Er ist ein Superstar des Gesangs und der Alten Musik: Der französische Countertenor Philippe Jaroussky. Wenn er nicht auf der Bühne steht oder unterrichtet, sucht er nach Musik, die noch nie gesungen oder eingespielt wurde – auch vom Bett aus.
Bildquelle: Simon Fowler
BR-KLASSIK: Herr Jaroussky, ich habe Sie im April mit dem Ensemble L'Arpeggiata in der Münchner Isarphilharmonie erlebt. Sie sind ein begnadeter Schauspieler, ein Komödiant, ein Entertainer. Ist das alles improvisiert, was Sie bei Ihren Konzerten machen? Oder steht da eine Regie dahinter?
Philippe Jaroussky: Ich muss sagen, es hängt davon ab mit wem ich singe. Und es stimmt, mit L'Arpeggiata und Christina Pluhar entwickeln wir eine gemeinsame Sprache. Und da kann ich es mir erlauben, lustig zu sein, Sinn für Humor zu entwickeln. Ich fühle mich dort außerordentlich entspannt. Das ist wahrscheinlich das, was Sie beim letzten Konzert empfunden haben. Es besteht eine so große Verbindung zwischen jedem einzelnen der Musiker. Und es stimmt, dass diese Idee zu improvisieren, den Musikern immer Freude bereitet. Und wahrscheinlich ist das die Konsequenz, dass es dem Publikum dann auch Freude bereitet. Hoffe ich jedenfalls.
Die Bühne war für mich immer schwierig.
BR-KLASSIK: Hilft das auch beim Singen, wenn man sich so bewegen und spielen kann?
Philippe Jaroussky: Das ist eine gute Frage. Ich erinnere mich, als ich jung war, war es für mich schwierig, eine Rolle in einer Oper zu interpretieren. Die Bühne war für mich immer schwierig. Es war einfacher, Musik zu machen. Aber manchmal, wenn Sie sich zu viel bewegen, bedeutet das, dass Sie vielleicht nicht so leise und differenziert sind mit der Stimme. Es ist wirklich kompliziert. Denn manchmal, wenn ich mich nicht bewege, fühle ich mich supergut und die Leute sagen mir danach, dass ich ein bisschen angespannt gewirkt habe. Und dann wieder bewege ich mich am Ende eines Konzerts zu viel, weil ich erschöpft bin und das Gefühl habe, dass meine Stimme müde ist. Und die Leute sagen: Oh, das war so schön, am Ende warst du so entspannt. Es ist immer eine Kombination. Jetzt an meiner Akademie, wo ich unterrichte, sehe ich junge Sänger, die sich überhaupt nicht bewegen. Und manchmal ist das auch etwas frustrierend. Sie müssen eine gute Balance finden. Und natürlich ist es wahrscheinlich nicht gut für die Stimme, wenn man sich zu viel bewegt.
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Philippe Jaroussky sings Gluck: Il re pastore: "Sol può dir come si trova"
BR-KLASSIK: Sie kommen zurück nach München mit einem Programm, das "Forgotten Arias" heißt. So ist auch der Titel Ihres neuen Albums. Was ist das für ein Programm?
Hat als junger Sänger viel Zeit in Bibliotheken verbracht: Philippe Jaroussky | Bildquelle: Simon Fowler Philippe Jaroussky: Es ist so, als würde ich zu meiner ersten Leidenschaft zurückkehren. Als junger Sänger habe ich viel Zeit in Bibliotheken verbracht. Auf der Suche nach für mich neuer Musik, die nach ihrem Entstehen nicht mehr gesungen wurde. Auf diese Weise habe ich viele CDs gemacht. Ich habe eine komplette Caldara-CD gemacht – auf der nur Erst-Einspielungen sind. Und genau darum geht es auch bei diesem neuen Album – deshalb habe ich es "Forgotten Arias" genannt. Das gesamte Album besteht aus Arien, die zum ersten Mal aufgenommen wurden. Und es sind viele verschiedene Komponisten wie Gluck, Hasse, Ferrandini, Bernasconi, der viel weniger bekannt ist. Sein Werk basiert auf der Poesie von Metastasio, dem größten Librettisten seiner Zeit. Und ich muss sagen, es ist wie die Suche nach einem Schatz. Und ich war sehr begeistert von dieser Auswahl. Und schließlich hoffe ich, dass die Leute meine Begeisterung für diese Arien teilen.
Das gesamte Album besteht aus Arien, die zum ersten Mal aufgenommen wurden.
BR-KLASSIK: Und das Material haben Sie selbst aus Archiven erschlossen, indem Sie geforscht haben?
Philippe Jaroussky: Ja. Wie gesagt, als ich jung war, habe ich sogar extra Recherchereisen gemacht, um eine Arie zu finden. Aber heute – mit dem Internet können Sie auch im Bett recherchieren (lacht). Und wirklich, wenn ich manchmal unterwegs bin, wenn ich am Tag vor dem Konzert alleine in einem Hotelzimmer bin, mache ich dort meine eigenen Recherchen. Ich habe mehr als zweihundert Opern auf meinem Computer. Ich lese die Partituren. Und dann treffe ich eine Auswahl. Und diese Arbeit inspiriert mich für meine nächsten Projekte. Manchmal suche ich nach etwas und finde etwas anderes. Und dann sage ich mir: Warum nicht die Richtung ändern? Auch wenn es viel Zeit in Anspruch nimmt, mache ich meine Recherchen gerne selbst, weil ich so viele Dinge entdecke, die mir nie unterkommen würden, wenn ich einen Musikwissenschaftler engagieren würde. Und ich würde sagee, um ein bisschen provokativ zu sein: Ich habe diese Arien wieder zum Leben erweckt, weil niemand meine Interpretation mit einer anderen vergleichen kann. Ich bin der Erste (lacht). Das ist ganz anders, als wenn man die Matthäus-Passion von Bach oder große Arien von Händel singt. Da trägt man immer die Last der Tradition auf seinen Schultern. Und mit diesen Arien fühle ich mich völlig frei, das zu erschaffen, was ich will.
Das Gespräch führte Christian Schuler für BR-KLASSIK.
Sendung: "Leporello" am 27. Oktober 2023, um 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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