BR-KLASSIK

Inhalt

Was heute geschah - 16. August 1907 Bartók als Volkslieder-Sammler

Béla Bartók ist in Gyergyó mit dem Phonografen unterwegs - auf der Suche nach alten Volksliedern in der ungarischen Provinz. Doch ganz so einfach, wie er sich das vorgestellte hatte, ist es nicht. Ein mühsames Unterfangen.

Komponist Béla Bartók | Bildquelle: © picture-alliance/dpa

Bildquelle: © picture-alliance/dpa

Auf der Suche nach den Ursprüngen der Volksmusik

Schon im letzten Jahr hat er zusammen mit Zoltan Kodály die große ungarische Tiefebene bereist, um den Bauern die fast vergessenen, nur mündlich überlieferten Schätze zu entlocken. Die Sammlung liegt jetzt gedruckt vor, mit einem kämpferischen Vorwort Kodálys, der sowohl das von Deutschland geprägte Musikleben in Budapest als auch das ungarische Publikum angreift. Wer nicht naiv und zugleich ausreichend gebildet sei, könne die Schönheiten der Volksmusik nicht verstehen. In diesem Sommer zieht Bartók weiter durchs Land. Doch es ist ein mühsames Unterfangen, wie sich schließlich herausstellt. Verzweifelt schildert er seine Bauernbesuche einer Freundin.

Bartóks Schilderungen

Bartók: "Die Nachbarin behauptet, Sie könnten so richtige uralte Lieder singen."
Bäuerin: "Wirklich? Bruhahahaha! Nein, ich glaub’s doch nicht!"

Bartók zeigt geduldig sein Buch, pfeift nach, was andere Frauen schon vorgesungen haben, insistiert erneut.

Bäuerin: "Ach, eine so alte Frau ist nicht dazu da, sich mit solchen Liedern abzugeben…. Als ich noch ein Mädchen war…"
Bartók: "Ja, ja! Denken sie nur nach!"

Endlich! Zögerliches Singen, aber es ist kein altes Lied, außerdem hat irgendein Tölpel die Gänse rausgelassen. Und dann weiß sie ja noch gar nichts über den Besucher:

Bäuerin: "Woher stammen Sie eigentlich?"
Bartók: "Von Budapest."
Bäuerin: "Gott helfe Ihnen. Sind Sie verheiratet?"
Bartók: "Nein! Strengen Sie den Kopf an…. Der Gesang der Maria Magdalena?"

Bartók verflucht die Kirchengesänge und merkt enttäuscht, dass es wieder einmal umsonst ist.

Bäuerin: "Frau Sándor weiß recht viel, wenn sie einen oder zwei Deziliter Schnaps getrunken hat."

Also zum nächsten Kandidaten.

Bartók: "Das ist nicht länger auszuhalten. Ausdauer, Standhaftigkeit, Geduld - zur Hölle mit euch!"

Unermüdlicher Sammler

Aber Bartók hat Ausdauer, unermüdliche sogar, wenn es eine neue alte Welt mit Resten asiatischer Musikkultur, pentatonischen Melodien und freien Rhythmen zu entdecken gibt. Grund genug, in den nächsten Jahren weiter zu sammeln: slowakische, rumänische, ukrainische, bulgarische, arabische Volksmusik. Bartók wird sogar nach Kairo, Anatolien und Algerien reisen und später sagen, dass diese Entdeckungsreise durch die Dörfer die schönste Zeit seines Lebens war.

Ausschnitt aus dem Artikel "Rassenreinheit in der Musik" von Béla Bartók (1942)

"Wenn für die nähere oder fernere Zukunft ein Überleben der Volksmusik erhofft werden darf (eine ziemlich zweifelhafte Aussicht, angesichts des rapiden Eindringens höherer Kultur in die entferntesten Weltgegenden), dann ist offensichtlich die künstliche Errichtung von chinesischen Mauern zur Trennung eines Volkes vom andern für die Entwicklung der Volksmusik sehr ungünstig. Eine vollkommene Absperrung gegen fremde Einflüsse bedeutet Niedergang; gut assimilierte fremde Anregungen bieten Bereicherungsmöglichkeiten."

WAS HEUTE GESCHAH

Unsere Reihe "Was heute geschah" zu bemerkenswerten Ereignissen der Musikgeschichte können Sie auch um 8.30 Uhr und um 16.40 Uhr auf BR-KLASSIK im Radio hören. Weitere Folgen zum Nachhören finden Sie hier.

    AV-Player