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Hilary Hahn "Ich war nie sehr motiviert, zu üben"

Angeblich hat Korngold sein Violinkonzert eher für Caruso als für Paganini geschrieben. Da ist was dran, findet Hilary Hahn. Denn es ist zwar hochvirtuos, aber auch sehr gesanglich. Die Geigerin spielt das Werk am 22. Februar in Nürnberg. Im BR-KLASSIK-Interview verrät sie außerdem, was sie als Kind wirklich motiviert hat, Geige zu spielen, und warum sie sich heute auf Instagram beim Üben zuschauen lässt.

Hilary Hahn | Bildquelle: OJ Slaughter

Bildquelle: OJ Slaughter

Korngold und sein Violinkonzert

Interview mit Hilary Hahn

BR-KLASSIK: Frau Hahn, Korngold hat selbst über sein Violinkonzert gesagt, es sei mehr für einen Caruso als für einen Paganini. Ich wüsste gerne, wie das klingt, wenn Sie wie Caruso spielen.

Hilary Hahn: Es ist für mich sehr interessant, in dieses Konzert einzutauchen. Wenn man sich eine Interpretation erarbeitet, hat die viel mehr Potential, als es auf den ersten Blick scheint. Korngold hat viel für Sänger geschrieben. Und er hat eben mal gesagt, dass er eher Caruso als Paganini im Kopf habe. Und obwohl seine Stücke technisch extrem anspruchsvoll sind und voraussetzten, dass man Paganini spielen kann, hat Korngold sehr lange Bögen geschrieben – mit vielen Anweisungen zu Phrasierung und Lyrik. Das geht weit über Dinge wie Crescendo, Decrescendo und Ritardando hinaus. Seine Anweisungen bereiten einen darauf vor, sehr opernhaft zu spielen. Wenn man seine Oper "Die tote Stadt" hört, merkt man, dass die Art und Weise wie die Streicher mit den Sängern mitgehen, ganz ähnlich ist, wie eben das Orchester mit der Sologeige im Violinkonzert mitgeht – oder die Sologeige mit dem Orchester.

Violinkonzert von Korngold – viele Einflüsse

BR-KLASSIK: Sänger sprechen von Gefühlen. In der Oper "Die tote Stadt" geht es um Liebe und um Tod. Es ist existenziell. Ist das in diesem Konzert auch so?

Hilary Hahn: Das ist schwer zu sagen, weil wir keinen Text haben – und auch keine Filmszenen. (lacht) Es fehlt der Kontext. Aber das heißt: Alles ist offen. Wir haben die Gelegenheit, die Geschichte so zu erzählen, die wir möchten. In vielen Momenten liegt eine unglaubliche Schönheit. Während der Probe hat der Dirigent Gianandrea Noseda ein paar der Momente für Vibraphon, Celesta und Harfe ausgewählt. Es ist so unglaublich schön! Gleichzeitig ist da die Zweite Wiener Schule, die sich auf Alban Berg und Arnold Schönberg bezieht. Und das hört man auch! Das Konzert ist sehr chromatisch. Und es gibt sehr viele Anweisungen vom Komponisten, wie was zu spielen ist – und zwar nicht nur für die Solostimme, sondern für alle Orchesterstimmen.

Erich Wolfgang Korngold am Klavier | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Komponist Erich Wolfgang Korngold griff in seinem Violinkonzert verschiedene Stile auf. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Die Einflüsse von Korngolds Herkunft werden sehr deutlich. Aber als er nach Amerika zog, erweiterte sich seine Palette an klanglichem Handwerkszeug. Man hört auch die Einflüsse aus seiner Filmmusik und aus dem Bereich der Oper. Gleichzeitig sind natürlich "Americana"-Elemente darin. Allerdings können viele Leute, die sich nur auf die europäischen Einflüsse oder Hollywood fokussieren, die gar nicht herausarbeiten. Der dritte Satz ist sehr im American Fiddle Style geschrieben – vor allem, was die Technik der Sologeige betrifft. Aber es gilt auch für das Orchester. Nachdem ich von zeitgenössischen amerikanischen Komponisten und amerikanischen Folk-Musikern gelernt habe, bin ich mit diesem Stil sehr vertraut. Ich kann das sehr intuitiv spielen. Zusammenfassend würde ich sagen, dass das Konzert ein Porträt Korngolds ist.

