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Geigerin Anne-Sophie Mutter Über John Williams, Trump und Feminismus

Mit Musik von John Williams tourt die Geigerin Anne-Sophie Mutter im Sommer durch Bayern. Im Interview erzählt sie, was sie an dem Hollywood-Komponisten besonders schätzt. Und warum sie trotz Trump-Regierung weiterhin in die USA reist.

Anne-Sophie Mutter | Bildquelle: BR

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BR-KLASSIK: Anne-Sophie Mutter, Sie sind in diesem Sommer in mehreren bayerischen Städten zu erleben: Bad Kissingen, Altötting, Ingolstadt. Dort spielen Sie Musik von John Williams.

Anne-Sophie Mutter: John Williams hat mein Leben musikalisch begleitet. Ich wurde Fan von ihm, als "Star Wars" ins Kino kam. Aber ich hätte nie zu träumen gewagt, dass ich ihm mal begegne. Dann gab John 2020 sein Debüt bei den Wiener Philharmonikern und ich stand neben dem großen Meister auf der Bühne und spielte "Hedwig's Theme" aus Harry Potter. John hat immer so eine unfassbare Freude am Musizieren. Er schaute beim Dirigieren kurz rüber und lächelte verschmitzt. Im Publikum saßen auch meine Kinder und mir kamen fast die Tränen. Diese Musik hat so viele Generationen berührt! Sie kann eine Brücke sein zwischen dem traditionellen klassischen Publikum, wenn man das so ausdrücken möchte, und einer breiteren Gruppe von Musikliebhabern. Für beide Seiten eine große Bereicherung!

Anne-Sophie Mutter verehrt den Komponisten John Williams

BR-KLASSIK: Wie erleben Sie John Williams, was ist er für ein Typ?

Anne Sophie Mutter und John Williams im Januar 2020 mit den Wiener Philharmonikern. Bild aus dem Konzertmitschnitt "John Williams - Live in Vienna" | Bildquelle: Deutsche Grammophon Anne Sophie Mutter und John Williams im Januar 2020 mit den Wiener Philharmonikern. | Bildquelle: Deutsche Grammophon Anne-Sophie Mutter: Er ist ein sehr zurückhaltender Herr, unfassbar liebenswürdig allen gegenüber und sehr großzügig. Ein Lieblingsmotto von ihm, mit dem er auch oft seine Briefe oder E-Mails schließt, ist "onwards and upwards we must go". Also immer positiv und als Musiker wahnsinnig neugierig. Da kann ich ein Beispiel geben: Ich habe sein Violinkonzert Nr. 2 uraufgeführt und sehr oft in Amerika im Konzert gespielt. Entweder dirigierte er selbst oder er saß im Publikum. Nach jeder Aufführung ging John zurück zur Partitur und hat etwas verändert, weil er nicht zufrieden war. Ich fand das Werk immer großartig, aber ich habe dann im Rückblick verstanden, warum er diese Änderungen vorgenommen hat. Da ging es oft einfach um Transparenz für die Solo-Geige. Wenn man zum Beispiel in der Orchesterstimme ein durchgehendes Pianissimo in allen Stimmen schreibt, dann kommt immer ein Mezzoforte heraus. John ist unter anderem diesem "Problem" Herr geworden, indem er einfach umorchestriert hat.

Weiterhin Konzerte in den USA

BR-KLASSIK: Sie waren schon sehr häufig in den USA auf Tournee. Die Einreise in das Land ist ja auf einmal ein Politikum geworden ist. Haben Sie eine Veränderung der politischen Stimmung wahrgenommen?

Anne-Sophie Mutter: Ich bin im April in die USA eingereist, um mit Lambert Orkis Rezitals zu spielen. Und kürzlich war ich wieder für eine Tournee mit Pablo Ferrández und Yefim Bronfman dort. Lambert und ich hatten bei unserer Rezital-Tournee den Eindruck, dass Musik wichtiger ist denn je in Amerika. So ein Programm mit Mozart und Schubert-Fantasie ist ja nun keine leichte Kost, aber das Publikum war unfassbar konzentriert und schon fast verzweifelt leidenschaftlich. Wir haben auch an zwei Universitäten gespielt und danach mit den Dekanen geredet. Sie haben sich alle sehr leidenschaftlich für die Verbindung nach Deutschland und nach Europa ausgesprochen und für den unbedingt notwendigen kulturellen Dialog.

