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NEUE JAZZ-ALBEN, VORGESTELLT IM GESPRÄCH - Vol. 27 Hören wir Gutes und reden darüber!

Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer überraschen sich und Sie mit aktuellen Jazzalben. Dieses Format wurde mit dem Deutschen Radiopreis 2022 als "Beste Sendung" ausgezeichnet, hier die 27. Ausgabe von "Hören wir Gutes und reden darüber".

Cover - Peter Ehwald Double Trouble: Dumont Dancer | Bildquelle: Jazzwerkstatt

Bildquelle: Jazzwerkstatt

"Hören wir Gutes und reden darüber Vol. 27" hier zum Nachhören.
In dieser Sendung haben sich Beate Sampson, Roland Spiegel und Ulrich Habersetzer zum siebenundzwanzigsten Mal gegenseitig mit Alben überrascht: Niemand wusste vorher, was die jeweils anderen mitbringen würden. Über folgende drei Alben wurde in der Sendung gesprochen.

Peter Ehwald Double Trouble: "Dumont Dancer" (Jazzwerkstatt)

Jetzt heißt es Abschiednehmen! Bands trennen sich, die Beatles nach zehn Jahren, das erste Miles Davis Quintett nach vier Jahren, das zweite nach fünf gemeinsamen Jahren. Etwas mehr als zehn Jahre gab es die Band "Double Trouble" des Berliner Saxophonisten Peter Ehwald. 2011 erschien das erste Album des Quartetts und 2021 wurde das letzte aufgenommen. Dieses Live-Album "Dumont Dancer", aufgezeichnet am 10. Oktober 2021 im Aachener Jazzclub Dumont, ist jetzt erschienen. Eine Sternstunde, die die Besonderheit des Ensembles im intensiven Live-Moment perfekt einfängt: Hier kommunizieren vier großartige Improvisatoren mit Leidenschaft, Risikobereitschaft und riesig viel Spaß miteinander. Einmalig ist "Double Trouble" besetzt: Peter Ehwald spielt Tenorsaxophon und bei einem Stück die ungarische Klarinetten-Art Tarogato, dazu kommen Schlagzeuger Jonas Burgwinkel und gleich zwei Kontrabass-Hochkaräter: Andreas Lang und Robert Landferman. Zwei dreiteilige Suiten zeigen den schillernden Kosmos von "Double Trouble" von expressivem Powerplay über sanftes Suchen bis hin zu funky Grooves - alles haben die vier drauf. Wenn ein Abschiedsalbum so klingt, fällt es schwer zu akzeptieren, dass es diese Band nicht mehr geben soll. Andererseits ist "Dumont Dancer" so ein fantastisches Abschiedsgeschenk, das tröstet doch sehr. Und wer weiß, es gab ja auch immer wieder erfolgreiche Revivals von großen Bands. 

Geri Allen & Kurt Rosenwinkel: "A lovesome thing" (PLAY IT AGAIN SAM)

