BR-KLASSIK

Inhalt

Jonas Kaufmann an der Bayerischen Staatsoper Arie mit Tomatensoße

In der Neuinszenierung von "Cavalleria rusticana / Pagliacci" gibt Jonas Kaufmann an der Bayerischen Staatsoper den Canio. Eine Partie, die etliche Tücken bereit hält, besonders in der berühmte Arie "Vesti la giubba", die der Startenor in der Küche zwischen Ricotta und Tomatensoße zum Besten geben wird.

Jonas Kaufmann | Bildquelle: Gregor Hohenberg/Sony Classical

Bildquelle: Gregor Hohenberg/Sony Classical

BR-KLASSIK: Herr Kaufmann, Sie gehen als Theaterleiter und als Clown auf die Bühne – und verlassen sie als Doppelmörder. Was passiert da auch musikalisch, wo ist der Knackpunkt, wo sich das Blatt wendet?

Jonas Kaufmann: Wir haben mit "Cavalleria" und "Pagliacci" die klassischste aller Kombinationen, und man versucht in dieser Inszenierung eine Stringenz in der Erzählung, also eine zweiteilige Geschichte derselben Person. Denn der Canio ist sozusagen mal der Turiddu gewesen und das Schicksal hat ihm ein ordentliches Paket geschnürt: die Begegnung mit Alfio und den mafiösen Strukturen Siziliens, das Abhandenkommen seiner Freundin. Und mit diesem Paket geht er in den zweiten Teil "Pagliacci", der ja an sich schon eine tragische Geschichte ist. Die eines ältlichen Theaterdirektors, der das junge Mädchen von der Straße, wie er sagt, aus dem Nichts aufgelesen hat und dann feststellen muss, dass sie seiner Kontrolle und auch seiner Liebe entgleitet – oder ihn vielleicht nie geliebt hat. Das kommt am Schluss alles sehr drastisch zum Ausdruck. Die Komponisten des Verismo haben mit Stilmitteln und Emotionen nicht gespart – dementsprechend kriegt man da schon Gänsehaut, wenn Canio plötzlich diesen mörderischen Blick bekommt und das Ganze beendet.  

Die Problematik, die dieses Stück tief im Inneren trägt, ist leider aktuell geblieben.
Jonas Kaufmann

BR-KLASSIK: In der heutigen Zeit würde man sich wahrscheinlich am Tisch zusammensetzen – so nach dem Motto: Was habe ich nicht, was dieser Silvio, Neddas Liebhaber, hat? Man würde versuchen, das auszudiskutieren, aber das wäre natürlich keine schöne Oper, oder?

Szene aus "Cavalleria rusticana / Pagliacci" an der Bayerischen Staatsoper, 2025 | Bildquelle: Geoffroy Schied Jonas Kaufmann singt die Rolle des Canio in der Oper "Pagliacci" an der Bayerischen Staatsoper. Premiere ist am 22. Mai. | Bildquelle: Geoffroy Schied Jonas Kaufmann: Eine Paartherapie oder ein Gespräch mit dem Scheidungsanwalt ist sicherlich nicht der zündende Opernstoff, den man sich gerne anschaut. Für mich hat Oper hat ja auch was von Katharsis. Wenn man sieht, wie auf der Bühne Probleme schlecht gelöst werden, geht man nach Hause und denkt sich: Wir machen das besser. Davon bin ich überzeugt. Leute, die sonntagabends "Tatort" schauen, werden ja auch nicht alle sofort zum Mörder. Unser Regisseur Francesco Micheli, der ja auch Italiener ist, hat immer gesagt, exakt so hätten seine Eltern gestritten. Drei- bis viermal die Woche standen sie sich am Tisch gegenüber, haben sich angeschrien und Vorwürfe gemacht, das war vollkommen normal. Micheli versucht auch ein bisschen, diesen Zeitgeist, den er als Kind und Jugendlicher mitbekommen hat, wieder aufleben zu lassen, weil man eben in der heutigen Zeit eigentlich vernünftiger miteinander umgehen sollte. Aber ich glaube, die Problematik, die dieses Stück tief im Inneren trägt, ist leider aktuell geblieben. Es gibt immer wieder Beziehungen, die in die Brüche gehen, ob nun der eine Bariton schuld ist, der sozusagen gepetzt hat, oder der andere Bariton, der der Liebhaber ist. Hier hat sich der Textdichter doch sehr stark an die Klischees gehalten: Die zwei Baritone machen gemeinsam den Tenor fertig. (lacht)

