BR-KLASSIK

Inhalt

Geschichte - Schostakowtisch, der Fußballfan Der Komponist im Stadion

Schostakowitsch war ein glühender Fußballfan und Anhänger von Zenit St. Petersburg, wie der Verein heute heißt. Gegründet wurde er in Petersburg, damals Leningrad, als Werksverein der Leningrader-Metallwerke, kurz LMZ, dann mehrfach umbenannt. 1944 gewann Zenit St. Petersburg zum ersten Mal in der Geschichte den UdSSR-Pokal. Schostakowitsch war im Stadion dabei. Und auch ein Ingenieur namens Valentin Kogan...

Dimitri Schostakowitsch Komponist | Bildquelle: imagao/ITAR_TASS

Bildquelle: imagao/ITAR_TASS

Zoom

Schostakowitsch, der Fußballfan

"10 Rubel für eine Karte", rief ein Mann mit Mantel, Nickelbrille und Aktentasche. Das Spiel fing in diesen Sekunden an. Schostakowitsch war mal wieder zu spät. Er würde jeden Preis für eine Karte zahlen, nur um das Spiel seines Clubs, Zenit, gegen die Rivalen aus Moskau zu sehen. "10 Rubel? Mann, her mit dem Geld", sagte jemand. Schostakowitsch zahlte und war glücklich. Er rannte hinauf in den Fanblock seiner Blau-Weißen, die gerade den Anstoß ausgeführt hatten. Schostakowitsch fiel auf mit seinem Mantel und der Aktentasche. Die Leute um ihn herum schien das aber nicht zu stören, anscheinend kannten sie ihn schon. Keiner schaute ihn komisch von der Seite an, bis auf meine Person.

Schostakowitsch – ein leidenschaftlichter Schiedsrichter

Ein Gedankenspiel: vielleicht hätte Dmitrij Schostakowitsch so als Schiedsrichter auf dem Platz ausgesehen.
| Bildquelle: picture-alliance/dpa - Montage BR Vielleicht hätte Dmitrij Schostakowitsch so als Schiedsrichter auf dem Platz ausgesehen. | Bildquelle: picture-alliance/dpa - Montage BR "Foul", schrie Schostakowitsch, "das ist eine gelbe Karte, gib ihm die gelbe Karte!". Ich sprach ihn an. "Das war doch keine gelbe Karte, das war ein ganz normaler Zweikampf." "Nein, nein", ereiferte er sich, "das war gefährliches Spiel, der Zehner von den Roten ist dem Pavel von hinten in die Beine gegrätscht, der hat niemals den Ball getroffen." "Ach, Sie übertreiben", sagte ich. "Nein! Das hat man uns auf dem Schiedsrichterlehrgang mit Nachdruck gesagt: wer mit einem Foul die Gesundheit des Spielers gefährdet, bekommt Gelb. Wissen Sie, vor neun Jahren habe ich meinen Schiedsrichterschein gemacht und hin und wieder pfeife ich selbst, in der Kreisklasse zwar nur, aber Foul ist Foul."

Vor neun Jahren habe ich meinen Schiedsrichterschein gemacht und hin und wieder pfeife ich selbst.
Dmitrij Schostakowitsch

Und tatsächlich zückte der Schiedsrichter die Gelbe Karte. Die Erleichterung darüber war meinem Nachbarn deutlich anzusehen. "Gestatten, Kogan, Valentin Kogan", sagte ich und hielt meinem Nachbarn die Hand hin. "Schostakowitsch, Dmitrij Schostakowitsch." Wir schüttelten kurz die Hände. "Sind Sie der Komponist Schostakowitsch?" Ich konnte es nicht glauben. Einer der bekanntesten Komponisten unseres Landes stand neben mir im Stadion. Immer noch 0:0. "Sie müssen heute gewinnen. Der Pokal gehört diesmal uns und nicht den Roten", sagte Schostakowitsch. "Ja, das wäre mal was, wenn nicht wieder ein Moskauer Verein diesen Pokal mit nach Hause nehmen würde. Vor fünf Jahren, als Zenit gegen Spartak Moskau die Chance hatte, haben sie ja kläglich vergeben. 1:3 verloren, das war deutlich." Schostakowitsch schaute mich mit klaren Augen an. Ein kurzes Aufblitzen von Mitwisserschaft. War er überrascht, dass ich, ein kleiner Ingenieur, etwas von der Fußballgeschichte seines Vereins wusste?

Mannschaft zu Gast bei Schostakowitsch

"Ich habe kurz vor dem Spiel mit dem Trainer telefoniert und der hat mir versichert, sie werden sich bemühen", antwortete er. Ich war sprachlos. Wollte er mich auf den Arm nehmen oder meinte er es tatsächlich ernst? Er meinte es ernst. In der Halbzeitpause unterhielten wir uns, und ich erfuhr, dass Dmitrij Schostakowitsch die gesamte Mannschaft von Zenit einmal zu sich nach Hause eingeladen hatte. Seine Frau war nicht dagewesen und er hatte diesen Umstand genutzt, um den gesamten Kader, immerhin 23 Mann plus Trainer, zu Hause zu bewirten. Und sie waren alle gekommen. Gemeinsam hatten sie zu Abend gegessen und alle Höhepunkte und Niederlagen der Saison nochmals durchlebt. Schostakowitsch hatte sich sogar ans Klavier gesetzt und gespielt. Ein unvergesslicher Abend, für beide Seiten. Seitdem pflegte er den Kontakt zu Spielern und zum Trainer. Er wusste alles über sie: Nicht nur, auf welcher Position sie spielten, sondern auch, wer wie die Tore gemacht hatte, wie oft jemand in dieser Saison schon eine Torvorlage gemacht hatte und wer wann eine gelbe oder eine rote Karte bekommen hatte. Ich war beeindruckt. Der Komponist war ein echter Fan, er glühte für seine Mannschaft.

