BR-KLASSIK

Zu Modest Mussorgskys Lebzeiten erregte sein Klavierzyklus "Bilder einer Ausstellung" kein großes Interesse, weder beim Publikum noch bei Kollegen. Selbst Rimsky-Korsakow berichtet in seiner Chronik nicht darüber. Vollkommen unvorstellbar also aus damaliger Sicht, dass gerade dieses Werk im Lauf der Jahre unzählige Musiker der unterschiedlichsten Genres zu Bearbeitungen angeregt hat wie zum Beispiel die Rockband Emerson, Lake and Palmer, oder den Japaner Isao Tomita, der eine Umsetzung für Synthesizer schrieb.

Wer war Victor Hartmann?

Heute kennen wir die Gemälde, die Mussorgsky in seinem bekanntesten Werk in Tongemälde übersetzt hat, nur in ihrer musikalischen Fassung. Der Maler Viktor Hartmann ist bei uns weitgehend unbekannt.

Bevor Hartmann als Architekt in Russland Erfolg hatte, machte er sich als Buchillustrator einen Namen, entwarf Kostüme und Bühnenbilder für das Ballett. Mit Modest Mussorgsky, den er durch "Die Gruppe der Fünf" um Mili Blakirew kannte, verband ihn eine besonders enge Freundschaft. Die beiden sollen sich endlos über die Ausdruckskraft der russischen Kunst und über russische Architektur unterhalten haben. Als Hartmann 1873 völlig unerwartet im Alter von 39 Jahren starb, schrieb Mussorgsky tief betroffen einen Nachruf in den "Petersburger Nachrichten".

Musik als Andenken

Zur Gedenkausstellung, die im Folgejahr mit etwa 400 Werken Hartmanns stattfinden sollte, wollte auch Mussorgsky einen Beitrag leisten. Inspiriert von den Gemälden, machte er sich sofort an die Komposition eines Klavierzyklus. Darin nimmt er seine Hörer mit auf einen Rundgang durch die Galerie und beschreibt einzelne Bilder. Die wiederkehrenden Zwischenspiele, vier kleine "Promenaden", stehen für den Weg von Bild zu Bild und spiegeln die wechselnden Eindrücke des Betrachters wider.

Mit Ravel zum Erfolg

Erst 50 Jahre später schafften es die musikalischen Bilder in den Konzertsaal. Im Jahr 1922 orchestrierte Maurice Ravel den Klavierzyklus im Auftrag des russischen Dirigenten Serge Koussevitzky. Ravels Begeisterung für den Zyklus und seine Meisterschaft in der Behandlung der Klangfarben des Orchesters machten die "Bilder einer Ausstellung" endlich weltberühmt.

Inspiration für Generationen

Wassily Kandinsky - Bilder einer Ausstellung: Ausschnitt Bild II Gnomus | Bildquelle: picture alliance/akg-images Zahlreiche Orchesterbearbeitungen folgten, zum Beispiel von Giuseppe Becce, Nicolai Rimsky-Korsakow, Leopold Stockowski und Vladimir Ashkenazy.

Eine Bearbeitung in gänzlich neuer Gestalt erlebte das Werk Anfang der 70er Jahre durch die britische Rockband Emerson, Lake and Palmer. Mit ihrer unkonventionellen Interpretation, der "Pictures at an Exhibition" landeten sie einen riesigen Erfolg und schrieben damit einen Klassiker in der Geschichte der Rockmusik. Unter ihrem Frontmann Keith Emerson gelang der Band eine völlige Neuinterpretation, die über die Classic-Rock-Versuche anderer Bands hinausging. Sie bereiteten Mussorgskys Musik neu auf und mischten sie mit ihrem eigenen Stil, mit wildem Keyboardspiel, lyrischem Gesang und Synthesizer.

Nur ein paar Jahre später im Jahr 1975 führte eine andere Bearbeitung die Klassik-Bestsellerliste in den USA an und wurde auch auf den Jazz- und Popmusik Listen geführt: die Version für Synthesizer von Isao Tomita. Darin finden sich die frühen Versuche, den Klang eines Symphonieorchesters elektronisch darzustellen.

Zwei neuere Bearbeitungen stammen vom Efim Jourist Ensemble, das in seiner Version der "Bilder einer Ausstellung" eine Mischung aus Gypsy-Jazz, Tango-Leidenschaft und Polka-Rhythmen vereint, und von der Stern Combo Meißen, eine der ältesten bestehenden Rockbands Deutschlands, die im Jahr 2015 zusammen mit dem Leipziger Sinfonieorchester und dem Landesjugendorchester Sachsen unter Stephan König eine "Rockversion nach Modest Mussorgsky" aufführte.