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Bayreuther Festspiele

24. Juli - 28. August 2023

"Siegfried" in Bayreuth Affäre mit dem Lockvogel

Szenenbilder Siegfried, Bayreuther Festspiele 2016 | Bildquelle: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Bildquelle: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Erst in den symphonischen Dimensionen des dritten Aufzugs fand das Bayreuther Festspielorchester wieder ganz zu sich – vorher war die "Siegfried"-Wiederaufnahme von einigen Wacklern, Unschärfen und Unsauberkeiten getrübt. Nun ist der "Siegfried" stilistisch ja auch ein extrem disparates Stück, dessen Kompositionsprozess Wagner mit Unterbrechungen über Jahre hin beschäftigt hat. Und der Dirigent Kirill Petrenko hat ein waches Gespür für die vorimpressionistischen Feinheiten des "Waldwebens" ebenso wie für die schmiedeeisernen Kraftmeiereien der Siegfried-Sphäre.

Petrenko dirigiert hochdifferenziert

Hochdifferenziert lotet Petrenko die komplexe Partitur in ihrem avantgardistischen Klangfarbenreichtum aus. Als eine der stärksten Sängerpersönlichkeiten dieses "Rings" erweist sich erneut der dämonische Alberich des Albert Dohmen, dem Wotan der letzten Bayreuther "Ring"-Produktion unter Christian Thielemann. Ebenbürtig ist Dohmen der gleichfalls neubesetzte Andreas Conrad, der als markanter Mime auch Mut zu hässlichen Tönen zeigt. Demgegenüber bleibt Wolfgang Koch auch im "Siegfried" trotz kraftvoller Baritonpräsenz als Wotan problematisch – mangels Bassfundament.

Stefan Vinke als neuer Siegfried

Gerade damit kann der junge Münchner Andreas Hörl als Fafner punkten, ein Neuzugang in diesem "Ring"-Zyklus wie der mit Spannung erwartete neue Siegfried. Stefan Vinke ist ein sympathischer Naturbursche von etwas ungehobeltem Timbre, dafür mit enormen Kraftreserven. Vinke scheut sich nicht, an seine vokalen Grenzen zu gehen – und hat doch im Lyrischen seine besten Momente.

Slapstic-Nummer mit Quickie

"Siegfried" 2013 bei den Bayreuther Festspielen | Bildquelle: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Frank Castorf entführt das Publikum in seiner Inszenierung zum Berliner Alexanderplatz. | Bildquelle: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath In seinem Prozess der Selbstfindung wird Siegfried auf das Waldvögelein aufmerksam, aus dem Frank Castorf einen großgefiederten Lockvogel macht – mit diesem verführerischen Geschöpf hat Siegfried ganz gegen Wagners Intentionen seine erste Affäre. Zur Slapstic-Nummer mit anschließendem Quickie verkommt bei Castorf dann die finale Begegnung zwischen Wotan und Erda. Sie findet unter der Weltzeituhr auf dem Ostberliner Alexanderplatz der Vorwendezeit statt, den Aleksandar Denić diesmal auf seine eindrucksvolle Drehbühne gewuchtet hat. Auf der Rückseite der pervertierte Mount Rushmore mit den Köpfen der kommunistischen Chefideologen und Massenmörder Marx, Lenin, Stalin und Mao.

Krokodile auf dem Alexanderplatz

Offenbar hat sich Castorf hier auf Kosten von Wagner an seiner Hassliebe auf die eigene DDR-Sozialisation abgearbeitet. Das muss man ihm vorwerfen – wie die ganzen Ungereimtheiten dieser an surrealen Bildern, assoziativen Einfällen und ironischen Brechungen reichen Inszenierung. Die Heldin des Abends, die strahlkräftige Catherine Foster als Brünnhilde, ließ sich jedenfalls im Schlussduett mit Siegfried Stefan Vinke auch nicht von den zuschnappenden Krokodilen auf dem Alexanderplatz irritieren, die das Publikum erheiterten – und empörten.

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