Das Stadion ist in diesem Land der einzige Ort, wo man laut die Wahrheit über das sagen kann, was man sieht.
Dmitrij Schostakowitsch

Fußballmusik

Am liebsten hätte er für seine Mannschaft einen Fußball-Marsch komponieret. Sein ganzes Leben lang versuchte er, Musik und Fußball miteinander zu verbinden. Zum Beispiel hatte er die Musik zu dem Ballett "Das goldene Zeitalter" geschrieben, in dem es um eine sowjetische Fußballmannschaft ging, die zu einer Industrieausstellung ins Ausland reist. Für den Film "Maxims Jugend" hatte er einen Fußball-Chanson geschrieben. Er kannte einige Sportjournalisten, hörte sich Fußballreportagen im Radio an und war, wann immer es ging, am liebsten selbst vor Ort.

Dramatisches Spiel um den UdSSR-Pokal

"In diesem Jahr wird es klappen", sagte Schostakowitsch zu mir. Die Schmach von 1939 würde wieder wettgemacht werden. Und tatsächlich bekam das Spiel in der zweiten Halbzeit mehr Brisanz. "Toor, Toor, Toooor!", schrien wir beide, als die Blau-Weißen das 1:0 schossen. "Haben Sie das gesehen? Ich hab' den Aschajew noch niemals so gut köpfen sehen. Die Innenverteidiger haben ihn doch in die Mangel genommen und er trifft trotzdem unhaltbar ins rechte obere Eck. Unglaublich, unglaublich." Schostakowitschs Augen leuchteten, er war außer sich vor Glück. Aber nicht lange.

Die Moskauer spielten jetzt schneller und sicherer, bauten Druck auf. Ein ums andere Mal fasste sich der Komponist neben mir an den Kopf, denn die Abwehr von Zenit war plötzlich so löchrig wie ein Schweizer Käse. Dann der Ausgleich. Nur noch 20 Minuten zu spielen und die Moskauer Mannschaft war wie verwandelt. "Warum lassen wir uns soweit zurückdrängen, warum geht da niemand in die Zweikämpfe, wo bleibt da der Siegeswille?" Schostakowitschs Verzweiflung wurde immer größer, die Zeit rannte davon und die Partie wurde immer härter. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir "Foul" geschrien haben und aufgesprungen sind vor lauter Entrüstung. Schostakowitsch war schon ganz heiser. Dann die Erlösung. 86. Minute. Freistoß für Zenit, gut 25 Meter vom Tor entfernt. "Nein, nicht der Poljaschin, nicht der Poljaschin", jammerte Schostakowitsch, "der schießt, ohne zu gucken. Meistens bleiben seine Bälle in der Mauer hängen. Warum schießt nicht Pawel, der hat eine exzellente Schusstechnik. Jeder, nur nicht Poljaschin."

Nein, nein, unglaublich, das ist einfach unglaublich!
Dmitrij Schostakowitsch jubelt nach dem entscheidenden Tor für Zenit

Aber alles Jammern war vorbei, als Poljaschin einmal in seinem Leben etwas anders machte als sonst: Er lupfte den Ball über die Mauer auf Aschajew, der den Ball volley nahm und ihn in die linke obere Ecke donnerte. "Nein, nein, unglaublich, das ist einfach unglaublich! Eine ganz neue Variante, das haben sie noch nie so gespielt!" Schostakowitsch war außer sich vor Freude. Der schmale Mann mit der Nickelbrille hüpfte auf und ab und jubelte, als sei sein Verein gerade Weltmeister geworden. Vier Minuten später pfiff der Schiedsrichter die Partie ab. Zenit hatte den Pokal der UdSSR gewonnen, zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte.

Schostakowitschs Fußball-Statistik

"Das müssen wir feiern, Valentin Kogan, ich lade Sie ein!" So kam es, dass ich mit Dmitrij Schostakowitsch auf den Pokalsieg von Zenit Leningrad Wodka trank. In seiner Wohnung feierten wir bis spät in die Nacht. Stolz zeigte mir Schostakowitsch, nachdem wir auf Du und Du angestoßen hatten, seinen größten Schatz: Seine Fußball-Statistik. Über Jahre hatte er in einem Buch die Ergebnisse der Spiele, Punktzahlen, Torverhältnis und auch die Namen der Torschützen notiert. Darunter eine kurze schriftliche Bilanz des Spiels. Zeitungsausschnitte lagen herum, Berichte über alle möglichen Fußballspiele. Schostakowitsch sammelte alle Informationen über seine Mannschaft und über Fußball, die er nur kriegen konnte.

Wir blieben in Kontakt, schrieben uns gegenseitig Fußballberichte, wann immer einer von uns in einem Fußballstadion war. Seine Reportagen gehörten zu dem Besten, was ich je über Fußball gelesen habe.

Sendung: "Piazza" am 7. Juli 2018 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

    AV-Player