BR-KLASSIK

Inhalt

Was heute geschah – 22. November 1963 Strawinsky komponiert seine "Elegy for J.F.K."

Dallas, 22. November 1963. Drei Schüsse, die die Welt veränderten. Das tödliche Attentat auf John F. Kennedy löst weltweit Entsetzen aus. Kirchenglocken läuten, Menschen weinen. Sogar beim Erzfeind, im sowjetischen Rundfunk, läuft Trauermusik.

Portraetaufnahme, Nizza, 1927 | Bildquelle: picture-alliance / RIA Nowosti

Bildquelle: picture-alliance / RIA Nowosti

Das Kalenderblatt anhören

Auch Igor Strawinsky ist bestürzt. Seit über 20 Jahren lebt er in den USA, erst kürzlich war er bei den Kennedys eingeladen, zu einem Gala-Dinner im Weißen Haus. Wer hätte geahnt, dass der greise, auf einen Stock gestützte Komponist den jungenhaften Präsidenten überleben würde?

Strawinsky bittet seinen Freund, den Dichter WH Auden, um einen Text. Nichts Großes, Pathetisches, Staatstragendes soll es sein, nur ein sehr stilles kleines Gedicht. Auden antwortet mit vier schlichten Strophen in Form japanischer Haikus.

Wenn ein Gerechter stirbt,
sind Wehklage und Lobpreis,
Trauer und Freude eins.

"Warum starb er jetzt", weinen wir,
"warum hier, warum so?"
Die Himmel schweigen.

Was er war, war er:
Wozu er bestimmt ist,
das hängt von uns ab.

Wir gedenken seines Todes,
doch was dieser bedeutet,
hängt davon ab, wie wir leben.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Igor Stravinsky - Elegy for JFK for Soprano and Three Clarinets (1964) [Score-Video] | Bildquelle: George N. Gianopoulos (via YouTube)

Igor Stravinsky - Elegy for JFK for Soprano and Three Clarinets (1964) [Score-Video]

Verschwörungstheorien um Kennedys Ermordung

Ebenso konzentriert und nachdenklich ist Strawinskys Vertonung. Nur drei Klarinetten begleiten den Gesang, eine Elegie in Zwölfton-Technik, gerade einmal anderthalb Minuten lang. Später wird Kennedys Tod von Spekulationen, Mutmaßungen, Mythen überwuchert werden. Der Romancier Don deLillo wird ihn auf 600 Seiten umkreisen, der Regisseur Oliver Stone in zwei ausufernden Filmen, Bob Dylan in einem immerhin 17 Minuten langen Song. Wie nüchtern dagegen Strawinsky: kein Heldenepos, keine Verschwörungstheorie. Nur eine auf-richtige, stille Verneigung vor dem Verstorbenen. Und ein Auftrag, seine Mission fortzuführen.

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr, um 13:30 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 22. November 2021 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

    AV-Player