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Kritik – "Götterdämmerung" in Berlin Mord unter dem Basketballkorb

Mit der "Götterdämmerung" ist der neue "Ring" an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin zu Ende gegangen. Ein Triumph für das Sängerensemble und den Dirigenten Christian Thielemann, der für den erkrankten Daniel Barenboim eingesprungen ist. Buhrufe hingegen gab es für die Regie von Dmitri Tcherniakov.

Szene aus der "Götterdämmerung" an der Berliner Staatsoper 2022 | Bildquelle: Monika Rittershaus

Bildquelle: Monika Rittershaus

Die großen Inszenierungen von Richard Wagners "Ring des Nibelungen", sei es der "Jahrhundert-Ring" von Patrice Chereau in Bayreuth oder auch die Deutungen von Götz Friedrich und Harry Kupfer in Berlin, haben das Politische dieser Tetralogie mitgedacht. Wenn der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov seine Inszenierung in einem Forschungslabor ansiedelt, hätte das viel über Politisches und Menschliches erzählen können. Da wird untersucht, manipuliert und intrigiert.

Schlaftherapie und Stresstest

Szene aus der "Götterdämmerung" an der Staatsoper Berlin 2022 | Bildquelle: Monika Rittershaus In Dmitri Tcherniakovs Inszenierung der "Götterdämmerung" wird Siegfried von Hagen in einer Turnhalle ermordet. | Bildquelle: Monika Rittershaus So weit in die Tiefe will der Regisseur offensichtlich aber nicht gehen. Er überwältigt mit seinem gigantischen Bühnenbild, mehr als einem Dutzend verschiebbarer Kästen auf mehreren Stockwerken, von Laboratorium über Konferenzraum bis zum Behandlungszimmer. Gut ausgeschildert für Schlaftherapie oder Stresstest. Das beeindruckt eine Zeitlang, kann aber die inhaltliche Leere nicht füllen.

Tcherniakov lässt alles weg, was ihm nicht in seine Deutung passt: kein Gold, kein Feuer, kein Schwert. Immerhin Tarnhelm und Ring, aber die haben keine Funktion. Statt dessen wird es beliebig. Am Ende wird Siegfried von Hagen in einer Turnhalle mit Basketballkorb ermordet. Viele putzige Einfälle im Detail, aber keine große Deutung. Die Buhrufe für den Regisseur waren erwartbar. Ein Jahrhundertring ist das nicht geworden.

Ensemble strotzt vor Spielfreude

Szene aus der "Götterdämmerung" an der Berliner Staatsoper | Bildquelle: Monika Rittershaus Tragisches Ende: Brünnhilde (Anja Kampe) trauert um den ermordeten Siegfried (Andreas Schager). | Bildquelle: Monika Rittershaus Das Ensemble kann sich sehen und hören lassen, darstellerisch strotzt es nur so vor Spielfreude. Sängerisch gibt es etliche Glanzlichter. Andreas Schager als Siegfried kommt mit Leichtigkeit über das Orchester. Anja Kampe als Brünnhilde hat am Ende zu kämpfen, stemmt sich durch die "Götterdämmerung", aber auch das immerhin ein Arbeitserfolg.

Einspringer Thielemann liefert Meisterstück ab

Den größten Triumph erzielt Christian Thielemann am Pult der Staatskapelle, eingesprungen für Generalmusikdirektor Daniel Barenboim. Seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten ist Thielemann eine Wagner-Autorität, aber hier hat er sein Meisterstück abgeliefert. Es war ein Orchesterfest und gleichzeitig eine sichere Bank für Sängerinnen und Sänger auf der Bühne.

Gleichzeitig hat er sich in kürzester Zeit in die heikle Akustik der Staatsoper eingearbeitet, selbst für seine Verhältnisse extrem langsame Tempi gewählt, um alles klar darstellen zu können. Unter seiner Leitung spielt das Orchester mit Brillanz, Sinnlichkeit und Wärme, wie man es selten einmal in dieser Vollendung erlebt. Thielemann und die Staatskapelle – das passt zusammen, und mit dieser Leistung hat sich der Dirigent endgültig als idealer Nachfolger von Daniel Barenboim in die erste Reihe gestellt.

Sendung: "Allegro" am 10. Oktober 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (5)

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Dienstag, 11.Oktober, 08:37 Uhr

Herby Neubacher

Ring Berlin

Man kann ja glücklich sein das Thielemann wenigstens die Teile des Rings zum diesem Bühnenbild und dieser Inszenierung dirigiert hat. Denn der Murks der da auf der Bühne abläuft hat mit Wagner gerade Mal null zu tun. Dazu hätte man mit der gleichen Berechtigung auch Don Giovanni oder Carmen dirigieren können. Einfach einmal mehr Regie und Ausstattungs Sperrmüll auf der Bühne zu erstklassiger Musik

Montag, 10.Oktober, 22:24 Uhr

Peter Trenkwalder

Wieder Absturz eines hochgelobten Regisseurs …

Wie Andreas Göbel zurecht anmerkt, was hätte man aus einer ‚Forschungswerkstatt Ring‘ machen können - es blieb aber bei munterem ‚Räume bespielen‘. Was bleibt, waren 16 h grossartige Orchesterarbeit unter einem glücklich zuhause in Berlin schwelgendem Thielemann und tolle Sängerleistungen zuhauf - nachzuhören in der ARD-Mediathek (u.a. Andreas Schager, Mika Kares, J.M. Kränze und mit kleinen Abstrichen Anja Kampe, immerhin ihr Debut über alle drei Brünnhilden.

Montag, 10.Oktober, 17:42 Uhr

Alexander Woskanjan

Tcherniakov-'Ring' betont das Menschliche

Wozu eine 'Politische Oper'?
Als Komparse habe ich den Entstehungsprozess begleiten dürfen und mich intensiv und emotional in Tcherniakovs Konzept begeben.
Da fragt man sich zwangsläufig: Wofür machen wir diese Oper?
Für die Politik, um ihr Ratschläge zu geben, die sie gar nicht will? Für die Abonnenten, die Wagner lieben und die Vorstellungen dick im Kalendar notiert haben? Oder gar Gäste, die für das Prestige der 'Sonderpreise' (277€) kommen?
Tcherniakov hat alle Figuren und die Kulissen auf das Menschliche reduziert: Keine Superkräfte, Keingold statt Rheingold; persönliche Autorität und Charakter formen das Schicksal aller Beteiligten. Die in diesem 'E.S.C.H.E.'- Institut erforschte menschliche Psyche wurde 16 Stunden ins Scheinwerferlicht gerückt, und die Zuschauenden und die anderen Notiz-Nehmenden fühlen sich und ihre alltäglichen Probleme auf die große Bühne gehoben. Eine wirklich demokratische Abstimmung, jenseits der Buh-Rufer und 277€-Ticket-Preise, hä Tcherniakov gewonnen

Montag, 10.Oktober, 15:44 Uhr

Klaus Thiel

Der Star-Regisseur Tscherniakov

Liegt es allein an mir, dass ich bei manchen euphorischen Rezensionen seiner Inszenierungen - keineswegs bei der gescheiten von Andreas Göbel ! - an "Des Kaisers neue Kleider" denken muss ?

Montag, 10.Oktober, 11:39 Uhr

Sabine Schiffer

Mit Thielemann und ...

....den Weltklassesängern hätte es ein Jahrhundertring werden können. Aber diese trostlose und unsinnige Inszenierung! Schade!

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