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Was heute geschah – 27. April 1945 Karl Amadeus Hartmanns Klaviersonate

Unmittelbar vor seinem Haus wird der bayerische Komponist Karl Amadeus Hartmann Augenzeuge eines grauenvollen Ereignisses. Ein Elendsstrom zieht vorüber. Tausende entkräftete und ausgehungerte Häftlinge wurden von schwerbewaffneten SS-Schergen mit Kampfhunden aus dem Konzentrationslager Dachau getrieben. Sie sollten nicht von den bereits einmarschierten US-Truppen befreit werden.

KZ-Häftlinge hinter einem Stacheldrahtzaun | Bildquelle: picture alliance / AP Photo

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Was heute geschah zum Anhören

Seit einem Tag schleppen sie sich durch das bayerische Oberland nach Süden. Vorwiegend in Dunkelheit und mit ungewissem Ziel. Überall ertönen Schüsse und Schreie, es sterben Menschen durch Erschöpfung und Gewalt. Hartmann versucht, das belastende Erlebnis des Todesmarsches mit der Komposition einer Klaviersonate zu bewältigen, der er beklemmende Worte voranstellt:

Unendlich war der Strom, unendlich war das Elend, unendlich war das Leid.
Karl Amadeus Hartmann

Hartmann in innerer Emigration

Er komponiert – auch wenn er weiß, dass er ungehört bleibt. Seit der NS-Machtergreifung sind die Werke des Antifaschisten mit einem Aufführungsverbot belegt. Hartmann lebt versteckt in der "inneren Emigration" aber das nimmt er in Kauf, überzeugt davon, dass der Künstler "eine politische Anschauung" haben muss. Diese Anschauung hat er immer wieder kundgetan. Ob er jüdisches Volksliedgut in seiner Musik zitierte oder im Vorwort seines "Miserae" schrieb: "Meinen Freunden, die hundertfach sterben mussten, wir vergessen Euch nicht."

Ein Künstler darf nicht in den grauen Alltag hineinleben, ohne gesprochen zu haben.
Karl Amadeus Hartmann

Klaviersonate "27. April 1945" - unmissverständliche Aussage

Karl Amadeus Hartmann | Bildquelle: dpa - Bildarchiv Bildquelle: dpa - Bildarchiv Auch die Sonate, die als Titel das unvergessliche Datum trägt, ist in ihrer Aussage unmissverständlich. Sie verweist auf "Die Internationale" wie auf Beethovens "Les Adieux"-Sonate und deutet die Sozialistenhymne "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" in einen bewegenden Trauermarsch um. Es ist ein Werk, das an Grenzen geht, spieltechnisch wie in seinem extremen Gefühlsspektrum, eine Musik voller Verzweiflung und Hoffnung, Trauer und Mitgefühl. Es ist ein sich Aufbäumen gegen die brutale Gewalt des Nazi-Terrors und zugleich ein klares Bekenntnis zur Humanität. Für Karl Amadeus Hartmann ein Muss: "Ein Mensch und besonders ein Künstler darf nicht in den grauen Alltag hineinleben, ohne gesprochen zu haben. Meine Musik wurde in letzter Zeit oft Bekenntnismusik genannt. Ich sehe darin eine Bestätigung meines künstlerischen Wollens. Es kam mir darauf an, meine humane Lebensauffassung in einem künstlerischen Organismus spürbar werden zu lassen."

Was heute geschah

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