BR-KLASSIK

Inhalt

Der deutsche Jazzmusiker Alexander von Schlippenbach ist 80 Der noble Pionier

Er ist ein Mann der ersten Stunden. Das Globe Unity Orchestra? Nicht ohne ihn. Der deutsche Free Jazz? Nur vollständig mit seinen Tasten. Alexander von Schlippenbach, ein großer Klang-Weiterdenker, feierte am 7. April seinen 80. Geburtstag.

Alexander von Schlippenbach | Bildquelle: Schorle

Bildquelle: Schorle

Wenn man sagt, dass dieser Musiker zu den deutschen Free-Jazz-Größen der ersten Generation zählt, dann stellt sich manch einer, der Schlippenbach noch nie gehört oder gesehen hat, einen wilden Burschen vor. Einen Revoluzzer - am besten noch mit Mähne und Rübezahl-Bart. Aber bei Schlippenbach ist alles ein bisschen anders. Er ist der Denker, der Systematiker unter den Free-Jazzern.

Wie ein sympathischer Hollywood-Held

Und er sieht aus wie ein sympathischer Hollywood-Held seiner Generation, mit eindringlichem Blick aus einem scharfgeschnittenen Gesicht und mit schwungvoll nach hinten gekämmtem Haar, das auf Fotos aus allen Phasen seiner Karriere viel Sinn für Stil verrät. Wenn Alexander von Schlippenbach über seine Musik spricht, dann klingt das sachlich, analytisch und fast distanziert. Zum Beispiel auf die Frage, ob die scharfkantige Musik gerade seiner frühen Jahre, für ihn auch Protestmusik gewesen sei:

"In der Zeit, in der diese Proteste entstanden und wo diese ganzen neuen Kunstrichtungen auch anfingen, Ende der Fünfziger bereits, also Fluxus, Happening und auch der Free Jazz, hat sich das bei mir eher aus der Beschäftigung mit der Musik entwickelt und den Einflüssen, die ich hatte - von den, vielleicht, amerikanischen Vorbildern: Ornette Coleman, Cecil Taylor, Coltrane, Monk. Das war eher der Ansatz. Es war bei mir nicht so sehr Protest."

Der Sohn nennt sich DJ Illvibe

Das Ehepaar Aki Takase und Alexander von Schlippenbach | Bildquelle: © Rinderspacher Bildquelle: © Rinderspacher Mehr als fünf Jahrzehnte Musikgeschichte hat von Schlippenbach mitgeschrieben. Er nennt sich übrigens der Kürze halber meist Alex von Schlippenbach. Er ist in Berlin geboren, lebt dort in einer Altbauwohnung im Stadtteil Moabit zusammen mit seiner Frau, der Pianistin Aki Takase, mit der er auch zusammen immer wieder Konzerte gibt. Er ist Abkömmling eines alten westfälischen Adelsgeschlechts, zu dem etwa im 19. Jahrhundert der baltische Dichter Albert von Schlippenbach gehörte. Im 20. und 21. Jahrhundert stechen die Namen zweier Musiker hervor: Alex von Schlippenbach und Vincent von Schlippenbach, das ist der 1980 geborene Sohn, der auch unter dem Namen DJ Illvibe bekannt ist.

Gstanzln und "Globe Unity"

Seine Jugend verbrachte er in Bayern - als Flüchtling von 1945 an, zunächst in Törwang bei Rosenheim, später in Bayerisch Gmain im Berchtesgadener Land. Musik gab es damals wenig in seinem Alltag, aber ein erstes großes musikalisches Erlebnis seiner Kindheit sei ein Konzert des bayerischen Volkssängers Roider Jackl gewesen. Das habe ihn tief beeindruckt. Immerhin lautet ein berühmtes Gstanzl des Roider Jackl: "Ich sing am liebsten aloa, da kann i sog’n, wos i moa‘, denn wenn ma‘ mit der Masse mitsingt, da woaß ma‘ nie, ob des stimmt." Und das passt gut zum musikalischen Lebenswerk von Alexander von Schlippenbach. Der spielte zwar nicht bevorzugt allein, sondern mindestens genauso gern in Gruppen, aber auf keinen Fall mit der Masse. Die Musik des Pianisten war immer eine Nicht-Mainstream-Musik, die zugleich ein gesellschaftliches Statement abgab.

Freiräume für Improvisationen

1966 entstand unter seiner Leitung das Globe Unity Orchestra aus einer Auftragskomposition für die damaligen Berliner Jazztage. Zwei Ensembles, das Peter-Brötzmann-Trio und das Manfred-Schoof-Quintett, wurden dabei zusammengefügt - und sie spielten ein Stück, das Alexander von Schlippenbach komponiert hatte. Es gab dazu auch eine Partitur - mit Freiräumen für Improvisationen. Das Stück hieß "Globe Unity". Dieser Titel stammte nicht von Anreger Joachim Ernst Berendt, damals künstlerischer Leiter der Berliner Jazztage, sondern von Alex von Schlippenbach selbst.

