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Antonio Carlos Jobim zum 90. Geburtstag Bossa Nova-Genie aus Rio de Janeiro

Seine Lieder: einst Welthits mit sanften Rhythmen, heute Evergreens. Klassiker zum Teil seit über 50 Jahren. Der brasilianische Pianist, Gitarrist und Komponist Antonio Carlos Jobim war ein Mann mit feinem Gespür für unaufdringliche - aber unsterbliche - Melodien. Am 25. Januar wäre er 90 Jahre alt geworden.

Antônio Carlos Jobim | Bildquelle: picture alliance / AP Photo

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Von Frank Sinatra bis zum gefeierten Streichquartett Quatuor Ébène reichen die schier unzähligen Interpreten seiner Kompositionen. Einige weitere: Ella Fitzgerald, Peggy Lee, Diana Krall. Oder auch Al Jarreau, Pat Metheny, Till Brönner. Und nicht zuletzt die Soulsängerin Amy Winehouse. Sie sang eines dieser berühmten Lieder rund fünf Jahrzehnte, nachdem es geschrieben worden war: "The Girl from Ipanema".

Ipanema, das ist ein Stadtteil und ein Strand von Rio de Janeiro. In dem Stadtteil verbrachte der am 25. Januar 1927 in Rio geborene, später weltberühmte Antonio Carlos Jobim seine Kindheit. Und der subtile Ohrwurm, den er diesem Ort widmete, gehört nach Paul McCartneys "Yesterday" zu den meist interpretierten Popsongs. Zur Eröffnung der olympischen Spiele 2016 schritt, weltweit übertragen, das brasilianische Model Gisèle Bündchen ins Stadion, während Daniel Jobim, ein Enkel des Komponisten, "The Girl from Ipanema" sang. Oder besser: "Garota de Ipanema", denn es war die portugiesischsprachige Originalfassung.

Raffiniertes Spiel mit Sprachklang und poetischen Bildern

Einprägsamer, nicht zu schneller Rhythmus. Eine ganz einfach wirkende Melodie, die sich unverzüglich im Ohr festsetzt. Und eine möglichst leise Interpretation: Das sind wesentliche Elemente im Lebenswerk Antonio Carlos Jobims. Neben "Garota de Ipanema” zählen zu seinen berühmtesten Stücken etwa "Agua de beber" (Wasser zum Trinken), "Desafinado" (Verstimmt), "Corcovado" (benannt nach jenem Berg, auf dem Rios Wahrzeichen, die Christus-Statue steht). Oft gibt es englischsprachige Versionen dazu: "Drinking Water", "Slightly out of tune" oder "Quiet nights of quiet stars".

Und ein Kern der Stücke ist auch in Form von Jazz-Evergreens lebendig geblieben - nicht zuletzt das wunderschön melancholische Lied "Chega de saudade", dessen Titel im Deutschen etwa "Schluss mit der Sehnsucht" lauten würde und das im Englischen "No more blues" heißt. Die Texte stammten in vielen Fällen von dem Dichter Vinicius de Moraes (1913 - 1980) und waren klangvolle Kunstwerke, in denen der Autor ein raffiniertes Spiel mit Sprachklang und poetischen Bildern trieb. Mit ihnen gingen die schillernden und mit bewusst reduzierten Mitteln extrem fein gearbeiteten Kompositionen Jobims wunderbar Hand in Hand.

Unterrricht beim Zwölftonkomponisten

Antônio Carlos Jobim | Bildquelle: picture alliance / jazzarchiv Antonio Carlos Jobim | Bildquelle: picture alliance / jazzarchiv Antonio Carlos Jobim - auch genannt Tom Jobim - begann früh Gitarre zu spielen. Als Tom vierzehn war, kaufte sein Stiefvater ein Klavier für dessen Schwester. Doch bald spielte Tom darauf, woraufhin der Stiefvater einen Klavierlehrer engagierte. Dieser Lehrer war ein emigrierter Deutscher: Hans-Joachim Koellreutter, der in Brasilien die Zwölftonmusik Arnold Schönbergs propagierte und sich als einflussreicher Komponist und Musikprofessor auch von der indigenen Bevölkerung Brasiliens anregen ließ. Koellreutter unterrichtete eine ganze Reihe später bekannter brasilianischer Musiker - Jobim war der wohl populärste unter ihnen. Tom Jobim begeisterte sich zudem für die Musik des brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos und Klavierstücke von Claude Debussy und Maurice Ravel. Außerdem für populäre brasilianische Musik etwa des Songschreibers Ary Barroso und des Flötisten und Saxophonisten Pixinguinha.

