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Kostprobe | 29.08.2021 Tribut an Josquin

Pop-Ikone Josquin? 500 Jahre nach seinem Tod huldigt das Vokalensemble "Thélème" dem großen Renaissance-Komponisten – sowohl klassisch vokal als auch im Sound von Fender Rhodes Piano und Ondes Martenot. Auf der neuen CD "Baisiez moy".

CD-Cover: Baisiez moy - "Thélème", Jean-Christophe Groffe | Bildquelle: © Aparte

Bildquelle: © Aparte

In der Abtei "Thélème" leben Menschen ohne materielle Sorgen in klösterlicher Gemeinschaft zusammen. Ihr Wahlspruch "Tu was du willst" führt jedoch nicht zu egoistischer Ellbogenmentalität, vielmehr versuchen alle freiwillig, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse mit denen der Gemeinschaft in Einklang zu bringen. Eine Utopie von François Rabelais, die er am Ende seines Romans "Gargantua" aus dem Jahr 1534 entworfen hat.

BEGLÜCKEND

Ein Dilemma, das von den widerstreitenden Seiten des Menschen erzählt: vom selbstbestimmten Individuum und seinem freien Willen - aber auch davon, wie beglückend es sein kann, gemeinsam mit anderen Menschen etwas zu erreichen, was alleine unmöglich wäre - und sich dafür unterzuordnen und Rücksicht zu nehmen. Ein Dilemma, mit dem sich jedes musikalische Ensemble auseinandersetzen muss - und das das Schweizer Vokalensemble "Thélème" bewusst mit seinem Namen thematisiert. Wenn also "Thélème" auf seiner neuen CD dem großen Renaissance-Komponisten Josquin Desprez 500 Jahre nach dessen Tod huldigt, dann entwickelt die Gruppe um den Bassisten Jean-Christophe Groffe ihre Interpretationen gemeinschaftlich, in einem steten Dialog unterschiedlicher künstlerischer Impulse - zwischen historisch informiert und experimentierfreudig, zwischen Respekt vor der Persönlichkeit Josquins und anarchischer Klanglust.

ENGELSGLEICH

"Thélème" zelebriert Josquins weltliche Chansons einerseits ganz "klassisch" im Vokalquartett mit Lautenbegleitung. Aber dann schleicht sich in die reine Vokalpolyphonie ein seltsam orgelartiger Klang ein, der sich als Fender Rhodes Piano entpuppt, sonst eher zu hören in Jazz und Popmusik. Erst stutzt man - und staunt dann, wie gut die Klangsphären zusammenfinden. Ein weiteres elektronisches Instrument, die von Olivier Messiaen hochgeschätzten "Ondes Martenot", ersetzt mit seiner engelsgleich schwebenden Klanglichkeit sogar für einen kurzen Moment die menschliche Stimme komplett. Ein Buchla-Synthesizer kommt noch hinzu, aber alle diese Instrumente bleiben insgesamt eher dezent im Hintergrund, breiten den Singstimmen ein Klangbett, das sich nicht aufdrängt, aber trotzdem aufhorchen lässt. Und den Jubilar nach 500 Jahren ganz unverkrampft vom Denkmal-Sockel holt: ein leichter, luftiger Josquin für heutige Ohren.

Baisiez moy

Josquin Desprez
"Thélème"; Leitung: Jean-Christophe Groffe
Label: Aparte

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 29. August 2021, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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