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Bayreuther Festspiele

24. Juli - 28. August 2023

Bayreuther Festspiele - Interview zum Ring Marek Janowski: "Ich bin schwach geworden"

Nachdem im vergangenen Jahr Kirill Petrenkos Leistung als Dirigent des "Rings" in Bayreuth einhellig gefeiert wurde, hat in diesem Jahr Marek Janowski die Herrschaft im berühmten Graben übernommen - und damit eine umstrittene Inszenierung des Regisseurs Frank Castorf. Der erzählt die Geschichte um Liebe, Macht und Besitz als Parabel auf den Kampf ums Erdöl. Ein Interview über letzte Chancen, sängerfeindliches Regietheater und Musik als Bewegungskunst.

Dirigent Marek Janowski | Bildquelle: © Felix Broede

Bildquelle: © Felix Broede

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BR-KLASSIK: Herr Janowski, Sie haben sich in den 90er Jahren von den Bühnen zurückgezogen. Sie haben zwar weiterhin Opern dirigiert, aber nur konzertant. Was hat Sie jetzt nach Bayreuth gelockt?

Marek Janowski: Anfang der 90er Jahre gab es für mich ein Schlüsselerlebnis in der Münchner Staatsoper mit einer schrecklich inszenierten "Ariadne auf Naxos". Damals habe ich den Entschluss gefasst, dass ich mit dem sich in eine bestimmte Richtung entwickelnden, speziell deutschen Musik-Regie-Theater-Gedöns, wenn ich das mal so sagen darf, nichts mehr zu tun haben will. Ich habe das über eine sehr lange Zeit eisern durchgehalten.

Wenn du jetzt wieder sagst, dass du es nicht machst, kommen sie garantiert nie mehr wieder.

Dann haben wir zwischen 2010 und 2013 in Berlin mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester den Entschluss gefasst, alle gängigen Wagner-Opern konzertant aufzuführen, um den Inszenierungen des Wagnerschen Werkes, die es in den drei Berliner Opernhäusern gab, eine rein musikalische, konzertante Version entgegen zu stellen. In diesen Jahren wurde mein Bedauern über meinen Rückzug aus dem Orchestergraben größer. Als dann die Festspielleitung vor zweieinhalb Jahren mit dem Angebot kam, da habe ich noch mal schwer mit mir gekämpft und habe mir gesagt: "Jetzt bist du also, wenn du das übernimmst, 77 Jahre alt. Wenn du jetzt wieder sagst, dass du es nicht machst, kommen sie garantiert nie mehr wieder. Und dann fehlt dir vielleicht doch dieses akustische Erlebnis mit diesem sehr speziellen Graben." So bin ich eben schwach geworden. Und ich habe es nicht bereut.

BR-KLASSIK: Jetzt haben Sie ausgerechnet eine Produktion übernommen, in der das Regietheater besonders viele Kapriolen schlägt, nämlich den "Ring" von Frank Castorf - Stichwort "Berliner Trash". Diese Inszenierung müsste Ihnen doch eigentlich erst recht ein Dorn im Auge sein.

Marek Janowski: Ja, war es auch. Ich war zuvor nie in Bayreuth und in diesem Festspielhaus. Im letzten Jahr habe ich mir eine Reihe von Proben angesehen. Ich saß im Graben, um mich mit den sehr speziellen Balanceverhältnissen und mit diesem sehr schrägen Blickwinkel nach unten ein bisschen vertraut zu machen. Ich habe mir aber natürlich auch einige dieser Proben im Saal angeschaut. 

Ich gehe in die Direktion, ich sage alles ab!

Szenenbild "Rheingold" Bayreuther Festspiele 2016 | Bildquelle: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Szenenbild aus dem Castorf-Ring | Bildquelle: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Ich war auf die Gesamtkonzeption von Castorf vorbereitet, auf diesen "Berliner Trash", wie Sie sagen. Aber als ich mir die Generalprobe zu Rheingold angesehen hatte, bin ich aufgesprungen und habe gesagt: "Ich gehe in die Direktion, ich sage alles ab!" Daraufhin hat man lange auf mich eingeredet: "Nun kommen Sie erst mal wieder runter und beruhigen Sie sich mal", was ich dann auch getan habe. Ich möchte diese Inszenierung keineswegs generalverdammen. Der gedankliche Ansatz, der dahinter steckt, trägt vieles in sich, was man nachvollziehen kann.

Der Ring beschreibt eine Auseinandersetzung zwischen Liebe und Macht, zwischen Geld und menschlichen Beziehungen. Er zeigt auch in einem gewissen, durchaus Wagnerschen Sinne die scheinbare Macht der Götter über das Menschengeschlecht und den schlechten Einfluss von einer Art Unterwelt, die sich Nibelheim nennt. Das kann man durchaus konzeptionell so fassen, dass eine Oberwelt kaputt geht wie eine Diktatur. Das ist gar nicht falsch. Was mich generell an diesen modernisierenden Inszenierungen stört, steckt in dem schlimmen Wort Musiktheater. Es geht doch um Oper! Ein Sänger kann theatralisch nicht so agieren wie ein Schauspieler. Der Sänger wird aber sehr oft dazu gezwungen. Und das geht auf Kosten dessen, was wesentlich ist: dass er gut singt!

Es geht doch um Oper! Ein Sänger kann theatralisch nicht so agieren wie ein Schauspieler.

Frank Castorf, Ring-Regisseur 2013 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Frank Castorf, Regisseur der aktuellen "Ring"-Produktion der Bayreuther Festspiele | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ich habe letztes Jahr mit Castorf ein langes Gespräch darüber geführt. Ich schätze ihn als Gesprächspartner sehr, er ist ein charmanter und offener Mensch. Was seine Inszenierung für mich schwierig macht, ist, dass er den Sänger in seiner Aktion wie einen Schauspieler vom Theatralischen her denkt. Das heißt, dass er ihn oft in unmögliche Positionen bringt. Das gefährdet massiv die bei Wagner sowieso schon gefährdete Balance zwischen menschlicher Stimme und Orchester. Und das stört den Sichtkontakt zum Dirigenten. Ich habe mir dann irgendwann gesagt, außer der Tatsache, dass ich die Sänger optisch einfangen muss, ist mir die Inszenierung egal. Ich versuche, dem meine Art von Klarheit und orchestralem Drive entgegenzuhalten und die Sänger nicht zuzudecken. Und nach den Reaktionen zu urteilen, scheint es funktioniert zu haben.

BR-KLASSIK: Sie haben nur musikpraktische Einwände gegenüber dieser Art von Regietheater, nicht konzeptionelle? Sie sind also kein Verfechter einer sogenannten Werktreue…?

Marek Janowski: …wo die Sänger dann immer nur an der Rampe stehen. Nein, nein. Natürlich müssen wir bestimmte Dinge anders inszenieren als vor 50 oder 100 Jahren. Denken Sie an Wagners Ausspruch: "Kinder, schafft Neues!" Ich war Korrepetitor an der Kölner Oper, als Wieland Wagner einen Ring inszeniert hat. Ich kann mich erinnern, dass er zu den Sängern gesagt hat: "Also wenn mein Großvater noch leben würde, der hätte Hollywood ganz sicher benutzt, um seine Ideen über die Rampe zu bringen." Das war nie mein Problem. Mir geht es um die Vokalpraktikabilität. Dazu gehört auch, dass der Sänger nicht gerade dann, wenn er eine technisch schwierige Phrase zu bewältigen hat, zehn Sekunden vorher über die Bühne gerast ist, sodass er noch vollkommen atemlos ist.

Diese Art Regietheater ist ja aus der DDR gekommen. Das sind Nach-68er-Entwicklungen. Und dann ist ein nicht genau genug nachdenkendes deutsches Feuilleton auf den Zug aufgesprungen. Und die Dramaturgen der Opernhäuser haben das noch ein bisschen pseudo-intellektuell unterfüttert. Dabei wurde immer stärker negiert, dass Singen etwas anderes ist als Sprechen, dass es eine andere körperliche Disposition braucht - von seelischer Disposition gar nicht zu reden. Das ist mein Problem damit. Und davon wird mich nach diesem Bayreuther Ausflug auch in der Zukunft nichts abbringen. Aber wenn irgendwo ein Angebot für eine gut besetzte konzertante Aufführung einer Oper käme, würde ich immer sofort zugreifen. Was die gute Opernmusik an Dramatik in sich trägt, fehlt mir schon gewaltig.

BR-KLASSIK: Hier in Bayreuth wird ja über die Aufführungsdauern der einzelnen Akte genau Buch geführt. Ich glaube, ein neuer Rekord ist bei Ihnen nicht dabei. Aber Sie liegen als einer der Schnellsten schon recht gut im Rennen. Man weiß ja auch, dass Wagner schnelle Tempi mochte, dass er hier an seinem Regie-Tischchen saß und sagte: „Nu macht doch vorwärts! Elende Bummelei!“ War für Sie diese historische Information ausschlaggebend? Oder verlassen Sie sich auf Ihr eigenes Empfinden?

