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Die Orgel Mächtig-zarte Königin

Als Königin der Instrumente thront die Orgel als Ehrfurcht gebietende Riesin in der Kirche gern hinten, hoch auf der Empore. Doch trotz ihrer Ausmaße hat sie oft etwas Himmlisch-Ätherisches – wenn sich ihre silbern glänzenden Pfeifen wie Engelsschwingen auffächern.

Orgel Dom St. Stephan Passau | Bildquelle: Wolfgang-Christian Bayer

Bildquelle: Wolfgang-Christian Bayer

Instrumentenwissen

Die Orgel

München-Sendling ist für mich kein unbekanntes Terrain, aber in der katholischen Stadtpfarrkirche Sankt Margaret am Margaretenplatz war ich noch nie. Ich bin mit dem Organisten Christian Bischof verabredet, der hier seit 2013 die Kirchenmusik leitet. Was man alles mit einer Orgel machen kann, hat ihn schon als Kind, als Mitglied der Regensburger Domspatzen, fasziniert: "Ich hab' in einer Kirche den Klang der Orgel vernommen und mir gesagt: Diese Klangvielfalt ganz allein erzeugen, das möchte ich auch. Es war eine klangliche Faszination gepaart mit der Technik, die dahintersteckt." Als Christian Bischof die Tür zur Kirchenempore aufsperrt, fühle ich mich auf einen Schlag viele Jahre zurückgeworfen, in die Zeit meines Orgelunterrichts in meiner Heimatstadt Wasserburg am Inn. Mit dem Petrusschlüssel in der Hand war ich – zumindest für einige Stunden in der Woche – Herr über die Orgel der Stadtpfarrkirche Sankt Jakob.

Wie funktioniert eine Orgel?

Wie eine Orgel funktioniert, hätte ich damals nicht sagen können. Und heute nimmt mir Christian Bischof diese Aufgabe ab: "Wir haben Pfeifen, wir haben Luft – im Orgelbau sprechen wir von Wind – und wir haben Tasten, um es mal auf drei einfache Punkte runterzubrechen. Ich bewege die Taste, die Taste öffnet ein Ventil. Wind kommt in die Pfeife, die Pfeife gerät in Schwingung und erzeugt unterschiedlichste Klänge in verschiedenen Frequenzspektren."

Eine kranke Orgel und ihre Genesung

So wie die Orgel von Sankt Margaret klingt, klingt sie noch nicht lange. Die Grundlage für das Instrument hat im Jahr 1915 die Münchner Orgelbauwerkstatt Nenninger und Moser gelegt. Ein Bombenangriff 1944 hatte Kirche und Orgel stark beschädigt, von der alten Orgel sind heute noch 22 Originalregister erhalten. Nach dem Krieg wurde repariert, erweitert, ergänzt – aber von einer klanglich befriedigenden Gesamtkonzeption konnte keine Rede mehr sein. 2013 findet Christian Bischof bei seinem Amtsantritt ein großartiges, aber krankes Instrument vor und überzeugt die Verantwortlichen unermüdlich und letztlich erfolgreich vom Sinn einer umfassenden Renovierung.

Die Orgel enthält ein ganzes Orchester

Blick auf Registerzüge mit Spieltisch der Orgel in der Marktkirche zum Heiligen Geist. | Bildquelle: picture alliance/dpa | Swen Pförtner Spieltisch einer Orgel. | Bildquelle: picture alliance/dpa | Swen Pförtner Er macht einfach das, was er auch als Organist macht: Er "zieht alle Register": "Sie müssen sich das vorstellen wie ein großes Orchester: Meine Register sind die einzelnen Instrumentalisten – Geigen, Bratschen, Celli, Trompeten, Pauken … Ich bin eigentlich eine Art Koch und versuche mit einer ganzen Reihe von Gewürzen und Zutaten einen schmackhaften Klang zu kreieren." Mit Hilfe von Schwelljalousien, die mit dem Fuß geöffnet und wieder geschlossen werden können, wird der Klang lauter und auch wieder leiser. Denn anders als beim Klavier, kann man bei der Orgel die Dynamik nicht mit dem Anschlag beeinflussen. Mit der sinnvollen Hinzunahme von Registern sorgt der Organist für ein stufenloses, organisches Crescendo. "Ich hab' bei der Orgel ein Hilfsmittel, die Crescendo-Walze, das sieht aus wie ein Hamsterrad hier unten. Das kann ich mit dem Fuß betätigen, und dann kommen (das ist vorher eingespeichert) immer mehr Register in einer vorher ausgedachten Reihenfolge hinzu. Und dann wird der Klang lauter."

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Orgelbauer sind eigentlich mehr Orgelrenovierer

Am Ostermontag 2018 spielt Bischof die letzte Orgelmatinee auf der alten Orgel, dann beginnt der Abbau. Alle Einzelteile werden fein säuberlich sortiert, in der Kirche gelagert, wie in einem Baukasten. Ende 2020, im ersten Pandemiewinter, ertönt die große Orgel von Sankt Margaret wieder. Instandgesetzt von den Werkstätten Klais in Bonn und Kaps in Eichenau bei München. Orgelbaufirmen bauen natürlich auch Orgeln, leben aber von der Renovierung. Selbst die Firma Klais, Deutschlands größte Orgelwerkstatt, liefert jährlich nicht mehr als vier bis fünf neue Orgeln aus.

Wie wird die Orgel gespielt?