Er sagt: "Das hing damals auch mit Visionen zusammen, von der 'Weltzusammengehörigkeit' und solchen Dingen." Die erste Version des Globe Unity Orchestra setzte sich aus Musikern aus der Bundesrepublik, aus Holland, Belgien und England zusammen und machte eine Musik, die ganz unterschiedliche Reaktionen hervorrief. In der Presse rangierten sie von "Männerulk in der Philharmonie" bis "Jazz, mit Kunstmusik verschmolzen." Das Globe Unity Orchestra wurde - mit ständig erweitertem Musikerkreis - zur Langzeit-Einrichtung. 2016 feierte es beim Jazzfest Berlin 50jähriges Bestehen - immer noch unter der Leitung Alexander von Schlippenbachs.

Improvisieren im Zwölfton-System

Der Komponist Bernd Alois Zimmermann, bei dem er in Köln Komposition studierte, hat Alex von Schlippenbach entschieden geprägt. Das Strenge, das Systematische findet sich bei Schlippenbach wie bei seinem Lehrer. Manche von Schlippenbachs Stücken sind konsequent durchkomponiert. Andere wieder sind Improvisationen. Dabei kann dieser Pianist etwas, das nur wenige von sich behaupten können: in Zwölftontechnik improvisieren - eine Sache, die viel strenger ist als herkömmliche Jazz-Improvisation.

Pianist Alexander von Schlippenbach bei den Berliner Jazztagen im November 1970 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bildquelle: picture-alliance/dpa Alex von Schlippenbach ist ein leidenschaftlicher Pianist - etwa seit er den Virtuosen Oscar Peterson gehört hat. Der soulige Meister Horace Silver hat ihn ebenfalls stark geprägt. Außerdem Thelonious Monk, dem er viele Aufnahmen gewidmet hat (unter anderem die hervorragende Produktion "Monk’s Casino" mit allen 70 Kompositionen des Vorbilds). Und nicht zuletzt der Free-Jazz-Monolith Cecil Taylor - der jetzt, zwei Tage vor Schlippenbachs 80. Geburtstag, gestorben ist. Die Begegnung mit dem Jazz fand im Internat statt, wo eigentlich nur klassische Musik erlaubt war. Ein Junge aber schleuste irgendwann Jazzplatten ein. Bald hörte Alex von Schlippenbach heimlich "Voice of America" und begann Boogie und Blues zu improvisieren.

"All Jazz is free"

Bis heute ist dieser Musiker ein Kopf, der sich immer wieder frische Luftzufuhr gönnt. Und der dennoch auch traditionsbezogen denkt. Das - und die starke Verankerung zugleich im Jazz und in der komponierten Musik - ergibt einen ganz weiten Horizont, den man immer auch zu hören glaubt. Über Grenzen gleiten - und manchmal sicher auch darüber springen: Das ist genau das, was Alexander von Schlippenbach mit seiner Musik immer getan hat - radikal, aber wohlüberlegt, nicht als wilder Bilderstürmer, sondern als Denker, der etwas tut. Er selber spricht allerdings nur von der Abkehr von Konventionen pathetischere Formulierungen meidet er. "All Jazz is free" heißt ein Stück von ihm, und das setzt er um.

Alex von Schlippenbach ist dabei auch ungebrochen optimistisch. Zur Zukunft einer Musik, wie er sie macht, sagt er: "Es hat noch nie so viel frei improvisierte Musik auf der Welt gegeben wie heute. Sie ist natürlich immer noch eine Art ‚Underground‘. Wir haben inzwischen auch sehr viel jüngeres Publikum, das sich dafür interessiert. Auch dieses jüngere Publikum - vielleicht auch aus einer Übersättigung mit dieser Industriemusik, die man auf allen Gebieten mitkriegt, auch wenn man es gar nicht will - hat irgendwo gemerkt, dass da etwas Interessantes passiert, das etwas in Bewegung bringt."

Globe Unity in der radioJazznacht auf Bayern 2:

radioJazznacht am 15. April 2018 ab 0.05 Uhr
European Jazz Stars
Hintergründe, Eindrücke und Musik von der 49. Internationalen Jazzwoche Burghausen
Mit dem norwegischen Saxophonisten Marius Neset, dem französischen Akkordeonisten Vincent Peirani, dem deutschen Schlagzeuger Wolfgang Haffner und anderen herausragenden europäischen Jazzmusikern und ein musikalischer Rückblick auf das Konzert des Globe Unity Orchestras 2007 in Burghausen zum 80. Geburtstag von Pianist Alexander von Schlippenbach.
Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer

    AV-Player