Ich bin mit diesem Stil sehr vertraut.
Hilary Hahn

BR-KLASSIK: Sie haben gerade den dritten Satz des Violinkonzerts erwähnt. Da hat Korngold ja Melodien aus seinem Film "The Prince and The Pauper" verwendet. Ist es gut, sich so einen Film auch einfach mal anzuschauen und sich von dieser Geschichte inspirieren zu lassen?

Hilary Hahn: Ich habe mir den Film angesehen und versucht, daraus Schlüsse zu ziehen. Ich glaube aber, dass manche Komponisten ihre früheren Kompositionen in ein anderes Setting bringen, weil sie es irgendwie verändern wollen. Ich will Korngold nicht unterstellen, dass er mit dem Material aus der Filmmusik in seinem Violinkonzert an den Film erinnern wollte. Das wissen wir einfach nicht. Es könnte auch sein, dass er die Musik weiterentwickeln und ihr dadurch eine neue Bedeutung geben wollte. Ich nehme an, dass Korngold herausfinden wollte, wie sich das Material in einem neuen Kontext macht und wie es klingt, wenn er es in ein neues Stück transferiert.

Hilary Hahn | Bildquelle: Chris Lee Die Geigerin Hilary Hahn forscht gerne in historischen Dokumenten und Briefen von Komponisten. | Bildquelle: Chris Lee Man muss auch bedenken, dass das Konzert Korngolds Rückkehr zur Konzertmusik ist, nachdem er sich während des Zweiten Weltkriegs geweigert hatte, welche zu schreiben. Er hat nur noch Filmmusik komponiert. Gerade als jüdischer Europäer, der in den USA lebte, hat es ihm sicherlich sehr viel Freude bereitet, wieder für die Bühne zu schreiben. Ich habe mich gefragt, ob Korngold diese Musik vielleicht sogar ursprünglich für die Konzertbühne schreiben wollte, sie dann aber in seiner Trauer über das Kriegsgeschehen erstmal für den Film verarbeitete. Später konnte er sie dann auf die Bühne bringen. Aber darüber können wir nur spekulieren. Wir haben zwar Dokumente von damals, aber nicht alle Informationen. Wir kennen Korngolds Gedanken nicht. Wann immer ich historische Dokumente oder Briefe von Komponisten lese, frage ich mich, wie viel von der Geschichte sie wirklich preisgeben oder was vielleicht nur für bestimmte Augen bestimmt und so zwischen den Zeilen versteckt war, dass eigentlich nur der Empfänger wissen konnte, was wirklich gemeint war. Mir macht es Freude, so an diesen Stücken zu arbeiten, wenn man nicht mehr mit den Komponisten sprechen kann.

Meine Version ist meine Beziehung zu dem Stück.
Hilary Hahn

Im Austausch mit den Komponisten

BR-KLASSIK: Weil Sie sich das Stück dann selbst erschließen können? Weil Sie sich frei fühlen? Oder wünschen Sie sich manchmal, den Komponisten einfach anrufen zu können?

Hilary Hahn: Ich mag beides. Wenn ich mit zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten arbeite, finde ich immer, dass die Gründe, warum sie komponieren, unglaublich vielfältig sind. Das hat mich beim Interpretieren immer frei gemacht. Bei Werken aus der Vergangenheit ist das anders. Da kann ich keinen Komponisten mehr fragen. Aber ich habe mich auch viel mit den Haltungen der Komponisten beschäftigt – und ihren Arbeitsprozessen. Das hilft mir, eine Beziehung zu den Komponistinnen und Komponisten aufzubauen, mit denen ich nicht mehr sprechen kann. Es ist schön, zurückzuschauen und meine eigenen Schlüsse zu ziehen, was in der Musik erzählt wird. Dabei ist mir klar, dass meine Version dieser Erzählung meine Beziehung zum Stück widerspiegelt. Es gibt nicht die eine Wahrheit.

