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Bittersüße Zwölftonreihen Gil Shaham über Alban Bergs Violinkonzert

Am Karfreitag, 25. März, überträgt das Bayerische Fernsehen ein Konzert vom Januar 2014 mit Mariss Jansons und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, in dem der Geiger Gil Shaham Alban Bergs Violinkonzert interpretiert. In einem Ende 2013 geführten Interview mit Andrea Lauber spricht Shaham, der in der Saison 13/14 Artist im Residence beim BR-Symphonieorchester war, über dieses Werk.

Gil Shaham | Bildquelle: Luke Ratray

Bildquelle: Luke Ratray

Andrea Lauber:  Gil Shaham, Sie werden im Januar 2014 das Berg-Konzert in München spielen ...

Gil Shaham:  Ja, dieses Konzert fasziniert mich unglaublich. Für uns Geiger ist es ein Segen, dass zwischen 1931 und 1939, also in nur acht Jahren, so viele epochale Werke von herausragenden Komponisten wie Schönberg, Berg, Hindemith, Walton, Strawinsky, Prokofjew, Britten, Bartók, Milhaud, Szymanowski, Hartmann und Bloch geschrieben wurden. Das ist doch wirklich eine sehr interessante Tatsache, denn in der Zeit vor 1930 gab es kaum neue Violinkonzerte. Ravel sagte einmal: Warum soll ich ein neues Violinkonzert schreiben? Es gibt doch das von Mendelssohn.

AL:  Sie selbst haben einmal gesagt, man könne dank dieser Konzerte auf die damalige Zeit blicken – wie durch eine Art "Geiger-Brille". Wie ist das zu verstehen?

GS  Musik kann sehr wohl etwas von der Zeit, in der sie entsteht, einfangen. In den 1930er Jahren lag etwas in der Luft: die Sehnsucht nach dem alten Europa und gleichzeitig eine gefährliche Aufbruchsstimmung verbunden mit der Frage, wie es wohl weitergehen wird. Im Fall von Karl Amadeus Hartmanns Concerto funebre wird das sehr klar. In einem Brief schreibt er: »Diese Musik ist eine Reflexion unserer Zeit.« Vielleicht haben diese Komponisten in der Geige das passende Instrument gefunden, ihre Gefühle und Gedanken auszudrücken. Die Violine übte auf sie offensichtlich eine besondere Faszination aus, denn sie verkörpert – anders als z. B. das Klavier – diese einzelne Stimme, die sich gegen das Orchester durchsetzen muss, so wie das Individuum in der Gesellschaft. Ein Grund könnte auch in der Charakteristik des Geigenklangs liegen, ihm wird oft ein nostalgischer Touch zugeschrieben. Auch im Berg-Konzert gibt es einen Moment, in dem die Geige diese klagende Melodie auf der G-Saite spielt und vom Orchester in Zwölfton-Harmonik begleitet wird. Und plötzlich der Kontrast: Klarinetten imitieren eine Kirchenorgel.

Gil Shaham im Bayerischen Fernsehen

Karfreitag, 25. Mai, 10:15 bis 10:45 Uhr
Alban Berg: Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels"
Gil Shaham (Violine)
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Dirigent: Mariss Jansons

AL:  Gerade der Beginn des Berg-Konzerts mit den leeren Quinten erzeugt eine ganz besondere Atmosphäre ...

GS  Ja, absolut! Mich erinnert das immer an das Ritual des Geige-Auspackens: Ich öffne den Koffer, nehme die Geige heraus und stimme die Saiten. Und dann kommt die Zwölftonreihe, die so bittersüß ist (singt die Reihe). In ihr, in diesem Bittersüßen, spiegelt sich für mich das Leben der Manon Gropius. Wir wissen ja, dass Berg das Konzert in ihrem Andenken schrieb. Manon war der Augapfel der Wiener Gesellschaft. Sie war hübsch und begehrt – wie eine zweite Alma. Im ersten Satz klingt das in dem Ländler an. Im zweiten Satz wird ihr Todeskampf beschrieben. Es gibt darin Stellen, die sehr opernhaft klingen, und Stellen, die unter die Haut gehen, wie die letzten vier Noten der Zwölftonreihe, die zur Melodie des Bach-Chorals werden. Diese Stelle ist transzendent ...

AL:  Trotzdem müssen bei diesem Konzert auch die Skeptiker der Zwölftonmusik nichts befürchten, oder?

GS  Nein, überhaupt nicht! Im Gegenteil, das Konzert klingt an manchen Stellen beinahe tonal. Das ist es auch, was mich an den Konzerten der 1930er Jahre so fasziniert: Jeder Komponist hatte seinen Stil, und gerade in dieser Zeit waren die Herangehensweisen so verschieden! Es gibt die Zwölftonmusik bei Berg und bei Bartók, bei Walton haben wir tonale Melodien des Solisten, die von Zwölftonreihen im Orchester begleitet werden. Auch Einflüsse von anderen Musikrichtungen wie z. B. dem Jazz werden spürbar. Es war eine sehr aufregende Zeit, in der viele Strömungen und Entwicklungen ineinanderflossen.

AL:  Das Berg-Konzert bietet dem Solisten allerdings nicht sehr viele Möglichkeiten zu brillieren …

GS  Ich habe dabei immer das Gefühl, Teil eines Theaterstücks zu sein. Meine Tätigkeit ist der des Schauspielers sehr ähnlich. Wir müssen das, was der Komponist niedergeschrieben hat, zum Leben erwecken. Im Fall des Berg-Konzertes handelt es sich wirklich um ein groß angelegtes Drama – um in der Theaterkategorie zu bleiben! Und als Solist bin ich in diesem Fall »nur« ein Teil davon ...

AL:  Sie spielen diese Konzerte schon seit einigen Jahren auf Bühnen weltweit. Hat die Reaktion des Publikums Sie überrascht?

GS  Absolut, es hat mir gezeigt, dass es nicht immer Mendelssohn oder Brahms sein muss. Trotzdem hätte ich nicht erwartet, dass das Publikum diese Werke so positiv annimmt. Denn diese Stücke sind alles andere als locker-flockig, vor allem das schon genannte Concerto funebre von Hartmann. Auch das Berg-Violinkonzert endet nicht mit einem großen Knall. Aber alle diese Komponisten wollten die Seele und das Herz der Menschen berühren. Und ich wünsche mir, dass mir das auch gelingt.

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