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Kritik "Cavalleria rusticana" und "Pagliacci" in München Viel Bühnenbild, wenig Leidenschaft

Der italienische Regisseur Francesco Micheli hatte sich vorgenommen, die beiden Einakter "Cavalleria rusticana" und "Pagliacci" als Kommentar zur europäischen Migrationsgeschichte zwischen Palermo und München zu inszenieren. Doch dieser Anspruch erwies sich als zu ambitioniert. Der Beifall an der Bayerischen Staatsoper blieb höflich – trotz Startenor Jonas Kaufmann als "Bajazzo".

Cavalleria rusticana & Pagliacci | Bildquelle: Geoffroy Schied

Bildquelle: Geoffroy Schied

Manchmal sind Programmhefte ja deutlich interessanter als die dazugehörige Inszenierung, und das spricht zunächst mal gar nicht gegen die Inszenierung, sondern besagt nur, dass große Erwartungen geweckt werden, die dann nicht ganz eingelöst werden.

Inszenierung erzählt Migrationsgeschichte

Szene aus "Cavalleria rusticana / Pagliacci" an der Bayerischen Staatsoper, 2025 | Bildquelle: Geoffroy Schied "Pagliacci" im Restaurant: mit umhereilenden Kellnern und vielen Gästen. | Bildquelle: Geoffroy Schied Der italienische Regisseur Francesco Micheli und sein Dramaturg Alberto Mattioli wollten bei ihrer Inszenierung der beiden populären Einakter "Cavalleria rusticana" und "Pagliacci", auch bekannt als "Der Bajazzo", die europäische Migrationsgeschichte zum Thema machen, genauer gesagt die italienische Binnenwanderung vom Süden in den Norden, aber auch die Emigration nach Deutschland, in diesem Fall zwischen 1960 und 1970. Klingt spannend und aktuell, schließlich dominiert die Migration ganze Wahlkämpfe.

Damit beide Opern zu einer Geschichte verschmelzen, kommt der heißblütige Sizilianer Turiddu in diesem Fall am Ende der "Cavalleria Rusticana" nicht bei einem Duell ums Leben, wie es eigentlich vorgesehen ist, sondern setzt sich in den Zug von Palermo nach München, wo er als Gastronom dann aber auch nicht sonderlich glücklich wird.

Eisenbahn-Waggons auf der Bühne

Leider verheddert sich Regisseur Micheli szenisch total in seinem Konzept, offensichtlich, weil er viel zu viel auf einmal wollte. Bühnenbildner Edoardo Sanchi betrieb einen enormen Aufwand, ließ eine tonnenschwere Drehbühne vom Himmel schweben und ständig etliche Eisenbahn-Waggons wie auf einem Rangierbahnhof hin- und herschieben, Sinnbilder der Heimatlosigkeit. Das wirkte aber leider nur hektisch und "fahrig" im eigentlichen Sinn des Wortes.

"Cavalleria rusticana" in Schwarz-Weiß

E.BUACHIDZE R.PLOWRIGHT Y.MATOCHKINA | Bildquelle: Geoffroy Schied "Cavalleria rusticana" im archaischen Schwarz-Weiß soll an antikes Theater erinnern. Die Inszenierung ist an der Bayerischen Staatsoper zu sehen. | Bildquelle: Geoffroy Schied Obendrein sollte "Cavalleria rusticana" im archaischen Schwarz-Weiß an antikes Theater erinnern, was sich nur als denkbar öde und steril erwies. Bei den "Pagliacci" hantierte das Regieteam wahllos mit allerlei Italien-Klischees, ohne dass das zum Migrationsthema Erhellendes oder sonst wie emotional Bewegendes beitrug. Der Koffer ist längst ein theatralisch überstrapaziertes Requisit für Unbehaustheit geworden.

Premiere anhören

BR-KLASSIK hat die Premiere "Cavalleria rusticana" und "Pagliacci" am 22. Mai 2025 live aus dem Münchner Nationaltheater übertragen. In der Pause sprach Sylvia Schreiber mit der Mezzosopranistin Yulia Matochkina, dem Tenor Jonas Kaufmann, dem Bariton Wolfgang Koch, dem Dramaturgen Malte Krasting und dem Staatsintendanten Serge Dorny. Die Sendung können Sie hier 30 Tage lang nachhören.

Tempo und Klangbild beinahe träge

Der Applaus dafür blieb mäßig begeistert, woran Dirigent Daniele Rustioni nicht ganz unschuldig war. Von süditalienischer Heißblütigkeit war kaum etwas zu hören. Fast schon träge wirkten Tempo und Klangbild vor der Pause. Dabei brauchen Verismo-Opern doch eigentlich vulkanisches Temperament bis an die Grenze zur Persiflage. Die Geschichten als solche sind denkbar banal, mitreißend werden sie erst durch expressionistische Wucht und grelles Kolorit. Beides fehlte, musikalisch wie szenisch.

