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Bregenzer Festspiele

Spiel auf dem See

Interview – Philipp Stölzl inszeniert in Bregenz "Ich habe ein großes Herz für die Unterhaltungskultur"

Verdis Oper "Rigoletto“ zählt mit Ohrwürmern wie "La donna è mobile" zu den populärsten Opern des Repertoires. Nichtsdestoweniger wird sie 2019 auf den Bregenzer Festspielen erstmals in der 74-jährigen Geschichte dieses Festivals inszeniert. Genau das Richtige für Philipp Stölzl, der keine Sekunde gezögert hat, die Regie zu übernehmen.

Philipp Stölzl | Bildquelle: Andreas J. Hirsch

Bildquelle: Andreas J. Hirsch

BR-KLASSIK: Haben Sie schon lange davon geträumt, einmal auf der Bregenzer Seebühne zu inszenieren?

Philipp Stölzl: Davon träume ich schon seit 30 Jahren, das kann ich ohne Übertreibung sagen! Schon in meiner Zeit als Bühnenbildassistent in München sah ich alle zwei Jahre in der Zeitung die Fotos der szenischen Riesenbauten in Bregenz und habe immer gehofft, eines Tages in diesem "Elefantenfach" arbeiten zu dürfen. Als nun drei Jahrzehnte später tatsächlich das Angebot zum "Rigoletto" kam, habe ich mich natürlich irrsinnig gefreut.

BR-KLASSIK: Erinnern Sie sich, was Ihnen durch den Kopf ging, als die Anfrage von Festspielintendantin Elisabeth Sobotka kam? Hatten Sie keine Angst vor den monumentalen Anforderungen der Seebühne?

Philipp Stölzl: Ich habe tatsächlich keinen Augenblick gezögert. Vielleicht liegt das daran, dass ich im Unterschied zu vielen Opernleuten ein großes Herz für die Unterhaltungskultur habe, und Bregenz ist ja auch ein Riesenspektakel. Und ich finde es wahnsinnig schön, dass die Oper in Bregenz zu Leuten kommt, die der Gattung gegenüber eine gewisse Schwellenangst haben und gar nicht auf die Idee kämen, in ein großes, konventionelles Opernhaus zu gehen. Vor der Seebühne sitzen jeden Abend 7.000 Leute, das ist eine ganz spezielle Atmosphäre mit einer unglaublichen Energie, wie man es sonst nur von Stadionkonzerten kennt. Hier kommt der unglaublich tolle Klang dazu und – wenn man Glück hat – ein wunderbarer Sonnenuntergang über dem See. Es ist ein Gesamterlebnis für alle Sinne irgendwo zwischen Musiktheater, Zirkus, Popkonzert, Urlaubsreise. Dass man Oper in solch einem Kontext erleben kann, finde ich großartig!

BR-KLASSIK: Filmleute brauchen ja immer eine gute Story und da dürfte Ihnen Verdis "Rigoletto" sehr entgegenkommen: ein Opernreißer um einen zwanghaften Verführer, eine gelangweilte Hofgesellschaft und einen zynischen Hofnarren, der seine Tochter Gilda vielleicht gerade durch seine übergroße Liebe ins Verderben stürzt.

Der italienische Komponist Giuseppe Verdi | Bildquelle: picture alliance/Leemage Komponist Giuseppe Verdi | Bildquelle: picture alliance/Leemage Philipp Stölzl: "Rigoletto" ist nicht ohne Grund eines der beliebtesten Stücke im Repertoire. Es ist eine Oper, die alles bietet, was man auf der Musikbühne gerne sehen möchte: hochdramatische Konflikte, Liebe und Tod. Das Besondere daran ist das Fehlen einer eigentlich klassischen Heldenfigur. Die Protagonisten Rigoletto, der Herzog und der Mörder Sparafucile sind alle gebrochene, vielschichtige Figuren, die sowohl gute als auch sehr schlechte Seiten haben. So gesehen ist es ein sehr modernes Stück, bei dem sich jeder selbst sein Bild machen muss, statt den guten Helden und den Bösewicht vorgesetzt zu bekommen. Und es ist unglaublich aktuell, denn es handelt im Kern von männlichem Machtmissbrauch und sexueller Ausbeutung. Es ist ein Stück, das auf sehr direkte und schlüssige Art die MeToo-Debatte der letzten Jahre heraufbeschwört. Das muss man gar nicht visuell bedienen – es erzählt sich auch, wenn man die Geschichte in ihrem grotesken, zirkushaften Gewand belässt.