Samba mit einer einzigen Note

Musiker werden wollte Jobim aber zunächst nicht. Architekt: Das war sein Berufswunsch. Er suchte sich eine Stelle in einem Architekturbüro - aber offenbar konnte er sich nicht dafür erwärmen, tagein, tagaus Anzug und Krawatte zu tragen und Büroluft zu atmen. Und so entschied er sich doch für die Musik. Er spielte in Nachtclubs Klavier, schrieb für eine Plattenfirma die Noten von Liedern, deren Komponisten selbst keine Noten lesen und schreiben konnten, begann zusammen mit dem Pianisten und Dichter Newton Mendonça (1927-1960) Lieder zu schreiben - darunter die später sehr bekannten "Desafinado" und "Samba de uma nota só" (One Note Samba).

1956 schließlich bat ihn ein anderer Dichter um die Vertonung eines Bühnenstücks, das den antiken Orpheus-Mythos mit dem Leben in Rio de Janeiro zusammenbrachte: Dieser Dichter war Vinicius de Moraes. Aus dessen Orpheus-Stück machte der Filmregisseur Marcel Camus den 1959 erschienenen Film "Orfeu Negro" - Jobim trug zur Filmmusik bei. Und er und Vinicius de Moraes erhielten einen Popularitätsschub.

João Gilberto und der Siegeszug des Bossa Nova

Den übertraf aber wenige Jahre später noch eine andere Zusammenarbeit. 1958 lernten Jobim und de Moraes einen Sänger und Gitarristen kennen, der einen ganz eigenwilligen, zwischen Daumen und Fingern raffiniert versetzten Rhythmus auf der Gitarre spielte und ungewöhnlich leise sang, sodass er in der Zeit vor seinen großen Erfolgen schon mal als "Bauchredner" verspottet wurde. Aber dieser Sänger und Gitarrist - namens João Gilberto - sollte eine der bedeutendsten musikalischen Stimmen Brasiliens werden.

Ein Sänger, der mit seinen kunstvoll-leisen Tönen ungemein gekonnte Melodiephrasen gegen den nur scheinbar stotternden Rhythmus der Gitarre setzte. Gilberto erwies sich als einer der bis heute größten Interpreten des damals aufkommenden "Bossa Nova"-Booms, einer Verbindung von Samba und Jazz. Jobim, Moraes und Gilberto taten sich zusammen - und 1963 in New York machten Jobim und Gilberto mit dem Saxophonstar Stan Getz - der bereits ein Jahr zuvor mit dem Album "Jazz Samba" große Erfolge gefeiert hatte - Aufnahmen, die zu einem musikgeschichtlichen Meilenstein wurden: diejenigen für die Langspielplatte "Getz / Gilberto". Sie wurde eine der meistverkauften LPs aller Zeiten, erhielt 1965 mehrere Grammy-Awards und wurde 2013 von dem Magazin "Rolling Stone" als Nummer 22 der "100 besten Jazz-Alben" aufgeführt. "Desafinado", "Corcovado", "O grande amor" und nicht zuletzt "The Girl form Ipanema" finden sich auf dieser Platte.

Sessions mit Frankieboy

Diese und andere frühe Songs von Jobim waren ein Repertoire, mit dem der Komponist selbst bis in die späten Jahre seines Lebens immer wieder auftrat. Jobim sang auch selbst - allerdings weniger magisch als João Gilberto - und begleitete 1967 auch Frank Sinatra in berühmten Bossa-Nova-Aufnahmen, die auch als Videos überliefert sind. Immense Ruhe strahlen diese musikalischen Dokumente aus.

Die Songs waren ein enorm dankbares Material für Sinatras Phrasierung und sein perfektes Timing. Auch hier gehörte "The Girl from Ipanema" zu den ausgewählten Stücken, dieses musikalisch-sprachliche Bild einer anmutig auf dem Weg zum Meer vorübergehenden jungen Frau. "Tall and tan and young and lovely": Diese erste Zeile haben die meisten Hörer auf der Welt im Kopf, wenn sie die auf geschickten Sequenzbildungen aufgebaute, eingängige Melodie hören, die sich über in kleinen Tonschritten changierenden Harmonien erhebt.

Poet der Töne

Mit dieser Tonsprache gab Antonio Carlos Jobim der zart-melancholischen Stimmung der brasilianischen Musik Ende der Fünfziger und Anfang der Sechziger Jahre eine bis heute haltbare musikalische Form. Ein Poet der Töne, ein Meister stilvoller Sanftheit: Wenn João Gilberto die Stimme und der Rhythmusgeber des Bossa Nova ist, war Antonio Carlos Jobim der Architekt dieses Musikstils. 2012 erhielt er einen "Lifetime Achievement Award" bei den Grammys. In Rio de Janeiro trägt der internationale Flughafen den Namen Jobims, der 1994 im Alter von 67 Jahren in New York an den Folgen einer Krebs-Operation starb. Noch kurz zuvor hatte er ein neues Album aufgenommen, "Antonio Brasileiro", das wenige Tage nach seinem Tod veröffentlicht wurde. Seine Songs sind brasilianische Hochkultur - und musikalisches Welterbe.

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