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Album der Woche – John Eliot Gardiner dirigiert Brahms – Die vier Symphonien

Mit 82 Jahren arbeitet er noch immer an seinem Comeback: der legendäre Britische Dirigent John Eliot Gardiner. Im Sommer 2023 hatte er hinter der Bühne einen Sänger geohrfeigt. Gardiner entschuldigte sich und ging in Therapie. Seit letztem Winter tritt er wieder auf. Nun legt sein erstes Album nach der Auszeit vor: die vier Brahms-Symphonien mit dem Concertgebouw Orchestra Amsterdam.

Bildquelle: DGG

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Diese Gesamteinspielung der Brahms-Symphonien gehört zu den allerbesten, ein Höhepunkt der langen Aufnahmegeschichte dieser Herzstücke des klassischen Repertoires. Eigentlich müsste John Eliot Gardiner damit auf dem Gipfel seines Ruhms stehen. Ein Pionier der Alte-Musik-Bewegung, Gründer überragender Ensembles, Buchautor, Festivalleiter. Und Biobauer – das ist er auch noch: Auf den Gütern seiner Familie in der Grafschaft Dorset hat Gardiner eine ökologische Rinder- und Schafzucht aufgebaut.

John Eliot Gardiners Resozialisation?

Wie resozialisiert man einen jähzornigen Dirigenten? Eine gar nicht so leicht zu beantwortende Frage. Zwar geht Gardiner wieder auf Tournee, mit einem kürzlich von ihm gegründeten Ensemble. Aber die etablierten Orchester, bei denen er früher ein und ausging, halten sich mit Einladungen nach wie vor zurück. Nach der fatalen Ohrfeige und der öffentlichen Entschuldigung war Gardiner für ein Jahr in Therapie gegangen. Doch statt der angekündigten Rückkehr zu seinem Monteverdi-Orchester kam es 2024 zum Rücktritt. Offenbar in Disharmonie. Gardiner gründete neue Ensembles und machte damit seinen alten Konkurrenz. Alles traurig und bitter. Ob das noch mal gut wird?

Gardiners zweiter Brahms-Zyklus

Eine offene Frage. Sicher ist: Gardiners Erbe bleibt. Seine Aufnahmen von Bach, Beethoven und Monteverdi sind Meilensteine. Die vier Brahms-Symphonien hatte er bereits 2010 mit dem von ihm gegründeten Orchestre Révolutionnaire et Romantique eingespielt, damals auf historischen Instrumenten – was bei Brahms unter anderem heißt, dass die Streicher auf Darmsaiten spielen. Nun legt er einen zweiten Zyklus vor mit einem konventionellen Orchester, dem Amsterdamer Concertgebouw. Es sind Konzert-Mitschnitte, entstanden 2022 bis 2023. Zur brillanten Durchsichtigkeit des Klangs kommt bei diesen Live-Aufnahmen eine große Wärme im Klang hinzu. Und ungeschützte Emotionalität. Gardiner lässt los, taucht ein, reißt mit.

Ein absolut zwingender formaler Verlauf

Immer wieder entdeckt das Ohr funkelnde Details (etwa wenn mitten im Orchestertutti gegenläufige Rhythmen aufblitzen). Im Tempo ist er viel freier als früher. Aber nie verzettelt sich Gardiner in den Einzelheiten. Jeder Satz folgt einem absolut zwingenden Verlauf, wie ein Fluss, der sich in einer abwechslungsreichen Landschaft seinen Weg sucht und in jeder Wendung einfach nur dem natürlichen Gefälle folgt.

Keine Sentimentalitäten

Gardiner neigt ja nicht zu Sentimentalitäten. Hier nimmt er sich, anders als früher, in manchen Sätzen alle Zeit der Welt, wenn sich Brahms' Musik in Melancholie verströmt. Und er findet zu berührend zärtlichen Klängen. Aber in keinem Takt klingt Gardiners Brahms bürgerlich behäbig oder selbstzufrieden. Immer wieder treibt er die Musik unerbittlich nach vorn. Dann ist alles Puls und Drama. Kurz: Wer Brahms liebt, sollte das hören.

Infos zur CD

Johannes Brahms:
Die vier Symphonien

Royal Concertgebouw Orchestra
Leitung: Sir John Eliot Gardiner

Label: DGG

Sendung: "Piazza" am 31. Mai 2025 ab 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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