BR-KLASSIK: Sie bleiben ja als Regisseur gern nah an Ihren Figuren und ihrem historischen Umfeld. Was erzählen Sie uns konkret, 168 Jahre nach der Uraufführung des "Rigoletto", heute auf der Bregenzer Seebühne?

Philipp Stölzl: Beim Erarbeiten des Konzepts ist es mir immer wichtig, eine narrative Schlüssigkeit zu finden, die uns die Figuren verstehen lässt. Und manchmal ist für dieses Verständnis auch die Welt um die Figur herum nötig. Rigoletto erklärt sich auch ohne historischen Kontext, das ist fast wie bei einem Shakespeare-Stück: Ob er im Anzug oder im historischen Gewand auftritt, das ändert fast gar nichts am Stück. Außerdem ist mir bei der Frage der szenischen Umsetzung eigentlich immer die Musik am wichtigsten. Ich versuche zu hören, was mir die Musik erzählt, was sie für Bögen hat und was sie in meinem Kopf für Welten kreiert. Und da bemerkt man den Riesenunterschied zwischen einem fast filmisch denkenden Puccini, einem Wagner mit seiner fast maßlosen Wucht oder eben einem Verdi, der eine sehr frontale Musik schreibt. Kritiker haben ja oft von Zirkusmusik gesprochen und das natürlich abwertend gemeint. Ich würde sagen, das sind ganz tolle Hits, das hat unglaublich viel Druck, es ist sehr "rampig", es geht immer ganz stark auf Ohrwurmmelodien – Verdi wollte, dass die Leute auf der Straße seine Melodien pfeifen. Daraus ergibt sich eine Musikdynamik, die nicht unbedingt differenziert "Philipp Stölzlychologisch" ist. Es ist sehr theatralisch, sehr direkt, sehr szenisch gedacht. Und die einzelnen Szenen fangen nie bei Null an, um sich dann aufzubauen; Verdi steigt immer schon auf einer gewissen Höhe ein und kommt ganz schnell zum Affekt oder zum Konflikthöhepunkt und das macht das Stück so besonders.

Auf der Seebühne funktioniert ein klassisch Philipp Stölzlychologisches Spiel- und Theaterkonzept einfach nicht.
Philipp Stölzl

BR-KLASSIK: Sie sind ja in Bregenz nicht nur für die Regie verantwortlich, sondern auch für das Bühnenbild. Haben Sie das auch aus der Musik entwickelt, oder waren da die Vorgaben der für die Oper ungewöhnlichen, riesigen Dimensionen bestimmender?

Die Bregenzer Festspiele haben am Mittwoch, 3. April 2019, das Richtfest des "Rigoletto"-Bühnenbildes gefeiert. Dominiert wird die Bühne für Giuseppe Verdis Oper, die 2019 zum ersten Mal überhaupt auf der Seebühne gespielt wird, von einem knapp 14 Meter hohen Kopf und zwei ebenso überdimensionalen Händen. | Bildquelle: picture alliance/APA/picturedesk.com/Dietmar Stiplovsek Rigoletto-Bühnenbild, Bregenzer Festspiele | Bildquelle: picture alliance/APA/picturedesk.com/Dietmar Stiplovsek Philipp Stölzl: In Bregenz sitzt das Publikum teilweise sehr weit weg von der Bühne entfernt. Das heißt, ein klassisch "Philipp Stölzlychologisches" Spiel- und Theaterkonzept funktioniert da einfach nicht. Ich habe auch in groß dimensionierten Opernhäusern gearbeitet wie etwa der Bayerischen Staatsoper; aber dort spürt man selbst im dritten Rang noch etwas von den Gefühlen der Sänger. Das ist in Bregenz sehr begrenzt der Fall, für den Großteil des Publikums muss man andere Ausdrucksweisen entwickeln. Man braucht eine andere Körperlichkeit, eine Bühnenlösung mit großer Dynamik. Die narrativen Szenen und Konflikte müssen immer ins Monumentale gespiegelt oder vergrößert werden. Und man muss genau überlegen, wie man das visuell gestaltet: Eine Möglichkeit sind graphische Projektionen oder Großprojektionen, wie man sie von Openair-Konzerten kennt. Das ist allerdings ein unglaublich tückisches Mittel, weil es sich oft zu sehr in den Vordergrund drängt und sich der Zuschauer wie vor dem Fernseher fühlt. Mich als Filmer interessiert Video weniger, weil das ohnehin mein tägliches Geschäft ist. Insofern haben wir eine ganz andere Lösung gesucht.