Musik schafft einen Raum, in dem wir uns treffen und in dem wir ungeachtet unserer politischen Meinungen eins werden können.
Anne-Sophie Mutter

BR-KLASSIK: Die Universitäten stehen ja sehr unter Druck durch Trump.

Anne-Sophie Mutter | Bildquelle: BR Geigerin Anne-Sophie Mutter: Musik schafft einen Raum für Dialog, auch bei unterschiedlichen politischen Ansichten. | Bildquelle: BR Anne-Sophie Mutter: Genau. Die Dekane waren dankbar, dass es diesen Austausch noch gibt, dass man nicht alle über einen Kamm schert und sie für uns in Europa noch existieren. Wir dürfen ja nicht vergessen: 48 Prozent der Amerikaner haben sich eine andere politische Entscheidung gewünscht. Ich bin der Meinung, dass es gerade jetzt wichtig ist, den Dialog offen zu halten mit den Künstlern und Menschen, die unter der Situation sehr leiden. Musik ist tatsächlich immer noch die Brücke. Sie schafft einen Raum, in dem wir uns treffen und in dem wir ungeachtet unserer politischen Meinungen eins werden können. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Kulturförderung in privater Hand ist. Wir hoffen natürlich, dass diese private Hand auch weiter philanthropisch agiert und dass wir, wenn wir jetzt nur von der Kunst sprechen, durch diese nächsten Jahre kommen.

BR-KLASSIK: Der Geiger Christian Tetzlaff gibt gerade keine Konzerte mehr in den USA; der Pianist András Schiff hat sich dem angeschlossen. Können Sie so eine Haltung verstehen, auch wenn es nicht Ihr Weg ist?

Anne-Sophie Mutter: Man muss so eine Haltung dann auch wirklich konsequent durchziehen. Und wir müssen auch vor unserer eigenen Tür kehren. Wo beginne ich, mich über politische Systeme zu erheben und zu sagen, die Menschen dort sind mir egal? Das ist im Moment nicht mein Weg. Ich möchte den Weg der Offenheit.

BR-KLASSIK: Und bezogen auf Russland?

Anne-Sophie Mutter: Russland ist mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine für mich absolut ausgeschlossen. Da muss man dann eine Abwägung treffen. Es ist eine sehr persönliche Entscheidung.

Anne-Sophie Mutter wünscht sich mehr Sichtbarkeit von Frauen im Musikbetrieb

BR-KLASSIK: Sie haben gerade die private Hand erwähnt, die in den USA Kultur fördert. Es kam schon vor, dass Sponsoren ihre Unterstützung zurückgezogen haben, weil ihnen zum Beispiel eine Inszenierung nicht gepasst hat. Da denken wir aus der europäischen Perspektive gleich: Private Kulturförderung schränkt künstlerische Freiheit ein. Jetzt ist es in den USA andersherum: Die künstlerische Freiheit wird gerade dadurch gewährleistet, dass Kulturförderung in privater Hand ist und nicht in staatlicher.

Anne-Sophie Mutter: Und in Amerika gab es ja auch die sogenannte Diversity-Bewegung und die Inklusionsbewegung viel früher als in Europa. Da ist der Prozentsatz an Komponistinnen, Dirigentinnen und Composers of Colour viel höher als bei uns. Man könnte natürlich anmerken, dass das per Dekret durchgesetzt worden ist. Egal. Das Ergebnis ist, dass sich das Repertoire verbreitert hat und dass es eine viel größere Chancengleichheit gibt.

BR-KLASSIK: Und das finden Sie gut?

Anne-Sophie Mutter: Ja, das finde ich sehr gut. Ich gehe auch nicht zufällig mit Lina Gonzalez-Granados auf Tournee. Sie ist eine junge kolumbianische Dirigentin, die ich als Assistentin bei Riccardo Muti erlebt habe. Ich finde sie eine faszinierende Frau und eine großartige, sehr strukturierte, wirklich sensible Interpretin. Deshalb war sie meine Wunschdirigentin für diese John-Williams-Tournee. Sie hat auch in Johns Gegenwart eine Probe seines Violinkonzerts in New York geleitet und sozusagen seinen "Ritterschlag" bekommen.

