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Filmtipp: "No Fear" in der ARD Geniale Künstlerdoku über Igor Levit

Wenn er Beethoven einspielt - dann gleich alle 32 Sonaten. Wenn er während Corona streamt - dann gleich an 52 Tagen hintereinander. Und wann immer nötig, meldet er sich politisch zu Wort. Regina Schilling hat den Ausnahmekünstler Igor Levit zwei Jahre mit der Kamera begleitet. Der Film ist ab sofort in der arte Mediathek verfügbar.

Igor Levit, Filmstill aus dem Dokumentarfilm "Igor  Levit - No Fear" | Bildquelle: © zero one Film

Bildquelle: © zero one Film

Der Pianist Igor Levit mag’s gern extrem: Beethoven? Ja, sehr gerne, aber am liebsten gleich alle 32 Sonaten. Als der Kultur während der Corona-Pandemie der Lockdown in die Parade fährt, streamt Levit allabendlich ein Hauskonzert aus seiner Berliner Wohnung – an 52 Tagen hintereinander. Er wagt sich an Ronald Stevensons eigentlich unspielbare Schostakowitsch-Hommage und protestiert mit Frederic Rzewskis gigantischen Revolutions-Variationen gegen die Rodung des Dannenröder Forsts. Immer wieder meldet er sich politisch zu Wort, erhebt seine Stimme gegen Antisemitismus und Ausgrenzung, gegen Krieg und Rassismus. Was ist das für ein Künstler? Und was ist das für ein Mensch? Woher kommt seine Kunst? Das wollte die Regisseurin Regina Schilling wissen. Sie hat Igor Levit fast zwei Jahre lang begleitet – bis zum Dezember 2020. "Igor Levit – no fear" heißt ihr Film, der am 6. Oktober 2022 in die Kinos kommt.

Igor als Schelm, Getriebener und Kind

September 2019: Igor Levit stellt in Berlin seine Aufnahme sämtlicher Beethoven-Sonaten vor. Ein Journalist will die Eckpunkte fürs Interview abstecken. Igor Levit sitzt ihm konzentriert gegenüber, fixiert ihn. Frage: "Muss man alle Sonaten spielen? Oder hätte man zum Beispiel die zweite weglassen können?". Antwort: "Man muss gar nichts. Man muss trinken. Und schlafen."

Szene aus dem Dokumentarfilm "Igor Levit - No Fear" | Bildquelle: © zero one Film Igor Levit mit seinem Freund, dem Tonmeister Andreas Neubronner | Bildquelle: © zero one Film Igor der Schelm. Und dann spielt er: kriecht rein in die Waldsteinsonate, macht einen Katzenbuckel, richtet sich auf, erhebt sich wiederholt kurz vom Klavierhocker, setzt sich wieder hin; der Schweiß läuft ihm übers Gesicht, tropft in die Tasten. Igor der Getriebene.

Igor Levit braucht vertraute Menschen um sich herum, dann wird er ruhig, dann legt er auch mal sein Handy weg. Einer seiner engsten Freunde ist Andreas Neubronner, sein Tonmeister seit vielen Jahren. Die beiden hören eine der Beethoven-Sonaten ab, die sie tags zuvor aufgenommen haben. Und Levit klimpert mit einer Hand ein bisschen mit – auf dem Unterarm seines Tonmeisters. Und den Kopf an dessen Schulter. Igor das Kind, das beschützt werden will. Keine Geste in diesem Film wirkt aufgesetzt.

"No Fear" in der Mediathek

Der Film ist in der arte Mediathek bis zum 21. Juni verfügbar.

Ein fremdgesteuertes Leben - vor Corona

Januar 2020: Igor Levit sitzt mit Regisseurin Regina Schilling im Taxi. Und fühlt sich plötzlich erdrückt von dem, was ihn im neuen Jahr erwartet. Und worauf er sich freuen sollte. Über 100 Konzerte sind gebucht. Igor der Zweifler, der sagt: "Ich möchte das nicht mehr haben. Es ist einfach nicht mehr mein Leben."

Im Zeitraffer rauschen die Bilder von seinen nächsten Engagements vorbei: Momentaufnahmen aus Hotelrezeptionen, Probenräumen, Hotelzimmern, Veranstaltungssälen. Bis Corona einen brutalen Schnitt zieht. Das sagt uns kein Kommentar. Das sagt uns nur ein dreisekündiger schwarzer Bildschirm mitten im Film.

Zum großen BR-KLASSIK-Interview mit Igor Levit

Im Gespräch mit BR-KLASSIK erzählt der Pianist Igor Levit von seiner Situation zwischen Solidarität und neuem Antisemitismus in Deutschland. Lesen Sie hier das komplette Interview.

Regina Schilling findet immer die passenden Bilder

Igor Levit, Filmstill aus dem Dokumentarfilm "Igor  Levit - No Fear" | Bildquelle: © zero one Film Bildquelle: © zero one Film Die Bildsprache dieses Films ist genial. Macht sich nie wichtig. Verdoppelt nicht das, was gesagt wird. Sondern ergänzt, kommentiert, ironisiert. Bei einem von Levits live gestreamten Hauskonzerten filmt ihn die Kamera durch sein eigenes Handy – und während er selbstvergessen spielt, segeln auf dem Display ganze Heerscharen von Twitter-Herzchen nach oben.

Im Lockdown erlebt Levit, wie alle Künstler, die nicht von Existenzangst bedroht sind, die Ambiguität der Pandemie. Er muss nicht mehr liefern, hat keine Verpflichtungen mehr. Aber er trifft auch niemanden mehr. Seine Regisseurin besucht ihn per Videoschalte in seiner Küche – bei seinem neuen Hobby. Kochen, drei Mal am Tag.

Lebensmotto bei Beethoven abgeguckt

"Igor Levit. No fear" – den Titel des Films müssen wir noch erklären. Er hat – natürlich – mit Beethoven zu tun. Dessen Musik sei "furchtlose Musik", sag Levit. Und man müsse selbst versuchen, so furchtlos zu sein wie nur möglich.

BR-KLASSIK-Podcasts mit Igor Levit

"32 x Beethoven" war der bislang erfolgreichste Klassik-Podcast im deutschsprachigen Raum – und ein Radio-Ereignis, das von mehreren ARD-Programmen gesendet wurde. In 32 Podcast-Folgen vermittelt Igor Levit hörbar, was Beethovens Klaviersonaten so revolutionär und einzigartig macht. Unter dem Titel "Alles wird anders" gibt es einen weiteren BR-KLASSIK-Podcast, in dem der Pianist seine Lieblingsform präsentiert: die Variationen. Die Reise geht von Bachs Goldberg- über Beethovens Diabelli-Variationen bis in die Gegenwart.

Sendung: "Allegro" am 20. März 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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