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"Aida" an der Bayerischen Staatsoper Vor dem emotionalen Scherbenhaufen

Verdi selbst mochte das Libretto gar nicht so sehr. Doch "Aida" gehört zu den größten Erfolgen der Operngeschichte. An der Bayerischen Staatsoper gibt es jetzt eine Neuinszenierung. Doch wie geht man heutzutage mit Kriegstriumph, Ägypten-Klischees und Aida-Trompeten um?

Szene aus "Aida" 2023 an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Wer in der neuen "Aida" ein Sammelsurium an ägyptischem Klimbim erwartet, der hat auf den falschen Elefanten gesetzt. Regisseur Damiano Michieletto, der 2019 in Salzburg "Alcina" inszenierte, schaut in seiner Inszenierung hinter die Masken des Pharaonenclans. "Mich interessieren mythologische oder archäologische Symbole aus dem alten Ägypten überhaupt nicht. Bei mir gibt es keine Statuen, keine Hieroglyphen, nichts Goldenes. Die Menschlichkeit aller Figuren in der Oper, das ist die Basis meiner Interpretation", erklärt er.

"Aida": ein zutiefst menschliches Drama

Damit führt der Regisseur in einer nostalgisch-morbiden Ästhetik das fort, was Giuseppe Verdi in Musik ausdrückt: ein zutiefst menschliches Drama. Frau 1 liebt einen Mann, der aber liebt Frau 2. Die heißt Aida und gehört zu den Feinden. Am Ende stirbt das Liebespaar. Frau 1 bleibt traurig zurück.

Aida live auf BR-KLASSIK

BR-KLASSIK überträgt die Premiere von "Aida" an der Bayerischen Staatsoper am Montag, 15. Mai, ab 19:00 Uhr live im Radio.

Amneris als vielschichtige Figur

Szene aus "Aida" 2023 an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Wilfried Hösl Szene aus "Aida". | Bildquelle: Wilfried Hösl Anita Rachvelishvili singt diese Amneris, die Pharaonentochter und erste Frau in Ägypten. Sie kann in Michielettos emotionalem Regiekonzept endlich mal alles in die Rolle legen, was sie schon immer darin gelesen hat. "Ich hab sie immer für eine eifersüchtige, unsichere, einsame Frau gehalten", erklärt sie. Doch letztlich wolle Amneris nur Liebe. "Wie alle Frauen. Wir wollen jemanden, der uns liebt, eine Person, die für uns da ist. Aber Amneris kann die Wirklichkeit nicht ändern - trotz aller Vorteile als Pharaonentochter."

Drei Stunden Richtung Scherbenhaufen

Die dreistündige Oper steuert vom ersten Takt an auf einen emotionalen Scherbenhaufen zu - oder - um die Metapher von Regisseur Michieletto zu nehmen: auf einen Aschehaufen. Denn "Asche ist das Resultat aus einem Feuer, das gebrannt hat. Sie steht am Ende eines Lebenswegs. Aber aus Asche kann auch neues Leben entstehen", so Michieletto.

Die Musik klingt wie ein Pfeil, wie ein Gewehrschuss, richtig brutal!
Damiano Michieletto

Guiseppe Verdis Musik ist auf jeden Fall ikonisch. Wer das Level überschritten hat, "Aida" nur für ein Kreuzfahrtschiff zu halten, der kennt auf jeden Fall den "Triumphmarsch". "Sie klingt echt wie ein Pfeil, wie ein Gewehrschuss, der Klang wird im Grunde wie ein Projektil rausgeschossen, richtig brutal! Und die brutalen Töne, die machen absolut Sinn im Zusammenhang mit der Geschichte", erklärt Regisseur Michieletto.

Große inhaltliche Herausforderung: Der Triumphmarsch

Szene aus "Aida" 2023 an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Wilfried Hösl Szene aus "Aida". | Bildquelle: Wilfried Hösl Im Fußballstadion scheppert die Vuvuzela den Triumphmarsch aus "Aida", in der Oper wird er von Verdis Spezialanfertigung, der 1,50 Meter langen "Aida"-Trompete gespielt - konstruiert nach ägyptischen Vorbildern. Damit feiern die Ägypter den Sieg über die Äthiopier und die Heimkehr der Kriegshelden. Der Marsch ist die Challenge für alle Regisseure. Da muss es knallen. Aber: Kann man in unserer Zeit, wo täglich Menschen in einem sinnlosen Krieg sterben, Superhelden zeigen? Ja. Meint Michieletto: "Aber wie überall, ist es eine Frage der Perspektive! Und ich habe mich dafür entschieden, den Triumph aus der Sicht der Leidenden zu erzählen, der Verletzen, also aus Sicht derer, die dafür bezahlen müssen!"

