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Zum Tod von Grace Bumbry "Ich hatte nie Angst, auf die Bühne zu gehen"

Den schlimmsten Rassismus erlebte Grace Bumbry bei den Bayreuther Festspielen. Trotzdem ging sie ohne Angst auf die Bühne — dank der Schwarzen Community ihrer Kindheit. Das erzählte Grace Bumbry in einem BR-KLASSIK-Interview im Jahr 2009.

Grace Bumbry, Starsopranistin bei der PK zu Classic Open Air 2013 am Gendarmenmarkt in Berlin | Bildquelle: picture-alliance/dpa/Ralf Müller

Bildquelle: picture-alliance/dpa/Ralf Müller

BR-KLASSIK: Sie haben so entgegengesetzte Charaktere verkörpert wie zum Beispiel die Euridice oder Venus und Elisabeth, die Sie ja in Wagners Tannhäuser manchmal sogar in einer einzigen Aufführung gesungen haben. Diese Verwandlung stelle ich mir psychologisch gesehen als das Schwierigste, Herausforderndste, vielleicht aber auch Reizvollste an Ihrem Beruf vor.

Grace Bumbry: Das stimmt. Aber man darf nicht vergessen, dass ein Sänger eigentlich alles können muss: vom Piano bis zum Fortissimo. Nicht nur als Dynamik, sondern auch als Gefühl. Es gibt verschiedene Piani, verschiedene Forti, man muss sie nur finden. Die schönsten Momente gab es da immer während der Proben, weil man verschiedene Dinge ausprobieren konnte. Diese Entdeckungsreise ist wirklich einmalig.

Die Leute haben uns so zugejubelt, das hat sehr geholfen.
Grace Bumbry

BR-KLASSIK: Frau Bumbry, Sie stammen aus St. Louis. Ihr Vater war Frachtmanager, Ihre Mutter Lehrerin, und ich glaube, ohne Ihre Mutter wären Sie nicht Sängerin geworden.

Grace Bumbry als Carmen | Bildquelle: EMI Grace Bumbry als Carmen | Bildquelle: EMI Grace Bumbry: Wahrscheinlich. Zuerst wollte meine Mutter Sängerin werden. Sie hatte eine sehr schöne Stimme. Aber aufgrund der Geschichte in Amerika hatte sie als Schwarze nicht die Möglichkeiten bekommen. Als ich zehn Jahre alt war, bin ich zu verschiedenen Konzerten gegangen, zum Beispiel mit Marian Anderson, die große Schwarze Sängerin. Ohne dieses Interesse von meiner Mutter wäre das wahrscheinlich nicht so gekommen.

Gefördert von Marian Anderson - Ikone der Bürgerrechtsbewegung

BR-KLASSIK: Marian Anderson hat Sie ja dann auch gefördert und ganz früh schon gehört. Wie ging es da zu?

Grace Bumbry: Mein früherer Gesangslehrer aus St. Louis hatte schon beobachtet, dass ich großes Interesse für klassische Musik hatte, was eigentlich ungewöhnlich war für die Schwarze Community. Ich habe bei ihm mit 15 Jahren mit dem Studium angefangen. Und mit 16einhalb hat er Marian Anderson bei einem Konzert gefragt, ob sie mich anhören möchte. Und das hat sie getan.

BR-KLASSIK: Wir müssen uns vielleicht auch noch einmal vergegenwärtigen: Marian Anderson war ja nicht nur eine Jahrhundert-Stimme, wie Toscanini sie genannt hat, sondern sie war auch eine Ikone für die Bürgerrechtsbewegung, für die Schwarzen. Denn sie hat 1955 als erste Schwarze in der Metropolitan Opera singen können. War das wichtig für Sie?