Hilary Hahn beim Üben – Videos auf Instagramm

BR-KLASSIK: Frau Hahn, Sie filmen sich oft beim Üben. Da kann man Ihnen auf ihrem Instagram-Account zuschauen. Ich finde das wahnsinnig motivierend. Denn da sieht man, dass auch so eine große Künstlerin wie Sie hart arbeiten muss. Was machen Sie denn, um sich zum Üben zu motivieren?

Hilary Hahn: Diese Übevideos zeigen sehr ehrlich, wie es ist, zu üben. Ich muss sagen: Meist ist nicht die Motivation das Problem, sondern eher die reellen Umstände. Manchmal habe ich einfach nicht die Energie, das zu machen, was ich mir vorgenommen habe oder was ich machen sollte. Man muss immer darüber nachdenken, was man überhaupt tun kann, dann sein Bestes geben und darauf vertrauen, dass es gut genug ist. Aber es ist spannend, als Künstlerin so öffentlich zu üben. Denn wenn ich auf die Bühne gehe, denke ich: Die Leute haben schon gesehen, wie ich diese oder jene Stelle geübt habe. Und jetzt trage ich das vor. Auf eine gewisse Art ist das auch schön. Natürlich macht es einen einerseits verletzlich, aber andererseits sind jetzt auch alle Teil des Werkes. Und ich denke lieber an zweiteres: Jeder ist Teil dieser großen Anstrengung, und wir üben alle an etwas. Ich glaube, irgendetwas zu üben, ist immer besser als nichts. So kriege ich die Kurve, wenn mir mal die Motivation fehlt. Ich schaue, was möglich ist – und versuche, es dann zu machen.

Man muss sein Bestes geben und darauf vertrauen, dass es gut genug ist.
Hilary Hahn

Dossier "Üben wie die Profis"

Erfahren Sie mehr darüber, wie Stars der Klassikszene üben. Die besten Tipps und Tricks finden Sie hier.

BR-KLASSIK: Wie war das in Ihrer Kindheit? Mussten Ihre Eltern Ihnen eher sagen: 'Hilary, du musst noch üben'? Oder war es eher andersrum: 'Jetzt hör endlich mal auf zu üben'?

Geigerin Hilary Hahn als 17-Jährige bei einer Probe 1997 in Köln | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Hermann Wöstmann Hilary Hahn als 17-Jährige | Bildquelle: picture-alliance / dpa | Hermann Wöstmann Hilary Hahn: Definitiv nie zweiteres, sondern immer ersteres! Ich war nie sehr motiviert, von selbst zu üben. Aber ich liebte Auftritte und wollte einen guten Unterricht haben. Das hat mich sehr motiviert: Eine gute Zeit auf der Bühne zu haben, ohne Stress. Je besser ich auf ein Konzert vorbereitet war, umso mehr habe ich den Auftritt genossen. Das hat mir viel gegeben. Das gleiche galt für den Unterricht: Ich mochte es nicht, schlecht vorbereitet zu sein – oder das Gefühl zu haben, ich würde den Lehrer irgendwie hängen lassen. Als Kind hatte ich zweimal pro Woche Unterricht. Es lagen also immer nur ein paar Tage dazwischen, um an etwas zu üben. Das hat auch sehr geholfen.

Sendung: "Allegro" am 19. Februar 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Sonntag, 18.Februar, 07:03 Uhr

Trappe

Hahn

Neben Heifetz tatsächlich für mich die mit Abstand beste Darbietung des Korngold Violinkonzertes. Alleine der Beginn ist oft der Hinweis, wie souverän der Künstler über dem Stück steht. Zudem eine begnadete Technik, aber sie ist eben besonders eine grandiose Musikerin.
Die Hörer werden sich auf Hahn sehr freuen dürfen.

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