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Album der Woche – Cuarteto Casals spielt Bach Die Kunst der Fuge

Gefühl und Verstand – im Leben ist das meistens ein unüberbrückbarer Gegensatz. Umso mehr fasziniert es, wenn beides zusammenkommt. Zum Beispiel in der Musik von Johann Sebastian Bach. Jetzt legt das Cuarteto Casals eine Neuaufnahme von Bachs wohl durchdachtestem Werk vor – der "Kunst der Fuge". Und hier trifft in der Tat Verstand auf Gefühl.

CD-Cover – Bach: Kunst der Fuge mit dem Cuarteto Casals | Bildquelle: Harmonia Mundi

Bildquelle: Harmonia Mundi

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Fragmente haben ihren eigenen Reiz. Vor allem, wenn sie mit Tod zu tun haben. Bachs "Kunst der Fuge" hat die Fantasie der Nachwelt ganz besonders beschäftigt. Der letzte Contrapunctus, eine unglaublich kunstvolle Fuge mit drei Themen, bricht plötzlich ab – ein magischer Moment, der bei jeder Aufführung für Gänsehaut sorgt. Was wäre da noch gekommen? Welche musikalischen Wunder hätte Bach, sozusagen an der Schwelle zum Jenseits, uns noch enthüllt?

Eine spannende Legende

Mitten in die Noten, da, wo Bachs Handschrift abbricht, schrieb sein Sohn Carl Philipp Emanuel eine bedeutungsschwere Bemerkung: "Nota bene. Über dieser Fuge, wo der Name B.A.C.H im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfasser gestorben." Stoff für eine eindrucksvolle Legende: Gerade hatte Bach also seinen eigenen Namen in Form der Noten B A C H aufs Papier geschrieben, da nahm auch schon Gevatter Tod dem Komponisten die Feder aus der Hand. Als hätte er mit letzter Kraft noch sein Testament signiert…

Kurz und bündig

Dieses Album hat gefehlt, weil …
… es kaum Alternativen in dieser Besetzung gibt: die Einspielung des Emerson Quartet ist arg in die Jahre gekommen.

Dieses Album hört man am besten …
… nach einem stressigen Tag, um den Kopf frei zu bekommen.

Dieses Album klingt gut, weil …
… die Raumakustik des Cardona-Klosters klar und warm zugleich ist.

Fragen über Fragen

Ganz so melodramatisch war es mit Sicherheit nicht. Bach begann die Arbeit an seiner Fugensammlung schon acht Jahre vor seinem Tod. Und in den Wochen unmittelbar davor konnte er nicht mehr arbeiten. Nach einer missglückten Augenoperation war er nahezu blind. Das Rätsel, wie die letzte Fuge geendet hätte, steht nicht allein. Weder der Anlass noch die Besetzung dieser einzigartigen Sammlung sind geklärt. Hatte Bach diese Fugen für Cembalo oder Orgel gedacht? Für Streichinstrumente? Gamben? Singstimmen? Niemand weiß es.

Undogmatische Interpretation

Sicher ist nur, dass die Besetzung mit Streichquartett ganz wunderbar klingt. Den Beweis dafür liefert das neue Album des Cuarteto Casals. Die vier Spanier haben sich intensiv mit der historischen Aufführungspraxis beschäftigt. Aber sie gehen ganz undogmatisch an Bachs Fugenwunder heran. Nicht strukturalistisch klingt das, mit pedantisch herausgestellten Themen und Umkehrungen, Vergrößerungen und Verkleinerungen, sondern ganz natürlich: atmend, musikantisch, gesanglich, verspielt, meditativ.

Unmittelbar körperliche Wirkung

Und so korrigiert das Cuarteto Calas ein verbreitetes Missverständnis: Diese Musik ist nicht abstrakt, keine klingende Mathematik. Ja, es stimmt, diese Kanons, Gegen- und Spiegelfugen sind nach geradezu irrwitzig strengen Regeln gebaut. Aber das eigentliche Wunder ist nicht, dass Bach irgendwelche selbstgestellten Rechenaufgaben löst. Sondern dass die strenge Form unter seiner Hand emotional aufblüht. Auf mich hat diese Musik eine unmittelbar körperliche Wirkung: Man atmet tiefer, alles ordnet sich, die Welt wird für ein paar Minuten geradegerückt, Gefühl und Verstand finden die Balance. Vorausgesetzt, sie wird so nobel, so durchdacht und sinnlich zugleich gespielt wie vom Cuarteto Casals.

Infos zur CD

Johann Sebastian Bach:
Die Kunst der Fuge
(Bearbeitung für Streichquartett)

Cuarteto Casals

Label: Harmonia Mundi

Sendung: "Piazza" am 15. Juli 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Montag, 17.Juli, 14:12 Uhr

Beate Schwärzler

Nur das Cover...

Sehr angetan und neugierig geworden von Bernhard Neuhoffs Besprechung ...
ziehe ich aber doch, rein äußerlich, die Covers der CD's des Katalanen Jordi Savall vor.
Von Mozarts "Requiem" beispielsweise.

So "schmeckt" der Tod nicht ganz so bitter.

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