden, einen Interpreten auszuwählen, der sich in seinem Leben viel für zeitgenössische Komponisten eingesetzt hat, weil sie den Einsatz für moderne Musik wichtig finden.

BR-KLASSIK: Der Preis ist mit 250.000 Euro ziemlich hoch dotiert: Haben Sie das Geld schon verplant?

Pierre-Laurent Aimard: (lacht) Ich habe keine dringenden Projekte im Kopf. Wenn der richtige Moment kommt, dann werde ich das Geld schon entsprechend ausgeben.

Ein Dank alle Schöpfer, die in unsere Welt eine Vision bringen.
Pierre-Laurent Aimard

Pierre-Laurent Aimard | Bildquelle: Astrid Ackermann Pierre-Laurent Aimard | Bildquelle: Astrid Ackermann BR-KLASSIK: Kein Preis ohne Dankeschön. An wen werden Sie Ihre Dankesworte richten?

Pierre-Laurent Aimard: Erst einmal an alle, die diese Institution geträumt und realisiert haben. Diejenigen, die mich für den Preis ausgewählt haben. Aber auch an alle Schöpfer, die in unsere Welt eine Vision bringen und uns künstlerisch leiten.

BR-KLASSIK: Was bedeuten Visionen für Sie? Sind es Dinge, die unseren Alltag zeitlos werden lassen?

Pierre-Laurent Aimard: Sie ermöglichen, uns in die richtige Richtung zu bewegen. Dazu benötigt es ein Projekt sowie Engagement, Ordnung und Disziplin.

BR-KLASSIK: Und Fantasie, oder?

Pierre-Laurent Aimard: Klar. Aber wichtig ist vor allem die Fantasie des Schöpfers. Unsere eigene Fantasie, also die der Interpreten, dient dazu, diese zu realisieren. Wir Musiker würden unsere Fantasie wohl nicht ohne Bezug auf das zu interpretierende Werk benutzen.

Wir brauchen Mut für die richtigen Entscheidungen.
Pierre-Laurent Aimard

BR-KLASSIK: Stachelt Sie ein solcher Preis denn dazu an, ein neues Projekt in Angriff zu nehmen?

Pierre-Laurent Aimard: Dieser Preis ist eine fantastische Ermutigung, um weiterzumachen. Und das ist heutzutage gar nicht so leicht - in einer Welt, die sich so schnell und manchmal auch, wenn wir an die Politik denken, so schlecht bewegt. Das heißt, wir müssen die richtigen künstlerischen Entscheidungen treffen, wenn wir eine Zukunft mit Kunst, Sensibilität und Intelligenz vorbereiten wollen. Und dafür brauchen wir Mut. Daher sind Ermutigungen sehr willkommen. Und dieser Preis ist eine riesige Ermutigung.

BR-KLASSIK: Schwer begeistert hat mich Ihr Projekt "Explore the Score". Das ist eine Website, für die man einen sehr guten Internetzugang braucht, denn auf ihr läuft manches parallel: Man liest die Noten mit, ein blauer Balken bewegt sich über diese Noten und man beobachtet Ihre Hände beim Spiel. Das ist auch für einen Klavier-Laien eine totale Bereicherung, weil sich plötzlich aus der Musik - sie ist von Ligeti - eine Architektur ergibt, als ob eine neue Dimension zu der Musik erschaffen würde. Was war der Grund, so etwas ins Netz zu stellen?

György Ligeti | Bildquelle: picture-alliance/dpa György Ligeti | Bildquelle: picture-alliance/dpa Pierre-Laurent Aimard: Ich wollte alles, was ich mit der Musik von Ligeti erlebt habe, mit meinen Kollegen und allen Musikliebhabern teilen. Ich glaube, wenn man das Privileg hat, regelmäßig mit einem großen Schöpfer zusammenzuarbeiten und von ihm viele neue Werke geschenkt zu bekommen, dann muss man das an die nächste Generation wiedergeben. Und diese Website war der beste Weg dafür. Da meine Freunde vom Klavierfestival Ruhr schon fantastische Websites gemacht hatten, dachte ich mir, dass wir das zusammen machen sollten.

Es macht Freude, Entdeckungen weiterzugeben.
Pierre-Laurent Aimard

BR-KLASSIK: Und woran liegt jetzt das Geheimnis dieser Faszination, die sich einstellt, wenn man die Noten mitliest?

Pierre-Laurent Aimard: Wer Werke studiert, lebt täglich mit ihnen. Und ich habe mich gefragt: Wie kann ich diese Werke Leuten näherbringen, die an ihre spezifische Sprache nicht gewöhnt sind, sie gar als Fremdsprache empfinden? Wir als Interpreten haben die Schlüssel dazu. Und es macht Freude, all diese Entdeckungen, die wir machen, weiterzugeben.

BR-KLASSIK: Sie haben einmal gesagt: Der Lehrende muss immer auch der Lernende sein oder bleiben. Was lernen Sie gerade, Herr Aimard?

Pierre-Laurent Aimard: Momentan lerne ich Stücke von Bach, Schubert, Bartók und Nicolaou. Ich liebe es immer, Musik zu lernen. Diese Arbeit ist mir eine Freude und ernährt mich auch mental. Ich fühle mich einfach nicht ausbalanciert, wenn ich nicht lernen kann. Das gilt für die Musik wie auch allgemein für das Leben: Mein kleiner Sohn ist jetzt zwei Jahre und neun Monate alt. Sein Benehmen, seine Ausdrücke, soziale Spiele oder Manipulationen sind immer überraschend, und ich lerne davon jeden Tag aufs Neue.

Das Interview wurde von der Redaktion an die Schriftsprache angepasst. Die Fragen stellte Sylvia Schreiber für BR-KLASSIK.

Sendung: "Leporello" am 02. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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