Im Kirchenraum imponieren die Orgeln durch ihre reine Klangwucht. Um das Instrument spielen zu können, braucht man Hände und Füße, ist also durchwegs vierstimmig unterwegs. Kein Wunder, dass Organisten für ihre Kunst bewundert werden. Christian Bischof wiegelt ab: "Also, technisch kann man das alles lernen. Ich bewundere zum Beispiel, wieviele Töne ein Trompeter erzeugen kann, obwohl er nur drei Ventile hat." Natürlich sei er als Organist gefordert, denn er spiele ja mit den beiden Füßen nicht nur die Basstöne, sondern bediene auch die Schwellpedale oder einen Knopf, damit eine vorher abgespeicherte Klangmischung abgerufen wird. "Das macht das Ganze technisch sehr komplex."

Wie groß ist eine Orgel?

Markus Kaufmann, Nikolaikantor, steht unter der Ladegast-Orgel in der Nikolaikirche in Leipzig.  | Bildquelle: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt Bildquelle: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt Schon die reinen Zahlen machen die Orgel zu einem Ausnahmeinstrument. Die Orgel von Sankt Margaret etwa füllt mit ihren 4.160 Pfeifen den 21 Meter breiten Emporenraum der Kirche in Breite und Höhe fast vollständig aus. Sie ist 16 Meter breit, drei Meter tief und am höchsten Punkt des Prospekts 15 Meter hoch. Die längsten Pfeifen sind über elf Meter hoch. Das gesamte Konstrukt lastet auf Stahlträgern – eine Notwendigkeit bei einem Gewicht von 23 Tonnen. Es geht natürlich noch größer: Mit ihren 17.974 Pfeifen und 233 Registern gilt die Orgel im Passauer Dom als größte katholische Kirchenorgel der Welt und als die größte Orgel Europas. Was die Anzahl an Pfeifen betrifft, steht sie weltweit an fünfter Stelle. Die größte Konzertorgel der Welt steht in Atlantic City – mit sieben Manualen, über 33.000 Pfeifen und 314 Registern. Technisch ist die Orgel von Sankt Margaret, die schon seit 1955 elektrisch betrieben wird, nach der Renovierung voll auf der Höhe der Zeit: Von den Windladen und Steuerungsmodulen laufen unzählige Drähte, in Kabelstränge zusammengefasst, in den Schaltschrank. Von dort gelangen die Signale gebündelt über ein winziges LAN-Kabel nach unten zum Spieltisch.

Ein Organist als Technikfreak

Christian Bischof kann die Orgel mittels einer elektronischen Scheckkarte einschalten. Dabei erkennt das System den Organisten und ruft automatisch seine persönlichen Einstellungen und abgespeicherten Klangkombinationen auf. Verschiedene Spielhilfen machen das Instrument zur Spielwiese für den Interpreten. So gibt es Register, bei denen nicht der angeschlagene Ton selbst, sondern einer seiner Obertöne erklingt. Außerdem hat sich der Technik-Freak Christian Bischof einen Loop-Recorder zugelegt, eine Art musikalischen Herz-Monitor, mit dem er – etwa für Improvisationen – Sequenzen einspielen und in gewissen Abständen endlos wiederholen lassen kann. "Alles, was ich zusätzlich einspiele, wird wiederum wiederholt, so dass ich beliebig viele Spuren übereinanderlagern kann, um Komplexitäten zu schaffen, die der Mensch mit seinen zwei Händen gar nicht erzeugen kann", erklärt er.

Umblättern per Wimperschlag

Gerade als ich mich frage, wie Christian Bischof denn sein Tablet umblättert, wo er doch mit seinen beiden Händen auf den drei Manualen genug zu tun hat, fällt mir auf, dass er von Zeit zu Zeit vernehmlich mit den Augen zwinkert. Und tatsächlich: Er arbeitet via Bluetooth mit einem Pageturner, einer Umblätterfunktion: "Zum Vorblättern einmal mit dem rechten Auge zwinkern, zurückblättern mit dem linken", erklärt Orgel-Hexenmeister Christian Bischof, oder: Wie man ein über 2000 Jahre altes Musikinstrument ins 21. Jahrhundert holt.

Sendung: "Allegro" am 21. November ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (2)

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Freitag, 24.November, 19:13 Uhr

Julius

BR

Schöner Bericht, aber das nützt im BR alles nicht viel, um die Sendezeit für Orgel von 23 Uhr (!) auf eine frühere Uhrzeit zu verlegen! ODER: Häufiger Orgelwerke in das Programm aufzunehmen, und zwar bitte nicht nur vom ständig gespielten Haus- und Hoforganisten Peter Kofler, sondern auch mal von jungen NachwuchsKONZERTorganistInnen ... die leider in München derzeit keine Bühne haben, weil eine KONZERTORGEL schlichtweg NICHT mehr vorhanden (und wohl auch nicht einmal in der GEPLANTEN Konzerthalle geplant!) ist, seit die Gasteig-Orgel eingemottet wurde ... UND die leider von Kirchenorganisten auch nicht eingeladen werden, um auf den großen Kirchenorgeln der Stadt zu spielen, weil sie keine Orgel für eine dann übliche Pflicht-Gegeneinladung (!) zur Verfügung haben!
Wenn wir also nicht häufiger Orgelmusik (von jungen OrganistInnen zu besseren Sendezeiten) im BR zu hören bekommen, wird auch dieses Kulturgut vernichtet, zusätzlich zu den allseits bekannten Auswirkungen der Pandemie!

Mittwoch, 22.November, 14:29 Uhr

Helga Zirnberger

Bravo!

Wieder ein ganz ausgezeichneter Artikel von Herrn Atzinger: seine Sprache ist einfach wunderbar und man spürt, wie viel Herzblut in seiner Arbeit liegt.
Diese Qualität würde ich mir öfters wünschen!

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