Anne-Sophie Mutter: Konzerte in Bayern

John Williams "Across the Stars"
Royal Philharmonic Orchestra
Solistin: Anne-Sophie Mutter
Dirigentin: Lina González-Granado

6. Juli: Bad Kissingen, Max-Littmann-Saal
9. Juli: Altötting, Kapellplatz (Open Air)
10. Juli: Ingolstadt, Stadttheater

Alle Konzerttermine von Anne-Sophie Mutter finden Sie hier.

BR-KLASSIK: Würden Sie sich selbst als Feministin bezeichnen?

Anne-Sophie Mutter | Bildquelle: © Copyrights The Japan Art Association / The Sankei Shimbun (2019) Anne-Sophie Mutter setzt sich für die Sichtbarkeit von Frauen im Musikbusiness ein. | Bildquelle: © Copyrights The Japan Art Association / The Sankei Shimbun (2019) Anne-Sophie Mutter: Ich muss gestehen, dass ich immer der Meinung war, Frauen würden sich durchsetzen, Leistung würde sich durchsetzen. Ich dachte, es ist der richtige Weg, wenn man einfach den Menschen sieht, ungeachtet des Geschlechts, des Alters oder der Herkunft. Aber da war ich komplett blauäugig. Denn es gibt zu wenige, die das so sehen und das hilft natürlich nicht. Da muss man schon sehr viel proaktiver werden. Ein bisschen mit dem Bulldozer Schneisen schlagen. Jetzt tue ich das.

Dirigierstab statt Geige? Keine Option für Anne-Sophie Mutter

BR-KLASSIK: Hätten Sie selber mal Lust zu dirigieren? Sie leiten ja "Mutters Virtuosi", aber vom Instrument aus.

Anne-Sophie Mutter: Genau, nach dem Motto "Primus Inter Pares" wie bei den Mozart-Konzerten. Ich habe, als ich noch sehr viel jünger war, mal vom Instrument aus die Wiener Philharmoniker geleitet. Das war der Sprung ins kalte Wasser. Aber ich liebe kaltes Wasser (lacht). Ja, dirigieren ist faszinierend. Das Repertoire ist einfach unerschöpflich. Aber es ist ein völlig anderer Lebensweg und würde ein zusätzliches, profundes Studium erfordern. Ich gehöre nicht zu den Geigern, die finden, dass man einfach so nebenher zu dirigieren beginnen kann, wenn es vielleicht mit dem eigenen Geigenspiel ein bisschen eng wird. Für mich ist die Geige ein nach wie vor unerschöpflich faszinierendes Instrument. Ich kann auch da so viel lernen und möchte mich nicht verzetteln. In einem anderen Leben vielleicht.

Ich liebe es, Menschen zusammenzubringen und zu inspirieren.
Anne-Sophie Mutter

BR-KLASSIK: Als eines Ihrer Lieblingsbücher nennen Sie "Briefe an einen jungen Dichter" von Rainer Maria Rilke. Da warnt er den jungen Kollegen: Pass auf, du musst es nur dann machen, wenn du das Gefühl hast, du kannst gar nicht anders als das zu müssen.

Anne-Sophie Mutter: Genau, da war dieser Satz: Stelle dir die Frage, ob du schreibst, um zu leben oder ob du lebst, um zu schreiben.

BR-KLASSIK: Leben Sie, um Geige zu spielen?

Solistin: Geigerin Anne-Sophie Mutter. | Bildquelle: BR /Tobias Hase/Tobias Hase Die Geigerin Anne-Sophie Mutter bei einem Benefizkonzert für die Ukraine, 2022 | Bildquelle: BR /Tobias Hase/Tobias Hase Anne-Sophie Mutter: Ich liebe Menschen. Ich liebe es, Menschen zusammenzubringen. Ich liebe es, Menschen zu inspirieren. Ich liebe die Gemeinschaft. Und Musik ist für mich das Bindeglied, das es mir ermöglicht, in der Gemeinschaft Dinge zu gestalten, Menschen zu berühren, durch Benefizprojekte etwas zu verändern, Häuser zu bauen, Menschen mit besonderen Bedürfnissen ins Zentrum zu rücken. Ich finde Musik etwas wahnsinnig Aufregendes, weil sie uns so kalt erwischt. Man kann sich ihrem Zauber nicht entziehen. Dadurch werden wir für einen Moment alle durchlässiger. Und dieses Durchlässigerwerden und Hereinlassen des anderen ist etwas, wovon wir definitiv mehr brauchen.

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