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Axel Brüggemann über sein neues Buch Die Zwei-Klassik-Gesellschaft

Deutschland versteht sich als Kulturnation. Doch ist sie es wirklich? Wenn ja, wie lange noch? Der Kulturjournalist Axel Brüggemann durchleuchtet die deutsche Kulturszene - und sieht akuten Handlungsbedarf. Deswegen hat er ein Buch geschrieben mit dem Titel "Die Zwei-Klassik-Gesellschaft".

Autor und Journalist Axel Brüggemann | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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BR-KLASSIK: Herr Brüggemann, was war eigentlich die Grundlage für Ihr neues Buch?

Axel Brüggemann: Ich spreche von der sterbenden Generation, das ist – viele Intendantinnen und Intendanten sagen das auch - das graue Meer im Publikum, die älteren Damen und Herren, die wie ich mit 51 Jahren die Theater als ehrwürdige Kulturanstalten begreifen. Bis zu unserem Tod werden wir da drin sitzen. Punkt, fertig, aus. Aber wir wollen es ja auch irgendwie vererben. Und die Frage ist: Was machen denn die Erben? Was macht die letzte Generation eigentlich mit unserer Fackel? Also nennen wir mal Greta Thunberg: Du Greta, du bekommst für drei Wochen ein Theater. Was machst du da? Und da würde Greta wahrscheinlich sagen: Tut mir leid, Axel, echt vielen Dank. Aber ich habe die Straße, ich gehe zu Markus Lanz. Ich bin in der Süddeutschen. Ich brauche dein Theater gar nicht, um Gesellschaft zu debattieren. Das zeigt: Hier gibt es bald eine Leerstelle. Und das ist eine grundlegende Frage: Wozu brauchen wir Theater in Zukunft? Wozu brauchen wir Kultur in Zukunft? Soll sie noch unsere Gesellschaft debattieren und Visionen für unsere Gesellschaft schaffen?

Woran krankt die deutsche Kulturlandschaft?

BR-KLASSIK: Hoffentlich ja. Aber die Frage ist natürlich: Um etwas zu verändern, muss man erst mal eine Diagnose stellen und dann eine Therapie verordnen. Der Untertitel Ihres Buches lautet: „Wie wir unsere Musikkultur retten.“ Was ist die Diagnose, die sie der deutschen Kulturlandschaft ausstellen? Woran krankt die deutsche Kulturlandschaft?

Axel Brüggemann: Diagnosen tun ja manchmal noch mehr weh als die Symptome. Doch wenn man sie nicht angeht, dann liegt man schon im Sterben. Ich habe versucht, das in zehn unterschiedlichen Kapiteln aufzuarbeiten. Und natürlich geht es um diese aktuelle Generationenfrage. Ein großes Kapitel geht beispielsweise über die musikalische Bildung. Und dann sehen wir, dass fast 50 Prozent des Musikunterrichts in deutschen Grundschulen ausfällt. Das sollen jetzt irgendwelche Orchester und Theater übernehmen. Die schaffen das natürlich nicht. Und dann frage ich mich schon: Wer soll denn in Deutschland, im Land von Brahms, Bach und Beethoven überhaupt noch für die Musik kämpfen? Wenn das schon in der Schule nicht vermittelt wird? Es geht um Fragen wie: Gibt es überhaupt einen Musikjournalismus? Die Unterhaltungsindustrie und die Kulturindustrie haben in Deutschland einen größeren Umsatz als die Autoindustrie. Aber es gibt überhaupt gar keinen investigativen Journalismus, der fragt: Warum gibt es eigentlich so viele MeToo-Fälle an deutschen Kulturinstitutionen? Warum haben deutsche Kulturunternehmen keine Unternehmenskultur? Wir kreisen um die Frage: Wie bilden wir eigentlich den Nachwuchs an den Musikhochschulen aus? Und wenn wir das alles nicht auf die Reihe kriegen? Dann brauchen wir uns natürlich auch nicht wundern, wenn in Düsseldorf abends um 20 Uhr kein Mensch mehr „Die Hugenotten“ sehen will.

Diagnosen tun ja manchmal noch mehr weh als die Symptome.
Axel Brüggemann

BR-KLASSIK: Es gibt natürlich auch noch die Themen Klimawandel und Politik. Da beschweren sich auch viele und sagen, die Klassikwelt macht überhaupt nichts oder die Kulturwelt viel, viel, viel zu wenig. Das wird auch verhandelt in ihrem Buch?

Axel Brüggemann: Absolut. Klimawandel beziehungsweise nachhaltiges Produzieren wird auch in zwei Kapiteln abgehandelt. Wir reisen mit großen Orchestern durch die Weltgeschichte - die Bamberger Symphoniker reisen nach China, die Staatskapelle Dresden reist nach New York. Ist das immer nötig? Man kann das natürlich legitimieren.

Buch-Cover "Die Zwei-Klassik-Gesellschaft", Axel Brüggemann | Bildquelle: FAZ Axel Brüggemanns neues Buch: "Die Zwei-Klassik-Gesellschaft - Wie wir unsere Musikkultur retten". (248 Seiten, erschienen bei FAZ Buch, 24 Euro) | Bildquelle: FAZ Aber es geht auch um unsere Häuser, die alle in der Nachkriegszeit entstanden sind beziehungsweise renoviert wurden. Die bröckeln, werden marode und entsprechen überhaupt nicht den aktuellen Nachhaltigkeitsstandards. Wir sehen das alle an unseren Heizungen zu Hause, wie teuer das sein kann, wenn man so etwas auf den aktuellen Stand bringen will. Unsere Theater stehen vor gigantischen Investitionen. Es gibt Kulturbauten, da geht es um Milliarden. Da wird natürlich ein öffentlicher Druck entstehen, und es wird gefragt werden: Wollen wir uns das eigentlich wirklich noch leisten? Denn das ist ja, was Deutschland tut. Deutschland leistet sich durch seine Bürgerinnen und Bürger, durch unsere Steuern, Kultur zur Debatte und auch zum Scheitern. Wir leisten uns Opernhäuser und Orchester ja nicht, um Entertainment zu haben. Da können wir auch ins Musicaltheater oder in Popkonzerte gehen, sondern wir glauben ja noch daran, dass Theater und Opernhäuser Orte sind, an denen wir mit unserer Gesellschaft experimentell umgehen können - und eben auch scheitern können. Wenn wir das berücksichtigen, dann schaffen wir es vielleicht auch, Menschen zu begeistern und können sagen: Ja, das mit der Kita ist schwierig - aber können wir nicht versuchen, die Kita UND das Theater zu retten?

Mut zum Scheitern

BR-KLASSIK: Und auch alle ins Boot zu holen! Denn hier leben ja auch sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund, die in weiten Teilen gar nicht an der Kultur teilnehmen können und auch gar nicht eingeladen sind. Da ist auch eine ganze Menge zu tun. Haben Sie vielleicht noch drei knackige Punkte: Was schlagen Sie vor? Therapie für die deutsche Kulturlandschaft.

Axel Brüggemann: Rücksichtslose Diskussion, Mut zum Scheitern, Mut zu seiner Meinung zu stehen, aber auch den anderen zuzuhören. Wir brauchen diese Diskussionskultur. Denn wenn die Kultur eines lernen und lehren kann: Wir können diskutieren. Lasst uns alles hemmungslos ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Angst auf den Prüfstand stellen - und als Kulturgesellschaft, die wir in Deutschland sind, auch jeden integrieren, um über den Sinn und die Sinnhaftigkeit und die Zukunft unserer Kultur zu debattieren.

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