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Joseph Haydn Symphonie Nr. 96 "The Miracle"

Es sind oft kuriose Geschichten, wie Musikwerke zu ihren Beinamen kommen. Zum Beispiel Joseph Haydns Symphonie Nr. 96 in D-Dur:"The Miracle", so heißt sie - also "Das Wunder". Sie ist die erste von Haydns Londoner Symphonien. Und Wunderwerke sind diese Schöpfungen alle, die Haydn nach seiner Verpflichtung am Hof des Fürsten Esterházy für ein aufgeschlossenes, bürgerliches Publikum schreiben konnte. Welches Wunder speziell hinter der Nr. 96 steckt, darüber hat sich Florian Heurich mit dem Dirigenten Ivor Bolton unterhalten.

Joseph Haydn | Bildquelle: Claudia Maria Knispel: "Joseph Haydn", Reinbek 2003

Bildquelle: Claudia Maria Knispel: "Joseph Haydn", Reinbek 2003

Das starke Stück zum Anhören

Legende und Wahrheit sind oft zwei verschiedene Dinge. Bei der Uraufführung von Haydns Symphonie Nr. 96 in den Hannover Square Rooms in London im Jahr 1791 soll der Kronleuchter von der Decke gefallen sein. Da das enthusiastische Parkettpublikum jedoch vor zum Podium geströmt war, um Haydn von der Nähe zu sehen und zu feiern, sei wie durch ein Wunder niemand verletzt worden, so heißt es. Daher der Beiname "The Miracle" - "Das Wunder". Tatsächlich hat sich dieser Vorfall jedoch einige Jahre später während einer ganz anderen Symphonie ereignet. Dennoch schreibt ihn die Legende der Nr. 96 zu, und der Beiname ist ihr bis heute geblieben.

Beginn des Spätwerks

Und noch etwas ist verwirrend an diesem Stück: der Nummerierung nach müsste es eigentlich die vierte von Haydns Londoner Symphonien sein. Es ist aber doch die erste, die Haydn für die englische Metropole geschrieben hat. Der Anfang einer neuen Epoche, der Beginn seines Spätwerks. "Für seine Verhältnisse sind die Londoner Symphonien groß dimensionierte Werke", erklärt der Dirigent Ivor Bolton. "Haydn schöpfte aus dem Vollen in der Londoner Orchesterszene, die damals sehr stark war. Der Impresario Johann Peter Salomon hatte sehr gute Orchester für ihn zusammenstellen können. In London standen Haydn damit größere Orchester als anderswo zur Verfügung."

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Aus der Komposition spricht eine unbändige Freude.
Ivor Bolton über Haydns Symphonie Nr. 96

Das schlug sich in Haydns Kompositionsstil nieder. Aber auch eine vorher nicht gekannte Freiheit. Zum ersten Mal in seinem Künstlerleben schrieb Haydn ganz ohne Zwang, ganz für das Publikum. Nicht für die Bedürfnisse eines adligen Auftraggebers, wie zuvor während seiner Zeit am Hof des Fürsten Esterházy in Eisenstadt. Sondern für ein sehr extrovertiertes, großstädtisches und sinnenfreudiges Publikum, das für Haydns neue Kompositionen brannte. "Insbesondere die Behandlung der Holzbläser finde ich sehr inspiriert", sagt Ivor Bolton zu den musikalischen Charakteristika der "Miracle"-Symphonie. "Aber überhaupt spricht aus der Komposition sehr oft eine unbändige Freude."

Haydns typische Überraschungen

Der Dirigent Ivor Bolton | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Dirigent Ivor Bolton | Bildquelle: picture-alliance/dpa Zwar beginnt das Werk mit einer getragenen, schon fast düster wirkenden Einleitung. Dann jedoch schwenkt die Musik in pure Euphorie um - einer der vielen Überraschungsmomente in Haydns Werk. Dazu Ivor Bolton: "Ich denke, auf formaler Seite war Haydn oft sehr konventionell. Aber er hat das einfach sehr gut gemacht. Er hatte eine große melodische Gabe. Das wird oft unterschätzt. Und immer gibt es irgendwo irgendeinen dramatischen Moment. Er wechselt plötzlich irgendwo nach Moll, wodurch man aufgerüttelt wird. Dadurch erzielt er starke Effekte. Er hatte eine große Trickkiste, würde ich sagen. 'The miracle' ist ein sehr inspiriertes Stück. Zusammen mit den allerletzten Symphonien ist das sicher eine der großartigsten der Londoner Symphonien." Bolton weiter: "Bei Haydn gibt es zum Beispiel immer sehr gute Adagios, die grundsätzlich sehr gut gebaut sind. Und in dieser Symphonie hat Haydn für das Finale ein extrem wirkungsvolles Thema gefunden. Er deckt damit ein breites Spektrum ab. Es wirkt zwar sehr instrumental, ist aber dennoch nicht unsingbar - eine Melodie, die man sehr gut im Ohr behalten kann. Das war sein großes Talent."

Das ist wirklich ein wunderbares Stück.
Ivor Bolton über Haydns Symphonie Nr. 96

Zuvor gibt es jedoch ein Menuett mit der für Haydn typischen Mischung aus höfischem Pomp und fast volksliedhafter Urtümlichkeit - letztere vor allem im ländlerartigen Oboensolo. Im finalen Rondo schließlich wendet Haydn einen weiteren Kunstgriff an: Er entwirft eine Melodie, die anscheinend niemals aufhört. Sie läuft und läuft, wie ein Uhrwerk, und kippt dann plötzlich doch in die Schlusscoda. "Haydn wechselt sehr schnell von einer Textur zur anderen", sagt Ivor Bolton dazu. "Das wirkt wie eine Reihe von Variationen. Im letzten Satz spielt sich aber auch etwas Motorisches ab, wie ein Perpetuum mobile. Dadurch wird man nicht Hals über Kopf in das Material der Coda gestürzt. Das begeistert das Publikum und auch die Musiker - die spielen diesen Satz sehr gerne. Auf Konzerttourneen mit dem Mozarteum Orchester haben wir ihn oft als Zugabe musiziert. 'The Miracle' tanzt einfach fröhlich daher. Deshalb macht es auch so großen Spaß, das Werk zu dirigieren. Das ist wirklich ein wunderbares Stück."

Ein musikalisches Wunder, findet also auch Ivor Bolton, auch wenn der Beiname von Haydns Symphonie Nr. 96 ganz woanders herkommt.

Musik-Info

Joseph Haydn: Symphonie D-Dur, Hob I:96, "The Miracle"

Mozarteum Orchester Salzburg
Leitung: Ivor Bolton

Label: Oehms Classics

Sendung: "Das starke Stück" am 28. November 2017, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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