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Christian Gerhaher Erinnerungen an Dietrich Fischer-Dieskau

Er war ein Sänger der Superlative: Über 3.000 Lieder und zahlreiche Opernrollen hat Dietrich Fischer-Dieskau gesungen. Am 28. Mai wäre er 100 Jahre alt geworden. Der Bariton Christian Gerhaher erinnert sich an die Sängerlegende und erzählt im Interview, wie es war, bei Fischer-Dieskau zuhause Gesangsunterricht zu haben.

Christian Gerhaher | Bildquelle: © Thomas Egli

Bildquelle: © Thomas Egli

BR-KLASSIK: Herr Gerhaher, Sie hatten eine kurze Zeit bei Dietrich Fischer-Dieskau Gesangsunterricht. Wie kam es dazu?

Christian Gerhaher: Mein Klavierpartner Gerold Huber und ich, wir waren eine Zeit lang Gaststudenten an der damaligen Hochschule der Künste in Berlin, der heutigen Universität der Künste. Dort war Dietrich als Honorarprofessor angestellt und man durfte Unterricht bei ihm nehmen. Man ist zu ihm nach Hause ins Westend gekommen, in ein ganz edles, schickes Haus mit einem fantastischen Musikzimmer. Angegliedert, etwas erhöht, war eine Bibliothek. Es war ziemlich respekteinflößend: tolle Bilder, die ihm gewidmet waren, 1.500 Schallplatten und ein wunderschöner Flügel. Und Fischer-Dieskau war auch wahnsinnig nett zu uns.

Unterricht in Dietrich Fischer-Dieskaus Musikzimmer

BR-KLASSIK: Wie lief denn der Unterricht genau ab?

Christian Gerhaher: Dietrich Fischer-Dieskau hat ein bestimmtes Repertoire für Konzerte mit seiner Liedklasse verteilt und dann haben wir das erarbeitet. Wir haben eigentlich fast nur Schubert gemacht, soweit ich mich erinnere. Der Unterricht war gut und interessant, aber nichts Neues. Ich kannte wahnsinnig viele Aufnahmen von ihm. Insofern war es das, was ich erwartet habe. Aber es war toll, ihn kennenzulernen.

BR-KLASSIK: Warum endeten die Unterrichtsstunden wieder?

Christian Gerhaher: Ich habe damals in München Medizin studiert und hatte viele Prüfungen. Ich habe Fischer-Dieskau immer von der Telefonzelle vor meiner Bibliothek am Beethovenplatz angerufen, um Unterrichtszeiten zu vereinbaren, und dann hat er gesagt: "Kommen Sie an dem und dem Tag." Dann habe ich gesagt: "Das geht leider nicht, da habe ich Prüfung." Wir hatten ständig Prüfungen in Physiologie, in Anatomie und was weiß ich alles. Dann hat er einen anderen Termin vorgeschlagen. Da hatte ich aber leider auch eine Prüfung. Und dann hat er gesagt: "Dann lassen Sie es eben." Ich glaube, er hat er kein großes Verständnis dafür gehabt, dass man sich nicht ganz dem Gesang widmet und sich nicht von allem frei macht, um zu ihm zu kommen.

Er ist ein Solitär in dem, was er geleistet hat.
Christian Gerhaher über Dietrich Fischer-Dieskau

BR-KLASSIK: Es gibt viele Parallelen zwischen Ihnen und Dietrich-Fischer Dieskau. Sie haben sich als Sänger ebenfalls einen großen Ruf und auch ein großes Repertoire erarbeitet, reüssieren als Liedsänger und auf der Opernbühne. Welchen Einfluss hatte Dietrich Fischer-Dieskau auf Sie?

Christian Gerhaher: Es ist sehr nett, dass Sie mein berufliches Tun auch nur annähernd in Vergleich mit Fischer-Dieskau bringen. Ich freue mich, dass ich diese Repertoirevielfalt bedienen darf. Aber in der Repertoirefülle und fast enzyklopädischen Umfassung seiner Aufnahmetätigkeit kann ich mich überhaupt nicht mit Fischer-Dieskau vergleichen. Er ist ein Solitär in dem, was er geleistet hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nochmal jemanden geben wird, der eine derartige Leistungsbandbreite schaffen und dokumentieren kann, auch mit einer solchen Qualität.

Dietrich Fischer-Dieskau | Bildquelle: BR Dietrich Fischer-Dieskaus Repertoirefülle und intensive Aufnahmetätigkeit war außergewöhnlich. | Bildquelle: BR Meine Karriere ist ganz anders. Ich war durch andere Studien, durch gewisse Krankheiten und durch nicht vergleichbare Musikalität - ich spiele zum Beispiel kein Klavier - viel mehr gehindert, sowas zu tun. Ich hätte es wahrscheinlich auch geistig gar nicht gepackt, so viel Repertoire zu verarbeiten. Als ich studiert habe, gab es sehr viele Sänger, die man als Epigonen von Fischer-Dieskau bezeichnen konnte, mich inbegriffen. Ich finde es auch nicht problematisch, dass man sich einem Vorbild annähert in einer Phase, in der man sich selbst erstmal finden muss. Obwohl damals sehr vielen von uns vorgehalten wurde: "Ach, da ist jetzt auch wieder so ein Fischer-Dieskau-Abziehbild." Irgendwann hat man sich distanziert, was Eigenes entwickelt, was ja auch wichtig ist, um ein Sängerleben bestreiten zu können.