Grace Bumbry: Ja, aber man darf nicht vergessen, dass sie das nicht alleine war. Es war der gute Wille von Rudolf Bing, der damals der Intendant war. Er war ein Europäer, der diese schönen Stimmen gut verstanden hat. Und der hat sich dieses Rassenproblem nicht so zu Herzen genommen. Für ihn galt die Schönheit der Stimme. Aber er hat auch gewusst, dass irgendwann die Türen geöffnet werden müssen.

Glückliche Kindheit mit Chopin und Afternoon-Tea

BR-KLASSIK: Es ist absurd, dass Schwarze Menschen früher bestimmte Busse nicht benutzen durften oder auf bestimmten Parkbänken nicht sitzen durften.

Grace Bumbry als Venus | Bildquelle: picture-alliance/dpa Grace Bumbry als Venus | Bildquelle: picture-alliance/dpa Grace Bumbry: Das ist wahr, aber Gott sei Dank habe ich das nicht so sehr erlebt, weil unsere Eltern uns davor gut abgeschirmt haben. Aber trotzdem war es da. Wir wohnten in einem total Schwarzen Viertel und ich muss sagen, es war wunderbar. Die Eltern waren immer zusammen, immer vereint und haben uns immer gefördert. Es war nicht alles negativ, wie man das für ein Ghetto immer meinen mag. Als kleines Mädchen habe ich Klavier gespielt und sonntags gab es immer so ein Afternoon Tea-Konzert in der Kirche. Ich habe, glaube ich, etwas von Chopin aufgeführt. Chopin hätte das niemals erkannt, aber die Leute haben uns so zugejubelt, so unterstützt, und das hat sehr viel geholfen. Deshalb hatte ich niemals Angst, auf die Bühne zu gehen.

Umjubelter Bayreuth-Auftritt trotz Rassismus-Debatte

BR-KLASSIK: Frau Bumbry, 1961 haben Sie in Bayreuth debütiert, das war damals sehr umjubelt. Sie haben 30 Minuten Applaus bekommen, habe ich gelesen. Ihr Auftritt war aber auch heiß umstritten, weil es damals Wagnerianer gab, die rassistisch eingestellt waren. Sicher auch noch durch den Nationalsozialismus. Nachwirkungen dieser Rassenideologie, die ja eben mit Wagner leider auch was zu tun hat. Wie haben Sie das damals erlebt?

Grace Bumbry: Das ist schwer zu erklären, weil ich Rassenprobleme schon in Amerika erlebt hatte. Es war nichts Außergewöhnliches. Als Kind habe ich schon gelernt, damit umzugehen. Ich hatte einfach meine Arbeit zu tun gehabt und Wolfgang Sawallisch und Wieland Wagner haben an mich geglaubt. Und ich habe an mich selbst geglaubt. Maßgebend waren für mich diese zwei Personen und Richard Wagner! Und ich dachte mir, okay, diese Leute sind ein Risiko eingegangen, und sie stehen ganz fest hinter mir. Und das bedeutet etwas Gutes. Ich bin es gewöhnt, die erste hier oder da zu sein. Jemand muss die erste sein und warum nicht ich?

Man muss schon etwas Strenges tun, um etwas zu ändern.
Grace Bumbry

Ich erinnere mich: Ich war einmal bei Leonard Bernstein zu Hause, als er eine Party gegeben hat für die Black Panthers. Er war ein großer Unterstützer. Und ich habe dann endlich verstanden, um was es ging. Denn diese Leute waren eigentlich ganz große Rebellen, die Black Panthers. Und es ging nicht nur um Rassentrennung oder Rassenintegration. Wir wollten Gleichberechtigung haben. Und ich erinnere mich, damals bei den Olympischen Spielen gab es diese zwei oder drei Sportler mit der geballten Faust, die sie hochgehoben haben — das Symbol der Bürgerrechtsbewegung. Aber das musste sein. Man kann nicht etwas radikal ändern, nur mit Samt und Velours. Man muss schon etwas Strenges tun, um etwas zu ändern.

Auszüge aus einem BR-Klassik-Interview aus dem Jahr 2009.

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