Neues Hauptthema: Physischer und seelischer Schmerz

Michieletto lässt dafür invalide Statisten über den roten Teppich humpeln, sie stehen im Rampenlicht. Physischen und seelischen Schmerz macht die neue "Aida" an der Bayerischen Staatsoper zum Hauptthema. Und Amneris ist am Ende, so will es die Handlung, die Verliererin. Sie wird einen unsympathischen General heiraten.

Für Anita Rachvelishvili eine stimmliche Wiedergeburt

Für die Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili ist ihre Rolle trotzdem so etwas wie eine Wiedergeburt, ein totaler Triumph. Und zwar noch bevor die Premiere über die Bühne gegangen ist. "Im letzten Jahr habe ich ein Kind bekommen und meine Stimme war nach der Geburt komplett weg", erklärt sie. Eine schlimme Erfahrung: "Ich konnte einfach nicht mehr singen. Es hat mich fast umgebracht, weil ich es so liebe zu singen. Es war, als ob man mir die Beine abgenommen hätte und ich musste wieder komplett neu gehen lernen." Geholfen habe ihr dabei das ganze Team. Besonders auch der Dirigent Daniele Rustioni. "Er liebt die Sänger, die Stimmen, er kennt jedes Wort aus dem Libretto, er ist smart zum Orchester, er ist wirklich magisch. Und er gibt all das an uns weiter."

Sendung: "Piazza" am 13. Mai 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (11)

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Dienstag, 23.Mai, 19:15 Uhr

Dr.Arijanto

Aida München

Es ist 2.Artikel über Aida.1.Artikel von Herrn Jungblutt. Dort sind andere Meinungen geäußert worden zum Teil sehr gute Kritiken. In dem Artikel sind nur schlechte Kritiken. Ich habe meine Meinung im Artikel von Herrn Jungblut geäußert. Ich bin froh die Intelligente Inszienierung sehen zu können und wie froh wir sind die Freiheit äußern zu dürfen. Ich bin froh die Bayerische Staatsoper zu haben. Übrigens die Aufführung mit dem tollen Ensemble hat mit begeistert.

Montag, 15.Mai, 16:43 Uhr

Herbert Einfeld

Ein Graus!

Ich kann mich den Vorredner, wie Herrn Zantes nur anschließen! Wie kann man es rechtfertigen für so einen Mist öffentliche Gelder zu verschwenden!
Warum lädt Herr Dorny Regisseure ein, die keine Ahnung vom Stück haben?
Mit solchen Inszenierungen wird es bald kein Opernpublikum mehr geben ...

Sonntag, 14.Mai, 17:05 Uhr

Sabine Schubert

Wieder eine Inszenierung....

...zum Abgewöhnen und wieder finanzielle Einbußen für die Staatsoper. Wann wacht der Geldgeber auf!
Freischütz, Tristan, Vojna i Mir, um nur einige zu nennen. Alle können nicht begeistern, bestenfalls langweilen. Zum Hören reicht auch ein Stehplatz!

Sonntag, 14.Mai, 13:38 Uhr

Fred Keller

VOR DEM EMOTIONALEN SCHERBENHAUFEN

Den Beitrag da oben gelesen, was bin ich froh am Montag nur akustische dabeizusein. Freue mich, neugierig bin ich auf die Publikumsreaktionen am Ende.