Jonas Kaufmann als "Bajazzo"

"Pagliacci" an der Bayerischen Staatsoper mit Jonas Kaufmann und Ailyn Perez | Bildquelle: Geoffroy Schied Jonas Kaufmann und Ailyn Pérez in "Pagliacci" an der Bayerischen Staatsoper. | Bildquelle: Geoffroy Schied Natürlich war die Neugier auf Star-Tenor Jonas Kaufmann groß, der neuerdings Intendant bei den Tiroler Festspielen in Erl ist und sich in Opernrollen rar macht. Er war als Bajazzo besetzt und hat den Vorteil, dass er Melancholie nicht angestrengt spielen muss, sondern auf seine dunkle, kraftvolle, sentimental anmutende Stimme vertrauen kann. In Interviews bekennt sich Kaufmann dazu, ungern zu proben und dafür lieber mal spontan zu improvisieren, was ja fesselnd sein kann. In diesem Fall allerdings bremste er diese Leidenschaft. Der Beifall blieb höflich bis freundlich, war aber keineswegs überschwänglich.

Interview mit Jonas Kaufmann

In der Neuinszenierung von "Pagliacci" gibt Jonas Kaufmann an der Bayerischen Staatsoper den Canio. Eine Partie, die etliche Tücken bereit hält, besonders in der berühmte Arie "Vesti la giubba", die der Startenor in der Küche zwischen Ricotta und Tomatensoße zum Besten geben wird. Zum Interview.

Wolfgang Koch in einer Doppelrolle

Wolfgang Koch und Jonas Kaufmann | Bildquelle: Geoffroy Schied Tonio (Wolfgang Koch) versorgt Canio (Jonas Kaufmann) mit pikanten Details über die untreue Ehefrau. Szene aus "Pagliacci" in München. | Bildquelle: Geoffroy Schied Dasselbe gilt für die beiden weiblichen Hauptrollen, die russische Sopranistin Yulia Matochkina als Santuzza und die Amerikanerin Ailyn Pérez als Nedda. Am meisten Eindruck machte einmal mehr Wolfgang Koch in der Doppelrolle der eifersüchtigen Bösewichte Alfio und Tonio.

Insgesamt ein Abend, der einen höchst zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Das Programmbuch jedoch ist eine wunderbare Lektüre: Dort wird zum Beispiel sehr plausibel der Unterschied zwischen dem literarischen und dem musikalischen Verismus erklärt: Während sich die italienischen Schriftsteller von der Gegenwart und ihren sozialen Problemen inspirieren ließen, entschieden sich die Komponisten vorsichtshalber doch lieber für die fernere Vergangenheit und ignorierten das Spannungsverhältnis von arm und reich. Dafür bekam Komponist Pietro Mascagni bei der Uraufführung der "Cavalleria" denn auch den Beifall der Königin!

Sendung: "Allegro" am 23. Mai 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (5)

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Freitag, 23.Mai, 15:18 Uhr

B. Weber

Kritik

Am Radio stellte sich bei mir insbesondere an den sehr bekannten Chorstellen Entsetzen ein. Da musste man genau hinhören, um zu erkennen, welche Oper gerade gesungen wurde. Stellenweise komplett mit dem Orchester auseinander und zu tief... wirkte sehr unterprobt!

Freitag, 23.Mai, 14:43 Uhr

Georg Asagaroff

Kritik Cav/Pag

Es gab heftigste Buhs für die Regie , aber sehr starken Beifall für den Dirigenten !

Freitag, 23.Mai, 12:58 Uhr

Gundi Schöps

Radioübertragung

Die Kritik spiegelt den Eindruck wider, den ich vom Hören der Übertragung im Radio bekommen hatte, vor allem die Cavalleria Rusticana klang für mich beinahe wie zu wenig geprobt.

Freitag, 23.Mai, 12:42 Uhr

Opernfreund

Cavalleria / Pagliacci

Ganz großes Kompliment für diese hervorragende Rezension. Treffender kann man über diese Inszenierung kaum schreiben. Zum Trost werden wir am nächsten freien Abend die DVD beider Opern ansehen/-hören (Regie: Zeffirelli - Canio und Turiddu Domingo - Nedda Stratas)

Freitag, 23.Mai, 09:38 Uhr

Barboncino

Programmbuch

Wenn das Programmbuch, jene "wunderbare Lektüre", der einzige Höhepunkt dieses Abends war, dann besorg ich es mir,leg eine klassische CD dieser beiden Verismo-Opern auf, mache es mir zu Hause gemütlich, genieße die Musik und halte mir so jeglichen Ärger über diese verkorkste Inszenierung vom Leibe.Regiebetreutes Denken möge genießen, wer will, aber ohne mich.

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