The show must go on

BR-KLASSIK: Es ist sogar noch was anderes, was heute in der Realität noch immer wieder auftaucht: dieses Spielen mit einer Maske. Man möchte nicht sein wahrhaftiges Gesicht zeigen. Also: Ich weine eigentlich innerlich, doch äußerlich lache ich.

Szene aus "Cavalleria rusticana / Pagliacci" an der Bayerischen Staatsoper, 2025 | Bildquelle: Geoffroy Schied Die Neuinszenierung von "Cavalleria rusticana / Pagliacci" hat am 22. Mai an der Bayerischen Staatsoper Premiere. | Bildquelle: Geoffroy Schied Jonas Kaufmann: Das ist auch das klassische Dilemma eines Clowns. Das kann die traurigste, tragischste, depressivste Person sein, aber die berufliche Aufgabe ist es eben, das Publikum zum Lachen zu bringen. Und Lachen ist ja nicht nur ein Ausdruck von Heiterkeit, sondern auch sehr oft von Schadenfreude. In Canios berühmter Arie "Vesti la giubba" spielt dieses klassische Klischee eine große Rolle. Der Betrogene muss gute Miene zum bösen Spiel machen, und die Leute im Publikum klopfen sich auf die Schenkel, weil sie ja wissen, dass der Nebenbuhler irgendwo im Schrank versteckt ist. Das Skurrile an dieser Geschichte ist, dass der Clown das nacherlebt und spielen muss, was ihm im wirklichen Leben gerade passiert ist. Diesen Spagat kennen sicherlich alle Künstler irgendwie: "The show must go on". Wenn man sich beispielsweise auf der Bühne verletzt und versucht, einfach die Zähne zusammenzubeißen und den Akt noch zu Ende zu bringen muss, um sich dann anschließend verarzten zu lassen, weil man dem Publikum nicht die Freude nehmen möchte. Oder der Clown, der zu Hause weint und sich dabei die Schminke ins Gesicht schmiert. Bei uns ist es noch nicht mal Schminke, bei uns ist es Ricotta und Tomatensauce, weil ich in dieser Inszenierung nämlich in der Küche die Arie singe.

BR-KLASSIK: Sie haben die bereits erwähnte Arie "Vesti la giubba" 2010 aufgenommen, 2015 dann auf der Bühne in Salzburg gesungen und seither immer wieder. Dieses Jahr ist sowieso Ihr "Pagliacci"-Jahr, oder?

Jonas Kaufmann: Ja, ich habe das Werk Anfang des Jahres in Wien aufgeführt, in einer wirklich wunderschönen alten Produktion von Jean-Pierre Ponnelle: sehr klassisch, mit allem Drum und Dran. Das ist auch manchmal schön.

BR-KLASSIK: Ohne Ricotta?

Jonas Kaufmann: Ohne Ricotta (lacht), sondern mit echter Schminke und mit dem Clown-Zahn, mit dem Kragen, mit dem Frack und den übergroßen Schuhen, wie man sich eben einen Clown vorstellt. Gott sei Dank sind mir diese Dinge nicht wirklich so passiert im Leben. Aber ein bisschen Verzweiflung, dass das Leben quasi an einem vorbeigestrichen ist, ohne dass man es festhalten konnte, schwingt ja in dieser Rolle auch mit. Das liegt mir natürlich jetzt näher als vor zehn Jahren oder vor fünfzehn Jahren. Wir haben hier in München eine einigermaßen moderne Inszenierung und jeder Regisseur versucht natürlich, dasselbe Rad wieder neu zu erfinden. Gleichzeitig ist bei solchen hochemotionalen Momenten wie dieser Arie weniger oft mehr. Es bedarf eigentlich nur der Selbstreflexion und der Ehrlichkeit, die diese Musik überhaupt braucht. Man kann sich keinesfalls darauf verlassen, dass alles so herrlich orchestriert ist und man einfach nur so tut, als ob. Es muss einen selbst schütteln, dann kommt das automatisch beim Publikum an. Aber man reift auch mit der Zeit und die tiefere Lage bekommt mehr Kraft, wohingegen man vielleicht als junger Mann noch Schwierigkeiten hat, über das doch sehr pompöse Orchester hinwegzukommen.