Dietrich Fischer-Dieskau auf BR-KLASSIK

"Klassik-Stars: Zum 100. Geburtstag von Dietrich Fischer-Dieskau" am 28. Mai 2025 ab 18:03 Uhr auf BR-KLASSIK

Fischer-Dieskau: Projektionskraft und Stimmgröße

BR-KLASSIK: Auf der Opernbühne war Dietrich Fischer-Dieskaus Stimme extrem gut rauszuhören, trotz Orchesterbegleitung. Woran lag das?

Christian Gerhaher: Diese ganz eigene Art, wie Fischer-Dieskau gesungen hat, beeindruckt mich bis heute. Er hatte diese Helligkeit in der Stimme, die eine natürliche Projektionskraft mit sich brachte. Ich habe ihn in einem seiner letzten Liederabende in der Deutschen Oper in Berlin gehört, mit der "Magelone". Ein starkes Werk, auch was die Sängerbeanspruchung betrifft. Ich saß zwar weit hinten, es klang aber alles absolut nah. Das ist eine Erfahrung, die nicht nur ich gemacht habe. Seine erstaunliche Projektionskraft und Stimmgröße befähigte ihn zu Unglaublichem, auch bei dramatischen Rollen. Eine Rolle, die ich persönlich nicht erlernt habe, die er aber häufig gesungen hat, war der Mandryka in "Arabella" von Richard Strauss. Eine sehr fordernde und sehr beanspruchende Partie. Sehr viele Kollegen haben sich an dieser Rolle die Zähne ausgebissen oder sich auch nachhaltig geschadet. Das war bei ihm nicht der Fall. Es wurde berichtet, wie mühelos er diese auch laute Partie bewältigt hat.

Diese ganz eigene Art, wie Fischer-Dieskau gesungen hat, beeindruckt mich bis heute.
Christian Gerhaher

BR-KLASSIK: Das Wort "manieriert" wird oft mit Dietrich Fischer-Dieskau in Verbindung gebracht. Ihm wurde unterstellt, dass die zum Ausdruck gebrachte sowohl intellektuelle als auch emotionale Durchdringung nur eine ästhetisch aufgesetzte Farbe war und nicht von Herzen kam. Was sagen Sie dazu?

Christian Gerhaher | Bildquelle: Thomas Egli Für den Bariton Christian Gerhaher ist Dietrich Fischer-Dieskau ein Phänomen. | Bildquelle: Thomas Egli Christian Gerhaher: Ich würde es als Sängerkollege so formulieren: Es ist nicht jedes Ergebnis "klanglich erfüllt". Das kann ja auch gar nicht anders sein, wenn man so unglaublich viel Repertoire aufnimmt, vieles sogar mehrfach. Er hatte eine Opernkarriere, die Schriftstellerei, Malerei, hat unterrichtet, später auch noch dirigiert, dann war er früh Witwer und musste sich um seine Söhne kümmern. Wenn man mit einer solchen vielfältigen Tätigkeit auch noch 3.000 Lieder aufnimmt, kann man sich überlegen, wie das in einer 40- oder 45-jährigen Karriere überhaupt in ein Leben reinpassen kann. Das Besondere am Kunstlied ist ja, dass jedes Lied eine eigene Klanglichkeit verlangt. Diese Singularität des Ausdrucks und der Bedeutung eines einzelnen Liedes bei 3.000 Aufnahmen zu bewerkstelligen – meiner Ansicht nach kann das nicht funktionieren. Trotz aller Bewunderung gibt es hier schon einige Aufnahmen, die ein gewisses Defizit an Aktualität erkennen lassen. Das führte zu einer gewissen Distanzierung von einem Teil des Publikums, aber auch von Kollegen. Ganz abgesehen davon, dass Fischer-Dieskau sagte: "Lied, Oper, alles ist mit derselben Stimme und mit derselben Technik zu singen." Das führte natürlich zu einer gewissen Erwartbarkeit dessen, was er mit einer Rolle oder mit einem Musikstück machen wird. Man könnte das als gewisse Manieriertheit bezeichnen.

Die Instanz Dietrich Fischer-Dieskau

BR-KLASSIK: Sie sind auch als Professor an der Hochschule für Musik und Theater München tätig. Verweisen Sie in Ihrem Unterricht auf Dietrich Fischer-Dieskau?

Christian Gerhaher: Ja, er ist schon präsent und hat eine übergeordnete Stellung. Die emotionale Nähe, die ich während meiner Jugend zu ihm hatte, empfinde ich jetzt als geringer. Aber die Instanz ist immer noch da.

Sendungen:
KlassikPlus: Zum 100. Geburtstag von Dietrich Fischer-Dieskau (I) am 23. Mai 2025 ab 18:03 auf BR-KLASSIK
KlassikPlus: Zum 100. Geburtstag von Dietrich Fischer-Dieskau (II) am 28. Mai 2025 ab 18:03 Uhr auf BR-KLASSIK

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