Marek Janowski: Zunächst darf man nicht vergessen, dass der Dirigent bei der Oper nicht der alleinige Diktator ist. Sie sollten, soweit es sich irgendwie mit Ihrer Vorstellung vereinbaren lässt, schon auf die individuell unterschiedlichen Möglichkeiten eines Sängers achten. Dazu kommt, dass Sie an die zeitliche Dauer mancher Bühnenaktionen gebunden sind. Also mit der Minuten-Erbsenzählerei muss man sehr vorsichtig sein. Das andere ist eine grundsätzliche Überlegung.

Musik ist eine Bewegungskunst.

Der Dirigent Marek Janowski | Bildquelle: picture-alliance/dpa Dirigent Marek Janowski | Bildquelle: picture-alliance/dpa Für mich muss jede gute Musik, sobald sie eine Motorik in sich hat, eine Richtung haben. Wenn Sie sich auf bestimmten Tönen oder in einer generellen Langsamkeit verlieren, bleibt die Musik stehen. Musik ist eine Bewegungskunst. Das ist für mich die alleroberste Leitlinie. Und natürlich ist die Oper, die ja Aktion zeigt, ganz besonders auf eine innere Richtung in der Musik angewiesen. Das ist für mich ein kleines berufliches Glaubensbekenntnis.

BR-KLASSIK: Sie haben die akustischen Schwierigkeiten im Festspielhaus erwähnt. Dazu kommt, dass der Dirigent sehr schlecht hört. Da braucht man jemanden, der einem Feedback gibt, ob das im Saal so funktioniert, wie man sich das vorstellt. Haben Sie dazu Rückmeldungen vom Bayreuther Musikdirektor Christian Thielemann bekommen?

Marek Janowski: Ja, einmal. Ich habe ihn sogar darum gebeten. Ich hatte vor dieser besonderen Akustik ein bisschen Angst, das muss ich ehrlich sagen. Deshalb hatte ich die Direktion schon vor einem Jahr gebeten, mir eine zusätzliche Grabenprobe zu geben. Dabei wollte ich mich nur schlagtechnisch an diese besonderen Bedingungen gewöhnen. Und da habe ich den Herrn Thielemann gebeten, doch auch mit in den Saal zu kommen. Da gibt es so ein Telefon, über das man Rückmeldung aus dem Saal bekommt. Dort sitzt dann nicht nur der Thielemann, sondern auch die musikalischen Assistenten. Und dann kann es vorkommen, dass Sie irgendeine Stelle im Graben ganz toll von den Hörnern hören. Und dann heißt es am Telefon: "Wir hören die Hörner gar nicht!" Das war unglaublich hilfreich. Wenn die Sänger in diesem Castorfschen Bühnenbild zur Seite singen, dann sehe ich als Dirigent nur die Mundbewegung. Unten im Graben höre ich nichts. Da muss man sich überwinden, dass man seinem visuellen Eindruck vertraut, wo die Sänger gerade mit ihrem Text sind, um das dann mit dem Orchester zu koordinieren. Das ist nicht ganz ohne, das kann ich Ihnen sagen.

Kommentare (3)

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Mittwoch, 10.August, 11:11 Uhr

Chris K

Janowski dirigiert Castorf Ring

So sehr ich Janowskis Sicht auf das moderne Regietheater und Castorfs Ring im Speziellen teile, war ich doch sehr enttäuscht über meinen diesjährigen Bayreuth-Besuch. Schade, dass die Musik und die (z.T. schreckliche) Inszenierung komplett losgelöst voneinander nebeneinander standen, worunter die Sänger am meisten zu leiden hatten. Dies führte zu verpassten Einsätzen oder komplett fehlenden Zeilen, was eben auch der Einstellung Janowskis geschuldet ist, den Kontakt mit der Bühne (verständlicherweise) auf ein Minimum zu reduzieren. Doch auch für sich genommen, blieb die Musik bei weitem hinter meinen Erwartungen zurück. In dieser Kombination kann ich Bayreuth für niemanden empfehlen, sodass es mein erster und vermutlich vorerst auch letzter Bayreuth-Besuch bleiben wird. Stattdessen wünschte ich mir eine konzertante Aufführung in Bayreuth, in der nicht nur die Sänger, sondern vor allem auch Janowski wieder glänzen kann.

Mittwoch, 10.August, 09:03 Uhr

S. Ritter

Gesang als Überhöhung der Sprache

Das, was mit einfacher Sprache nicht mehr gesagt werden kann, dort, wo Sprache nicht mehr ausreicht, da bedarf es des Gesangs. Das haben viele Regisseure nicht verinnerlicht. Ich bin selbst Musiker und kann Janowski nur zustimmen. Er fühlt und dirigiert mit den Sängern, Musik ist Bewegung - genauso ist es! Hoffentlich stirbt diese Meinung mit den alten Dirigenten nicht aus.

Samstag, 06.August, 09:53 Uhr

Mimi Urschler

Ring

Sehr lesenswert!!

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