Es muss einen selbst schütteln, dann kommt das automatisch beim Publikum an.
Tenor Jonas Kaufmann

Bühnenbild akustisch nicht ideal gebaut

BR-KLASSIK: Wie funktioniert das akustisch? Haben Sie einen guten Draht zu jemandem im Publikum, der Ihnen ein bisschen die Akustik auslotet? Denn auf diese Arie wartet natürlich jeder.

Jonas Kaufmann: Es ist ja nicht nur die eine Arie, es sind mehrere Stücke. Ich habe natürlich schon genug Erfahrung, um dem Regisseur das eine oder andere zuzuflüstern. Grundsätzlich ist das Bühnenbild akustisch nicht ideal gebaut, sage ich mal vorsichtig … Es ist sehr offen. Es gibt eigentlich nichts, was einem seitlich oder hinten helfen könnte. Der Chor, der sehr weit hinten ist, hat auch immer wieder Schwierigkeiten gehabt, obwohl das wirklich viele Stimmen sind. Es ist zwar eine lustige Idee, aber es stellt sich dann immer die Frage, was Vorrang hat: Musik oder Szene. Daniele Rustioni ist ein großartiger Dirigent. Ich habe schon ein paar Mal mit ihm zusammengearbeitet. Insofern habe ich da keine Sorge.

BR-KLASSIK: Sie haben die offene Bühne angesprochen. In einer Szene sind vierzig Kinder auf der Bühne, dann noch der Chor und die Solistinnen und Solisten. Sie haben quasi Publikum auf der Bühne und im Saal.

Jonas Kaufmann: Ja, das stimmt – und dazu noch die Statisterie. Es ist ein Restaurant, das im "Pagliacci" eine Rolle spielt. Dementsprechend gibt es natürlich Kellner ohne Ende, die etwa die Pasta-Teller reintragen und den Wein servieren. Da ist wirklich viel los und auch sehr viel Verkehr. Man muss genau wissen, wo man steht. Sie werden es bei der Radio-Übertragung nicht hören, aber es gibt einige Züge, die in diesem Stück ankommen und auch wieder abfahren. Die müssen auch irgendwie ihren Platz in der Masse finden, nachdem es ja keine echten Gleise gibt. Das ist schon sehr spannend und technisch anspruchsvoll, dass da alles gut ineinandergreift. Innerhalb der Szene geht man da mal unter, weil eben an die hundert Leute auf der Bühne sind. Aber so ein Spektakel macht ja auch Spaß.

Sendung: Live aus dem Münchner Nationaltheater: "Cavalleria rusticana" / "Pagliacci" am 22. Mai 2025 ab 19:00 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

Bitte geben Sie höchstens 1000 Zeichen ein. (noch Zeichen)
Bitte beachten Sie, dass Ihr Kommentar vor der Veröffentlichung erst noch redaktionell geprüft wird. Hinweise zum Kommentieren finden Sie in den Kommentar-Richtlinien.

Spamschutz*

Bitte geben Sie das Ergebnis der folgenden Aufgabe in Ziffernschreibweise ein:

Vier minus eins ergibt?

Dienstag, 20.Mai, 11:26 Uhr

Rudi

Jonas. Kaufman

Sehr gut von Jonas beschrieben.
Man stelle sich die Opern gespielt auf dem Markusplatz in Venedig vor.
Ein Erlebnis, obwohl der Stoff nicht so lustig ist. Wünsche der Aufführung gutes gelingen.

Dienstag, 20.Mai, 10:58 Uhr

Barboncino

Vorrang

Vorrang: Musik oder Szene ? Oper ohne Musik nur mit Szene: Schwachsinn! Oper ohne Szene nur mit Musik, nicht ideal aber möglich, wie tausendfach schon bewiesen. Noch Fragen ?

Mehr zum Thema

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player