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Un ballo in maschera Formel 1 der Stimmen

Das große Liebesduett von Amelia und Riccardo "Teco io sto“ im zweiten Akt und die Bariton-Arie "Eri tu“ im dritten Akt sind sängerische Höhepunkte von Verdis "Maskenball". Wer diese Partien singt, steigt in den Ring und muss in Topform sein. BR-KLASSIK bietet eine "Boxenstopp-Analyse“ anhand von je drei Videobeispielen mit unterschiedlichen Interpreten.

Giuseppe di Stefano und Maria Callas an der Scala in Mailand, 1957 | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Gerade bei Verdi-Opern befindet man sich in der Formel 1 der Stimmen. Da laufen die Boliden auf Hochtouren, alles muss stimmen für die optimale Leistung: Gesundheit, Fitness, Konzentration und nicht zuletzt die Magie des Augenblicks - die Stimmung auf der Bühne und im Zuschauerraum, die das emotionale Band zwischen Solisten und Publikum herstellt, damit die seelischen Empfindungen ausgelöst werden, die die Oper ausmachen.

Piero Cappuccilli

Wie das funktionieren kann, zeigt Piero Cappuccilli in Renatos-Arie "Eri tu“, einem Gradmesser, der über Wohl und Weh von Verdi-Baritonen entscheidet. Die Arie spielt im 3. Akt des "Maskenballs“. Renato fühlt sich betrogen und in seiner Ehre schwerst verletzt, da er ein Verhältnis zwischen seiner Gattin Amelia und seinem besten Freund Riccardo vermutet. Vor der Arie wild entschlossen seine Gattin dafür aus Rache zu töten, lässt er sich dann, auch in Anbetracht des gemeinsamen Sohnes, durch ihr Flehen erweichen. Zornig stellt er in seiner Arie fest, dass er nicht seine Frau sondern vielmehr den ehemaligen Freund Riccardo blutig zur Rechenschaft ziehen muss. Zum Schluss, in einer lyrischen, von der Harfe und terzelnden Flöten begleiteten Kantilene, sinnt er über seine früheren Gefühle und die zerstörte Liebe zu seiner Ehefrau nach. Diese Gefühlswelt - zwischen rohem Zorn auf die Gattin, dem Entschluss zum Mord am besten Freund und dem Aufblitzen der gekränkten Liebe - muss mit stimmlichen Mitteln dargestellt werden und ist gerade deswegen so herausfordernd.

Piero Cappuccilli war bei dieser Aufnahme aus der Wiener Staatsoper fast 57 Jahre alt und der Bariton seiner Generation: geliebt, gefeiert, verehrt und in vielen Schallplattenaufnahmen verewigt. Im YouTube-Video sehen wir ihn ganz in der Tradition der großen italienischen Baritone. Feurig, glutvoll, mit großer Geste verleiht er seinen Gefühlen Ausdruck. Dennoch platzt nichts heraus, er singt "Belcanto", alles auf Linie und aus einem Guss. Nur in einem kleinen Moment, wenn ihm zum Schluss der Arie ein Ton in die Kehle rutscht und abbricht, wird bemerkbar, wie schwierig diese Arie zu singen ist. Cappuccillis Können und Künstlertum zeichnet natürlich aus, dass er auch diesen Minilapsus in Emotion ummünzen kann. Die Quittung folgt: Das Publikum flippt aus, wartet das Verebben des Orchesters gar nicht ab, sondern zollt minutenlang Beifall.

Leonard Warren

Bemerkenswert ist auch die Interpretation des Amerikaners Leonard Warren, allein schon wegen seiner unbegrenzten stimmlichen Möglichkeiten. Leider fehlt in der Studio-Aufnahme, merkwürdigerweise mit Klavier im Hintergrund, das wütende Eingangsrezitativ "Alzati, la tuo figlio …". Denoch wird klar, was das Faszinierende an Warrens Stimme ist. Wenn er einsetzt mit "Eri tu …", dann ist das so dunkel und mächtig, als würde er aus einer Höhle heraus singen. Sein tiefes A ("avveleni per me"), für viele seiner Kollegen nach dem dramatischen Beginn schon ein Grenzton, macht jedem Bassisten mühelos Konkurrenz. Zugleich war Warren aber in der Lage, ein hohes C zu singen! Das hört man dann in den Höhen, wenn sich das Metall einstellt, so dass das krönende hohe G trotz aller Dunkelheit der Stimme einen tenoralen Schmelz besitzt. Beeindruckend auch, wie er seine Riesenstimme für den lyrischen Teil ("O dolcezza") zurücknehmen kann und diesen wie einen Song aus einem Broadway-Musical singt. Ein großer Sänger, dessen Karriere mit dem Bühnentod während Verdis "La forza del destino" ein jähes Ende fand.