Ich wollte für die Bregenzer Bühne etwas Neues wagen.
Philipp Stölzl

BR-KLASSIK: Das zentrale Bühnenelement ist ein Kopf und mit einer Höhe von fast 14 Metern. Allein die Augäpfel sollen einen Durchmesser von 2,7 Metern haben. Was hat Sie auf diese Idee gebracht?

Philipp Stölzl: Die Bregenzer Bühnenlösungen sind im Allgemeinen bisher immer sehr skulptural gewesen. Es wurde eine Skulptur oder Landschaft aufgebaut, die viel weniger beweglich war, als man es vom klassischen Theater kennt, wo sich Bühnenbilder drehen oder wechseln oder öffnen usw. Natürlich ist das angesichts der Dimensionen und der geforderten Wetterfestigkeit auch sehr viel schwerer umzusetzen. Ich wollte etwas Neues wagen: Ein metamorphotisches Bühnenbild, das sich sehr stark verändert über den ganzen Abend. Eher eine große, dynamische Maschine als eine Skulptur, fast so etwas wie eine Marionette. Nun gibt es zwei bewegliche Hände, einen Puppenkopf, der hoch- und 'runterfährt, Augen und Lippen bewegen kann und den Riesenballon, in dem sich Menschen aufhalten werden. Das ist ein ganz schönes Mobile im Sinne des Stückes, eine sehr bewegliche Angelegenheit und das ist natürlich in dieser Dimension eine unglaubliche Herausforderung – technisch, statisch, sicherheitsmäßig. Es ist der Versuch, diesen Ort nochmal neu zu denken, ein ziemlich gewagter neuer Blick auf diese Monumentale.

BR-KLASSIK: Auch für die Sänger ist Bregenz eine besondere Herausforderung: Sie dürfen keine Höhenangst haben, müssen schwimmen können und selbstverständlich bei Wind und Wetter singen. Sie waren beim Casting dabei, was war das für eine Erfahrung?

Philipp Stölzl: Die Bregenzer Festspiele sind sehr erfahren darin, die richtigen Leute für die Seebühne auszusuchen. Das ist ein spezieller Schlag Sänger, die darauf auch richtig Lust haben. Die sind hart im Nehmen, denn es muss schon wie aus Kübeln schütten, damit die Aufführung wirklich abgebrochen wird. Bei mittelstarkem Nieselregen wird einfach weitergesungen, die Zuschauer haben alle ihre Regencapes und Outdoorsachen dabei. Die Herausforderungen für die Darsteller in Bezug auf Höhe und Artistik sind bei uns immens, es ist wirklich nochmal ein anderes Level als in den Jahren vorher. Mir war wichtig, dass jeder weiß, worauf er sich einlässt, denn die eigentliche Probenzeit ist relativ kurz und dicht gestaffelt für eine technisch so komplexe Angelegenheit. Die Bregenzer Festspiele haben ein sehr enges Zeitfenster, dafür wird rund um die Uhr gearbeitet. Da gibt's kein Wochenende, keinen freien Tag, man probt in drei Schichten und nachts wird noch geleuchtet. Das ist ein sehr intensiver Ritt, diese fünf oder sechs Wochen, die man da verbringt. Aber ich freue mich irrsinnig darauf!

Sendung: KlassikPlus am 30. Mai 2019 ab 19:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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