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Kostprobe | 03.07.2022 Gesang der Engel

Domenico Scarlatti ist vor allem wegen seiner geistvollen 555 Cembalo-Sonaten bekannt. Aber er war auch ein Komponist beeindruckender geistlicher Werke, von denen nur wenige erhalten sind. Eine neue CD begibt sich auf Spurensuche.

CD-Cover: Domenico Scarlatti - Stabat Mater | Bildquelle: © harmonia mundi

Bildquelle: © harmonia mundi

So kennen wir ihn, so hat er sich seinen Platz auf dem musikalischen Parnass gesichert: Domenico Scarlattis 555 einsätzige Sonaten für Cembalo sind virtuose Luftgespinste aus Esprit, Fantasie und geradezu unglaublicher kompositorischer Raffinesse. Aber auch das hier ist Domenico Scarlatti: Ein fast in Vergessenheit geratener Komponist großartiger Kirchenmusik, ein Meister der opulenten Klangpracht, der dramatischen Liturgie-Vertonung voller Innigkeit und spiritueller Ausdruckskraft.

Komponist für eine Königin

Nur ganz wenige sakrale Werke Domenico Scarlattis (nicht zu verwechseln übrigens mit seinem Vater Alessandro Scarlatti!) haben sich erhalten. Er schrieb sie allesamt vor der Zeit, als er in Madrid seine berühmten Cembalosonaten für die spätere spanische Königin Maria Barbara komponierte. Umso verdienstvoller ist es, dass der französische Cembalist und Dirigent Bertrand Cuiller zusammen mit seinem Barock-Ensemble "Le Caravansérail" diesen "anderen", ungewohnteren, faszinierenden Scarlatti ins Licht der Aufmerksamkeit rückt.

Unwiderstehliche Aura

Dass beispielsweise Domenico Scarlattis eher im Schatten stehendes, nicht oft aufgeführtes "Stabat Mater" neben dem beinahe schon kultisch gefeierten Schwesterwerk Giovanni Battista Pergolesis ohne Weiteres bestehen kann, zeugt von außerordentlicher Qualität. Vor allem aber von einer unwiderstehlichen Aura, die Scarlatti in den Raum zaubert.

Zugrunde liegt diesem Stück ein mittelalterliches Gedicht. Es schildert die Schmerzen Marias, während sie unter dem Kreuz steht, an dem ihr Sohn Jesus stirbt. Domenico Scarlattis "Stabat Mater" ist eine strenge, herbe, dabei aber aufwühlend dramatische Klangwerdung von Trauer und Verzweiflung. Dissonanzen reiben sich qualvoll, türmen sich auf fast bis zur Schmerzhaftigkeit. Aber diese Aufnahme ist noch etwas anderes: ein wahres Sängerfest, das nicht nur im "Stabat Mater", sondern auch in zwei kleinen weltlichen Kantaten gefeiert wird. Denn die Vokalsolisten sind geradezu umwerfend. Allen voran der sensationelle Countertenor Paul-Antoine Bénos-Djin mit seiner üppigen, dunklen, glutvoll lodernden Stimme.

Als Cembalo-Virtuose soll Scarlatti nach Aussage eines Zeitgenossen gespielt haben wie zehnmal hundert Teufel. Hier nun ist es die Gegenpartei, die Engel, die er uns hören lässt.

Stabat Mater

Domenico Scarlatti
Emmanuelle de Negri, Sopran
Paul-Antoine Bénos-Djian, Countertenor
Le Caravansérail
Bertrand Cuiller, Leitung
Label: harmonia mundi

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 3. Juli 2022, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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