BR-KLASSIK

Eigentlich hatte er eine Woche Urlaub. Und das kommt bei Yannick Nézet-Séguin nicht oft vor. Denn der Dirigent hat immer einen überfüllten Stundenplan. Aber für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks verzichtete er kurzerhand auf die freien Tage und vertritt Mariss Jansons bei den BBC Proms und den Salzburger Festspielen. BR-KLASSIK war bei den Konzertproben in London dabei.

Es ist ganz schön sonnig und warm für Londoner Verhältnisse. Aber davon bekommt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wenig mit, denn sie haben eine Sonderprobe mit Yannick Nézet-Séguin angesetzt. Dafür dürfen sie in das Barbican Centre ausweichen, denn schon am nächsten Tag findet das erste von zwei Konzerten bei den BBC Proms in der Royal Albert Hall statt.

Sportlich zum musikalischen Kraftakt

Yannick Nézet-Séguin hat noch am Abend davor das Orchestre Métropolitain in Kanada dirigiert und steht jetzt – gerade aus dem Flugzeug gestiegen – mit weißen Turnschuhen, grauen Jogginghosen und einem türkisfarbenen T-Shirt vor dem Orchester. Sportliche Kleidung für einen ersten Kraftakt: Die Symphonie Nr. 5 von Dmitri Schostakowitsch steht als erstes Werk auf dem Probenplan.

Bilder von den Proben

Kraftvoller Flügelschlag

Yannick Nézet-Séguin probt mit dem BRSO in London | Bildquelle: © Peter Meisel "I Missed You Guys!" – "Ich habe euch vermisst!": So herzlich begrüßt Nézet-Séguin das Orchester, und einigen Musikern schüttelt er persönlich die Hand. "Schostakowitsch", sagt er dann bestimmt und öffnet seine Partitur. Das Orchester ist hochkonzentriert. Isoliert von der bewegten Stadt im Konzertsaal der labyrinthartigen Barbican Hall, lassen sie sich von Yannick Nézet-Séguin durch das Stück führen.

Die aufbäumende Musik steckt in seinen Armen, die er wie bei einem kraftvollen Flügelschlag anhebt. Rastlos wechseln seine Gesten zwischen den maschinellen und angetriebenen Passagen der fünften Symphonie einerseits und ihren lyrischen Partien andererseits. Und diese Dynamik strahlt über das ganze Orchester. "Ich habe das Stück nicht zum ersten Mal gespielt. Aber das habe ich noch nicht erlebt. Es atmet, es kommen Farben auf und er nimmt sich einfach Zeit, das alles auszukosten. Ich bin total verliebt!" So schwärmt Fagottist Eberhard Marschall in der Probenpause.

Uneingeschränkte Hingabe

Yannick Nézet-Séguin geht das ähnlich. Obwohl er das Stück noch nie mit dem BRSO gespielt hat, fühlt es sich für ihn so an, als haben sie erst gestern daran geprobt. "Die Chemie bei den Proben ist mir sehr wichtig. Und was ich bei diesem Orchester so liebe, ist ihre uneingeschränkte Hingabe zu arbeiten. Sie bringen Emotionen und Intellekt in die Stücke/bei den Proben ein und dadurch kommunizieren wir wie ein großes Streichquartett miteinander".

Vier Konzerte in London und Salzburg

Eine ungezwungene und hochmotivierte Zusammenarbeit zwischen dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und dem kanadischen Dirigenten, der sie bei vier Konzerten bis zum Ende ihrer Tour in Salzburg leitet. Und weil die Zusammenarbeit auf beiden Seiten so bereichernd ist, fühlt es sich für Yannick Nézet-Séguin vielleicht in manchen Momenten doch ein bisschen nach Urlaub an.

Sendung: "Leporello" am 31. Juli ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK