BR-KLASSIK

Vor allem mit Klaviermusik von Johann Sebastian Bach wird der Name der chinesischen Pianistin Zhu Xiao-Mei verbunden. Zu Recht. Denn in den letzten zehn Jahren hat die schon lange in Paris lebende Musikerin für das Label Accentus vier Bach-Alben eingespielt: Die Kunst der Fuge, Inventionen und Sinfonias, die Goldberg-Variationen und zuletzt die Französischen Suiten. Nun legt Zhu Xiao-Mei ein weiteres Doppelalbum vor mit allen sechs Englischen Suiten von Johann Sebastian Bach.

Diese Musik von Johann Sebastian Bach fließt, wenn Zhu Xiao-Mei sie spielt. Und sie wird wunderbar transparent. "Für mich sind die Englischen Suiten eine Musik der Innerlichkeit…, nicht für große Konzertsäle", meint die Pianistin im CD-Booklet. Und so interpretiert sie Zhu Xiao-Mei auch, natürlich, unprätentiös und sehr fokussiert.

Die Karriere der Pianistin entwickelte sich in Paris

Zhu Xiao-Mei gilt als außergewöhnliche Pianistin und vielen Kennern schon lange als Geheimtipp. Das Repertoire ihrer seltenen Konzertauftritte konzentriert sich auf eine überschaubare Werkauswahl. Vor allem und immer wieder spielt sie Bach. Internationale Aufmerksamkeit und viel Lob bekam sie für ihre Einspielung der Goldberg-Variationen. Dabei sind die intensive Auseinandersetzung mit Bachs Musik und der künstlerische Weg dieser Pianistin eng verknüpft mit ihrer bewegenden Lebensgeschichte, die Xiao-Mei auch in ihrer Autobiographie "Von Mao zu Bach" niedergeschrieben hat. Während der chinesischen Kulturrevolution verbrachte sie fünf Jahre in einem Arbeitslager. Dort spielte sie nur heimlich und wenig Klavier. 1980 gelang die Flucht über Hongkong in die USA, wo sie ihr unterbrochenes Studium in Boston fortsetzen konnte. Mitte der 80er Jahre ließ sie sich in Paris nieder und beantragte die französische Staatsbürgerschaft. Hier entwickelte sich ohne große mediale Aufmerksamkeit und entgegen allen Trends ihre Karriere.

Eine fast demütige Beziehung zu Bach

Wenn Zhu Xiao-Mei Bach spielt, vermittelt sich eine existentielle Dimension, eine sehr ernsthafte und ja fast demütige Beziehung zu dieser Musik. Aufgenommen hat sie die sechs Englischen Suiten auf einem modernen Flügel in einer kleinen Kapelle in den französischen Alpen. Allein schon dieses bewusst gewählte Setting würde jeder auf Effekt zielenden Interpretation widersprechen, vor allem auch Xiao-Mei selbst. Sie besticht mit zurückgenommenen, aber wunderbar ausbalancierten Akzenten und sehr klarer und konturierter Stimmführung. Immer wieder schälen sich eine Mittel- oder Bassstimme heraus, wenn diese harmonisch von Belang sind. Das Pedal kommt ganz punktuell und wohl dosiert zum Einsatz und dient allein der differenzierten Klanggestaltung. So erschließen sich faszinierend Struktur und Charakter der verschiedenen Tanzsätze. Zeitlos relevant und logisch kommt einem diese Musik entgegen. Fazit: Wer diese Klaviermusik noch nicht kennt, sollte sie mit diesem Album unbedingt kennen und lieben lernen.

Sendung: "Piazza" am 23. November 2024 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK