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Jazzfestivals

Sommer 2019

Das Bayerische Jazzweekend Regensburg 2019 Eine ganze Stadt voll Jazz

Zum 38. Mal fand an dem Wochenende vom 18. bis 21. Juli das Bayerische Jazzweekend statt: Auf vielen Plätzen spielten Bands – und Regensburg war voll von entdeckungsfreudigen Musikfans. BR-KLASSIK nahm zehn Konzerte auf.

Regensburg beim Jazzweekend 2019 | Bildquelle: Roland Spiegel

Bildquelle: Roland Spiegel

Eine schönere Abendstimmung kann man sich fast nicht vorstellen – zumindest mitten in der Stadt und begleitet von Musik. Im voll besetzten Hof des Regensburger Thon-Dittmer-Palais spielte das "Trio Satori" der britischen Saxophonistin Josephine Davies eine Musik mit weiten Melodiebögen, die an das denken ließ, was man hier erlebte: einen herrlichen Sommerabend mit lauem Lüftchen und fast wolkenlos-blauem Himmel. Diese von der internationalen Presse – nicht zuletzt vom berühmten amerikanischen "Down Beat"-Magazin – hoch gelobte Musikerin war eine der vielen Entdeckungen, die das Publikum beim Jazzweekend 2019 machen konnte. Davies hat auf dem Tenorsaxophon einen ungemein kraftvollen und klar umrissenen Ton, mit dem sie Melodien zu ausdrucksstarken Skulpturen macht. Äußerst aufregend spann sie Motive immer weiter fort und ließ ihre Linien auch rechtzeitig immer mal explosiv ausbrechen. Stücke wie "In the Corners of Clouds" hatten nicht nur poetische Titel, sondern auch hohen melodischen Reiz. Die Musikerin und ihre beiden Begleiter Roland Fidezius (Kontrabass) und Marton Juhasz (Schlagzeug) verabschiedeten sich mit Billy Strayhorns Standard "Isfahan" von einem begeistert applaudierenden Publikum.

21 Jurysitzungen

90 Konzerte mit 87 Bands standen diesmal auf dem Programm dieses Musikwochenendes, das sich als städtisches Fest und nicht als Festival versteht. Spielorte waren neben dem Thon-Dittmer-Hof unter anderem der gleich nebenan gelegene Haidplatz, der Bismarckplatz (beim Theater), der Kohlenmarkt und die Kreativprojekt-Kneipe Degginger. Mehr als ein Drittel der Bands waren diesmal neu beim Jazzweekend, insgesamt beworben hatten sich 466 Gruppen, von denen dann rund ein Fünftel von einer Jury unter Vorsitz des Bayerischen Jazzinstituts Regensburg in sage und schreibe 21 Jurysitzungen ausgewählt wurde. Alle Musiker, egal ob Profi oder Amateur, bekommen für ihren Auftritt die gleiche Gage: 100 Euro. Viele Musiker freuen sich darüber, dass nach kostenlosen Konzerten das Publikum offenbar bereitwilliger als sonst Geld für CDs ausgibt.

Zwei Tenorsaxophonisten auf dem Mars

Thon-Dittmer-Hof in Regensburg beim Konzert der britischen Saxophonistin Josephine Davies | Bildquelle: Roland Spiegel Thon-Dittmer-Hof in Regensburg beim Konzert der britischen Saxophonistin Josephine Davies | Bildquelle: Roland Spiegel Im Thon-Dittmer-Hof, der wie ein geschlossener Raum unter freiem Himmel wirkt und mehr für ein gezielt zuhörendes Publikum als für ein Wanderpublikum da ist, gab es gleich mehrere Bands, bei denen einem schon mal der Atem stockte. Und zwar, weil sie so hervorragend spielten. Etwa das Quartett "Perplexities on Mars" – sehr passend am 50. Jahrestag der Mondlandung –, in dem sich zwei Tenorsaxophonisten (Christopher Kunz und Max Hirth) energiegeladene Battles lieferten, also kreative Jazz-Wettkämpfe, die hohe Tradition haben – hier aber so modern und berstend intensiv klangen wie nur selten sonst. Oder das "Quantum Trio" aus zwei Polen und einem Chilenen, die sich in Rotterdam fanden: Michael Jan Ciesielski am Saxophon, Kamil Zawislak an den Tasteninstrumenten, und Luis Mora Matus am Schlagzeug. Dieses Trio ließ eine Musik mit extrem hart geschlagenen Beats und fast manisch wiederkehrenden melodischen Motiven auf das Publikum niederbrettern, die auch beim Zuhören eine körperliche Höchstanstrengung war – aber eine, die sich lohnte. Ein rauschhaftes Hör-Erlebnis – wenn man einen Stilbegriff suchen würde, dann vielleicht Heavy-Metal-Trance-Jazz. Zu mehreren Zugaben wurden sie am Ende wieder herbeigeklatscht – und spielten dann fast schon lyrische Kantilenen. Doch die nächste musikalische Handkante lauerte auch da. Ein Ruhepunkt neben solchen Energie-Exzessen des Jazz: das "Magdalena Trio" des lateinamerikanischen Bassisten Joan Chávez, das eine hohe Intensität mit vielen lyrischen Anteilen schuf – und gleich am Anfang ein schönes ästhetisches Statement mit dem einst von Mercedes Sosa gesungenen Klassiker "Alfonsina y el mar" über die Tragik der Dichterin Alfonsina Storni setzte.