Cover - Geri Allen & Kurt Rosenwinkel: A Lovesome thing | Bildquelle: PLAY IT AGAIN SAM Bildquelle: PLAY IT AGAIN SAM Die Musik beginnt und klingt als stammte sie aus einem zärtlichen Traum. Es ist der weiche, räumlich wirkende Klang einer E-Gitarre, von raffinierten, dunkel timbrierten Hall-Effekten wolkenweich umhüllt, und es sind lockende Töne von offenem Charakter. Die Einladung, die aus ihnen zu sprechen scheint, wird angenommen. Subtil pulsierende Akkorde eines Pianos setzen ein und verschmelzen mit ihnen in einem zeitlos wirkenden Schwebezustand. Die Magie dieser musikalischen Begegnung der Pianistin Geri Allen mit dem Gitarristen Kurt Rosenwinkel beim Jazz à la Villette Festival in Paris in der Philharmonie de Paris ist einmalig - im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Aufnahme, die am 5.September 2012 gemacht wurde, dokumentiert ihr einziges gemeinsames Konzert im Duo, das sie übrigens ohne vorhergehende Probe spielten. Von dessen Fortsetzung haben die beiden so lange geträumt bis es zu spät war: am 27.Juni 2017 ist Geri Allen im Alter von nur 60 Jahren gestorben. Die große Trauer um sie galt ihrer Kunst als Pianistin und Komponistin und ihrer Menschlichkeit gleichermaßen. Ihr Werk war bedeutend und man wundert sich, dass sie nicht viel bekannter war. Ihre Trios mit Ron Carter und Tony Williams, mit Charlie Haden und Paul Motian, mit Dave Holland und Jack DeJohnette sind Legende, ebenso wie ihre Zusammenarbeit mit Ornette Coleman, der so gut wie nie mit Pianisten arbeitete, sie aber 1996 für gleich zwei Album-Einspielungen in seine Band holte. Mit Kurt Rosenwinkel, dem 1970 geborenen musikalischen Tausendsassa und Kreativmotor des zeitgenössischen Jazz bildete sie an jenem Abend in Paris eine Einheit in einem, aus dem Moment geschöpften, beseelten Gleichklang, während sie Klassiker wie "A Flower is a lovesome thing" von Billy Strayhorn, "Embraceable You" von George Gershwin und "Ruby, my dear" von Thelonious Monk einzigartig interpretierten.

Nitai Hershkowits: "Call on the old wise" (ECM)

Cover - Nitai hershkovits: Call on the old wise | Bildquelle: ECM Records Bildquelle: ECM Records Eine Klaviermusik, die an Klangschönheit und an Fingerspitzengefühl kaum zu überbieten ist: Der 1988 geborene israelische Pianist Nitai Hershkovits ist auf diesem Album mit 18 Solo-Stücken zu hören, die alle kurz sind: Zwischen einer und vier Minuten dauern sie. Er entfaltet dabei eine ganz eigene Schönheit, die Jazzfans und Fans klassischer Klaviermusik gleichermaßen ansprechen dürfte. Diesen Musiker kennen Manche aus seiner Zusammenarbeit mit dem Bassisten Avishai Cohen, aber auch als Mitglied in der Band des Saxophonisten Oded Tzur. Nitai Hershkovits hatte als Jugendlicher zunächst Klarinetten-Unterricht und lernte dann noch Klavier. Er begann mit dem Jazz und studierte danach noch klassisches Klavier und Musiktheorie. Seine Verbundenheit zu den unterschiedlichen Musikwelten ist deutlich hörbar. Seine Stücke wirken immer wieder zart impressionistisch und sind getragen von extrem feinem Gespür für Klangnuancen. Zugleich swingen sie aber auch, versehen rhythmische Patterns mit feinsinnigem Groove. Die 2022 in Lugano entstandenen Aufnahmen sind nach Auskunft des Pianisten "Kompositionen, die in Echtzeit geschaffen wurden". Hershkovits lässt dabei Einflüsse aus unterschiedlichen Musik-Epochen immer wieder aufblitzen. Er beschreibt sein Vorgehen so: Es sei, als ob man durch Rahmen springt, in denen sich mehrere unterschiedliche Bilder befinden. Als Inspirationen benennt er zum Beispiel Chick Corea, Sergej Rachmaninow und Alexander Skrjabin. Manche der Melodien und Klänge auf diesem Album scheinen aus den 1920er Jahren herüberzuwehen, andere aus dem ausgehenden 20. Jahrhundert. Und all dies in bezwingender klanglicher Brillanz. Zwei der Stücke auf diesem Album sind keine Eigenkompositionen: Duke Ellingtons Klassiker "Single Petal of a Rose" und das Stück "Dream your Dreams" der Dichterin und Sängerin Molly Drake, deren Musikschaffen erst nach dem Tod ihres Sohnes, des englischen Singer-Songwriters Nick Drake öffentlich entdeckt wurde. Gewidmet hat Hershkovits sein Album "Call on The Old Wise" seiner Lehrerin Suzan Cohen, bei der er in Jerusalem studierte. Klavier-Klänge für Ohren, die sich mit Schubladen sowieso nie anfreunden konnten.

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