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Was heute geschah – 1. April 1924 Puccini trifft Schönberg

Florenz, 1. April 1924. Im Palazzo Pitti herrscht Unruhe. Dabei ist das Konzert noch längst nicht zu Ende. Aber das verstörte Publikum ist nicht bereit, sich noch länger auf Arnold Schönbergs Melodram "Pierrot lunaire" einzulassen. Nur ein älterer Mann sitzt in den Reihen und verfolgt aufmerksam das Dirigat des Komponisten, studiert mit wachen Augen die Partitur auf seinen Knien: Giacomo Puccini.

Komponist Giacomo Puccini | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Eigens für diesen einen Abend ist Puccini sechs Stunden angereist, um sich darüber zu informieren, was in der zeitgenössischen Musikszene so vor sich geht. Die Noten, die Schönberg ihm kurz vor dem Konzert überreicht hat, lassen ihn nicht los. Zwölf Jahre ist das Melodram jetzt alt und noch immer ein Stein des Anstoßes. Aber Puccini will sich mit der Avantgarde auseinandersetzen, auch wenn er sie nicht wirklich versteht: "Um den Entwurf einer derartigen musikalischen Welt zu erreichen, ist es notwendig, jeden gewöhnlichen harmonischen Sinn überwunden zu haben. Heute begreife ich entweder nichts, oder wir sind so weit entfernt von einer konkreten künstlerischen Realisation wie der Mars von der Erde."

Reise in die Zukunft?

Schönberg ahnt, wie fremd Puccini die Musik ist. Aber er ist stolz, dass der Sachkönner, nicht Sachverständige, wie er ihn nennt, die beschwerliche Fahrt auf sich genommen hat, um sein Werk kennenzulernen. Er schätzt Puccini, ist selbst ein Fan seiner Opern. Nach dem Konzert kommt der alte Meister zu ihm. "Das war schön", sagt er höflich. "Interessant." Mehr weiß er nicht hinzuzufügen. Und fährt zurück zu seiner "Turandot"-Komposition, die sich durch ihre kühnere Harmonik von den früheren Opern absetzen, aber unvollendet bleiben wird. Knapp acht Monate bleiben Puccini noch bis zu seinem Tod, Monate voller Kompositionshemmungen, Unsicherheiten und Krisen. Wurden sie durch seine Reise in die Zukunft ausgelöst? Puccini hat es immerhin im Gefühl: "Wer sagt uns, dass Schönberg nicht ein Ausgangspunkt für ein fernes zukünftiges Ziel ist?"

Aus Schönbergs "Pierrot lunaire"

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Arnold Schoenberg: Pierrot Lunaire | Bildquelle: Benoit Gravel (via YouTube)

Arnold Schoenberg: Pierrot Lunaire

Ein junger Schönberg-Jünger aus Italien

Er wird Recht behalten. Ein junger Student, der an jenem 1. April auch im Palazzo Pitti zuhörte, sitzt schon in den Startlöchern. Noch hat er sich nicht getraut, seinem Idol die Hand zu schütteln. Aber auch er wird sich der Zwölftönigkeit zuwenden. Sein Name: Luigi Dallapiccola.

Was heute geschah

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 7:40 Uhr und um 16:40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

Sendung: "Allegro" am 10. Dezember 2020 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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