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Album der Woche – Christian Gerhaher singt Lieder von Brahms

Kaum ein Sänger-Pianisten-Duo wird so hochgeschätzt wie Christian Gerhaher und Gerold Huber. Nach einem intensiven Schumann-Projekt haben sie sich jetzt den Liedern von Johannes Brahms gewidmet, und speziell dem "Volkston" bei Brahms, der Zeit seines Lebens ein großer Sammler von Volksliedern war. Doch gerade auf diesen – bei Brahms auch immer sehr ungewöhnlichen Volkston – finden Gerhaher und Huber einen beinahe gesellschaftspolitischen Blick.

Bildquelle: Sony Classical

Der Beitrag zum Anhören

Der Volkston bei Brahms ist düster. So zumindest wie ihn Christian Gerhaher und Gerold Huber nun zusammengestellt haben. Hier ist nichts mehr mit "Im wunderschönen Monat Mai". Von seinem Mentor Schumann hat sich Brahms in diesen Liedern weit entfernt. Sie sind direkt, nahbar, fassbar – er gibt sich konsequent den dunklen Strudeln des Lebens hin.

Brahms schrieb eine höchst verwundbare Musik

Sechs Lieder, nach Volksliedern und aus "Des Knaben Wunderhorn", eröffnen das Album. Ton und Stimmung sind gesetzt: Unerfüllte Sehnsucht und Endlichkeit. Und doch ist das in der Tiefe alles andere als eindeutig. Brahms hat hier eine fast seltsame Zwischenform komponiert. Er ist viel näher, viel weniger artifiziell als Schumann. Spielt aber gleichzeitig noch lange nicht so bewusst, so ausgestellt mit dem Volksliedhaften wie Gustav Mahler. Brahms hat eine höchst verwundbare Musik geschaffen. Ein Gegenmoment zu seinen formal brillanten, austarierten und streng gesetzten Symphonien.

Inhalte zwischen zwischen Liebesleben und Gesellschaftsleben

Es folgen die "Neun Lieder und Gesänge", op 32, die Brahms 1864 in Baden-Baden vollendete – und in unmittelbarer Nähe zu Clara Schumann. Sie sind, nach Gedichten von Platen und Daumer, harmonisch eine Spur komplexer, anspruchsvoller. Doch die Zwischenform findet sich auch hier, zwischen Liebesleben und Gesellschaftsleben. Zwischen Privatheit und Politik, wo die Liebe zwischen Clara Schumann und Brahms ebenso stecken blieb, wie die gesellschaftlichen Umwälzungen des Vormärz im Biedermeier.

Gehaher kennt das Leiden

Christian Gerhaher und Gerold Huber sind heute die idealen Interpreten dafür. Denn es ist nicht nur das Austarieren zwischen Text und Musik, zwischen Melodik und Begleitung, zwischen Inhalt und Form, das ihnen auch in dieser Aufnahme wieder wie selbstverständlich in die Musik fließt. Es hat auch mit Intellekt und Reflektion zu tun. Gerhaher kippt nicht in die Strudel, die Brahms da komponiert hat. Er kennt das Leiden, er spürt dem nach, aber er zelebriert es im Moment der Aufführung nicht. Es ist wie ein feines Wissen darum, jedoch ohne sich vollends darin zu produzieren oder zu verlieren.

Die Interpretationen werden dem Volkston gerecht

Und so werden die beiden in ihrer Interpretation dem "Volkston" gerade deshalb gerecht, weil sie eine Spur allgemeiner auf die Musik blicken. Der Volkston ist nicht nur ein Einzelner – egal ob Leidender oder Wonniger – der Volkston spiegelt im Volk auch die Gesellschaft. Und die befindet sich Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts, nach dem Vormärz, aber während der industriellen Revolution im privaten Rückzug. In einer Art undefiniertem Zwischenraum.

Brahms' Kunst zwischen Biedermeier und Aufbruch

Nach dem selten gehörten "Regenlied-Zyklus", folgt am Ende der Blick zurück zu den Volkslied-Vertonungen von Brahms. Und selten spürt man den Komponisten Johannes Brahms und seine Kunst zwischen Biedermeier und Aufbruch, zwischen Sinnlichkeit und Formstrenge so deutlich heraus wie auf diesem Album.

Infos zur CD

Johanns Brahms:
Lieder

Christian Gerhaher (Bariton)
Gerold Huber (Klavier)

Label: Sony Classical

Sendung: "Piazza" am 24. Januar 2025 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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