Poetische Sounds vom "EWI"

Viele Momente mit Erinnerungswert gab es an den drei Tagen im Thon-Dittmer-Hof. Etwa von dem österreichischen Trio "First Gig Never Happened" mit den schon stark profilierten jungen MusikerInnen Lisa Hofmaninger (Sopransaxophon und Bassklarinette), Judith Schwarz (Schlagzeug) und Alexander Fitzthum (Keyboards) die Stücke von Thelonious Monk und Charles Mingus reizvollen Abstraktionsprozessen unterzogen. Oder dem Quartett "Fourscore" um den in New York lebenden, aus Ostbayern stammenden Saxophonisten Tobias Meinhart, der außer Tenorsaxophon diesmal auch ein neues "Spielzeug" mitbrachte, und zwar ein EWI ("Electric Wind Instrument"), das im Jazz eigentlich schon fast ein altes Spielzeug ist – und dessen weiche Flüstertöne Meinhart nicht zuletzt für eine spannende Solo-Einleitung mit kleinen Mehrstimmigkeits-Kniffen nutzte.

Big-Band-Brillanz und Überraschungs-Besuch aus den USA

Der Saxophonist Steve Carrington | Bildquelle: Roland Spiegel Überraschungsgast: der Saxophonist Steve Carrington | Bildquelle: Roland Spiegel Schon am ersten Abend fesselte die Big Band des in Graz lebenden Brasilianers Emiliano Sampaio, eines Gitarristen und Komponisten, der zu den besonders kreativen jungen Musikern der in Europa aktiven Szene gehört. Er nennt die Big Band "Mega Mereneu Project". Für die – ihn selbst mitgezählt – 17 Musiker schrieb er Kompositionen voller Klangwitz. Big-Band-Tradition mit lustvollen Bläsersalven trifft da auf ein ganz zeitgemäßes Spiel mit schillernden Farb- und Tempowechseln. Die Solisten machen durchweg Eindruck – und bei der Zugabe, der einzigen Samba im Programm, löst sich das Orchester wie einst bei Joseph Haydn auf: Freie Zeit muss her. In einer Band mit dem eher langweiligen Namen "4 Seasons" – der musikalisch dann äußerst spannend konterkariert wurde – tauchten danach einige Musiker aus dem Mega Mereneu Project wieder auf und spielten bewusst schroff-kantige, virtuose Stücke mit Trompete, Posaune, Bass und Schlagzeug. Bis auf John Coltranes Klassiker "Giant Steps" waren alles Eigenkompositionen. "Giant Steps" spielten sie dafür zweimal. Denn ganz am Ende tauchte ein Musiker auf, der ganz zufällig in der Stadt war, am Abend darauf trat er nämlich mit der Funk-Band "Kool & The Gang" bei den Schlossfestspielen in Regensburg auf: der Saxophonist Steve Carrington. Er war einen Tag früher da, entdeckte, dass es überall in der Stadt Jazzkonzerte gab – und stieg dann, vermittelt von Jazzweekend-Intendantin Sylke Merbold, bei "4 Seasons" für eine Zugabe ein – bei "Giant Steps", wo er ein wirbelndes Solo von besonderer Klangpracht spielte. Solche Überraschungen gab es hier auch.

Das Bayerische Jazzweekend Regensburg im BR

BR-KLASSIK, Jazztime (23:05 Uhr bis 24:00 Uhr; danach eine Woche online nachhörbar)

20. September 2019: Jazz auf Reisen
Konzertmitschnitt vom 38. Bayerischen Jazzweekend Regensburg.
Moderation und Auswahl: Roland Spiegel

18. Oktober 2019: Jazz auf Reisen
Konzertmitschnitt vom 38. Bayerischen Jazzweekend Regensburg.
Moderation und Auswahl: Roland Spiegel

25. Oktober 2019: Das Jazzkonzert
Live-Mitschnitt vom 38. Bayerischen Jazzweekend Regensburg
Moderation und Auswahl: Roland Spiegel

Auf Bayern 2:
11. August 2019, 00.05 Uhr bis 02:00 Uhr: radioJazznacht
Highlights vom 38. Bayerischen Jazzweekend Regensburg
Moderation und Auswahl: Ssirus W. Pakzad

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