Dmitri Hvorostovsky

Bei einem Blick auf die Baritone unserer Zeit lohnt die nähere Betrachtung von Dmitri Hvorostovsky. Die Arie "Eri tu" verhalf ihm mitunter zum Titel "Singer of the World", den er 1989 in Cardiff errang und damals den heute ebenfalls prominenten Kollegen und Lokalmatador Bryn Terfel auf die Plätze verwies. Die Aufnahme zeigt deutlich seine Qualitäten: der schier endlose Atem, den er nach dem für ihn so charakteristischen hörbarem Einsaugen der Luft strömen lässt und der tief sitzende Kehlkopf. Beides ermöglicht ihm , alles "auf Linie" zu singen. Während diese Aufnahme, vielleicht auch dem Ungestüm seiner Jugend Tribut zollend, ganz den eifersüchtigen, kopflos nach Rache dürstenden Ehemann zeigt, interpretierte er die Rolle später anders. Dies kann man an einer Aufnahme von 2003 nachvollziehen. Hvorostovsky macht weniger, singt noch lyrischer und spinnt die Kantilenen noch zärter. Und wirkt dadurch um so gefährlicher, durchtriebener.

Luciano Pavarotti - Deborah Voigt

Viele große Interpreten bleiben hier unerwähnt. Doch YouTube bietet ja Stimmfetischisten und solchen, die es werden wollen, zahlreiche Möglichkeiten, sich einen eigenen weiterführenden Überblick zu verschaffen. Wenn "Eri tu" ein schönes Beispiel für eine große Sololeistung ist, dann zeigt das Duett "Teco io sto", wie sich zwei Sänger gegenseitig zu Höchstleistungen anspornen können. Amelia und Riccardo treffen auf einem unheilvollen Acker aufeinander. Sie fühlen sich stark zueinander hingezogen. Riccardo drängt Amelia, sich ihre Liebe zu ihm einzugestehen. Diese zögert aufgrund ihres Beziehungsstatus‘. Als sie sich nicht mehr zurückhalten kann und die drei großen Worte sagt, schaukeln sich beide im Testosteronüberschuss zu immer neuen Liebesbeweisen hoch. Und auch was die Tonhöhe anbetrifft, setzen Tenor und Sopran zum Gipfelsturm an, den sie schließlich mit einem gemeinsamen hohen C erklimmen. Luciano Pavarotti hatte das hohe C, davon kann man sich in vielen, auch Liveaufnahmen überzeugen. Doch im Herbst seiner Karriere saß es nicht mehr ganz so sattelfest. Birgit Nilsson amüsiert sich in ihrer Autobiografie "La Nilsson - ein Leben für die Oper" darüber, wie der große Pav, als sein C langsam zum H wird, sich gekonnt in den auftoupierten Haaren seiner fulminanten Partnerin Deborah Voigt versteckt und erst zum Applaus lächelnd wieder hervorlugt. Profi halt! Und das sind doch mitunter die schönsten Momente, wenn sichtbar wird, dass man es mit Menschen zu tun hat. Und so knackig r-rollend wie Pavarotti "irradiami d’amor, d’amor" singt, das muss ihm erstmal einer nachmachen!

Placido Domingo - Katia Ricciarelli

Von Domingo hieß es immer, er habe kein hohes C gehabt. In der Aufnahme mit Katia Ricciarelli singt er es auch nicht. Doch wenn man etwas in YouTube kramt, findet man Aufnahmen von "Teco io sto" des jungen Domingo, meist noch aus Lateinmerika, wo er strahlende, sichere Cs hören lässt. Halt alles eine Sache der Nerven! Unabhängig von diesen Einzeltönen, die zwar das Salz in der Suppe sind, aber natürlich nie das Urteil über eine gesamte Interpretation bestimmen dürfen, verkörpert Domingo in diesem Duett einen ungeheuren Thrill: Männlich, begehrend, unaufhaltsam stürmisch. Stellen wie "Quante volte dal cielo", mit einem blühenden, flammenden hohen A, so sehrend zu singen - mehr Temperament geht nicht. Die etwas kühle, unnahbare Ricciarelli als Gegenpol zum vor Leidenschaft wahnsinnigen Domingo macht die Kombination erst so richtig reizvoll. Und wenn sie mit ihrem Ausbruch "Si, t'amo" auch Feuer fängt, dann ist das einfach große Oper!

Maria Callas - Giuseppe di Stefano

Aufnahmen mit der Callas in all ihrer Dramatik zu beschreiben, ist ein eigenes Kapitel. Aber das Duett mit Giuseppe di Stefano - der großen Diva an Heißblütigkeit und Extravaganz in nichts nachstehend - zeigt, was passieren kann, wenn zwei Rampensäue aufeinandertreffen. Nachdem sich die Emotionen immer weiter hochgeschaukelt haben, setzt der Tenor zu einem hohen B an. Die Sopranistin toppt es mit einem H, bevor beide zum C übergehen. Di Stefano will der Callas zeigen, wo der Hammer hängt: Er pfeffert ihr H einfach mit hinaus und stiehlt ihr so die Show. Er war wohl der einzige Tenor, der das überlebt hat. Schade, dass der anschließende Zoff in der Garderobe nicht überliefert ist ...

Zusammenfassend bleibt zu sagen: Bei Verdi geht's stimmlich und dramatisch zur Sache, das ist nichts für schwache Nerven - sowohl bei den Sängern als auch den Zuschauern. Und gerade darum ist er so wunderbar!

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