Sonntag, 14.Mai, 12:37 Uhr

Stefan Zantes

Grau gräuliches Grauen

Die Inszenierungen haben einen Grad an Austauschbarkeit erreicht, der es zukünftigen Generationen leicht machen wird, die Kunstsparte der Oper ad Acta zu legen.
Den meisten großen Opern liegen menschliche Tragödien zugrunde, insofern kann ich jede Oper auf einen Aschehaufen stellen.
Umso häufiger blickt man bei aktuellen Inszenierungen gerade beim jungen Publikum in ratlose Gesichter weil die Inszenierung weder Atmosphäre, noch Text oder gar die Musik des gezeigten Stückes aufgreift.
Insofern bleibe auch ich meist lieber zu Hause, lege eine CD auf und denke mir die eigene Opernwelt.
Gerade eine Oper wie Aida kann doch zwischen Hollywood Kleopatra Kitsch und Aschehaufen Millionen Nuancen haben, die genutzt werden können um die Oper Text und Musik entsprechend zu inszenieren???

Sonntag, 14.Mai, 07:03 Uhr

paul-ludwig voelzing

aida

weil herrn michieletto keine "mythologischen oder archäologischen (?) symbole (?)" interessieren sondern nur die "menschlichkeit aller figuren(?)" weiß er nicht, dass das schon aischylos, perser, und euripides, troerinnen, mehr als triumphe interessiert hat. im griechischen ist der mensch in allen seinen facetten das thema. auch sophokles antigone muss/kann man so lesen. und im übrigen, um wieder in die neuere zeit zu kommen, ist auch neuenfels frankfurter aida keineswegs eine inszenierung eines triumphs gewesen. wie schön, dass man heute inszenieren kann, ohne sich zu fragen, was einmal (woanders) gewesen ist!

Sonntag, 14.Mai, 06:30 Uhr

Baerbel Hahn

Aida

Wie kann man diese Inszenierung rechtfertigen?

Samstag, 13.Mai, 21:37 Uhr

Wilfried Jahner

Enttäuschend!

Seit Jahren sind die Inszenierungen an der Staatsoper alle gleich ... man könnte in jeder Inszenierung jede Oper spielen. Man hat den Eindruck, daß die Regisseure keine Beziehung zu den musikalischen Werken und vorallem keine Ideen haben.
Einziger Lichtblick an diesem Abend die Sängerin der Aid und vorallem Daniele Rusticoni!

Samstag, 13.Mai, 17:48 Uhr

Tim Theo Tinn

Emotionalen Scherbenhaufen - Aschehaufen

Aida: Emotionalen Scherbenhaufen - Aschehaufen - ja, da muss man beipflichten - Methaphern für Schutt und Asche - dafür bürgt Damiano Michieletto spätestens seit 2012 mit seiner Salzburger Bohme (Beczal, Netrebko-schlecht recherchiert Frau Autorin). Wann kommt man endlich aus diesen mehr als 50jährigen antiquierten ewig gleichen Mustern, ewig gleichem Publlikumsvergraulen raus, indem bestehenden Kompositz. B. außer Dekonstruktionionen in Frankensteinmanier eine neue Seele eingepflanzt werden soll. Das Problem bei Organverpflanzungen war immer schon passendes Blut und Gewebe. Sonst hat man z. B. ein falsches Herz gewählt - Aschehaufen und Aida ??? Wenn man eine Ausbildung als Regisseur hat, auch ein dramaturgisches Handwerk beherrscht, sollte man z. B. außer Dekonstruktion auch mal "Phantastischen Realismus, Surrealismus" etc. können.
Tim Theo Tinn 13.5.2023

Samstag, 13.Mai, 15:10 Uhr

Grischa Asagaroff

Aida

Danke für diesen Artikel , der genau das ausdrückt , was diese Produktion sagen will .
Es ist eine Aida , wie man sie bisher nicht so kennt , die aber voll der Musik entspricht , aber alles Ägyptische weglässt. Micheletto mit seinem Team und Rustoni haben mit wunderbaren Sängern , die ihnen gefolgt sind, die spannendste Aida geschaffen , die ich in 60 Jahren gesehen habe . Danke !

Samstag, 13.Mai, 14:41 Uhr

Gufo

Aida

Möge jeder Regisseur Aida interpretieren, wie er wolle - psychologisch, politisch oder sonstwie. Ich setze mich an lauen Sommerabenden in die Arena di Verona, genieße die donnernden Chöre,das antiquierte Bühnenbild und schöne Stimmen geleitet von einem hervorragenden Orchester und lasse am Ende die Oper auf der Piazza Bra bei einem Gläschen Roten ausklingen.Suum cuique !Gut dass das italienische Publikum bezüglich der Operninszenierungen noch konservativer geblieben ist.

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