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Tipps vom Hörakustiker Genussvoll Musik hören trotz Schwerhörigkeit

Über fünf Millionen Menschen sind in Deutschland von Schwerhörigkeit betroffen. Smartphones und Kopfhörer belasten zusätzlich unser Gehör. Ein Hörgerät kann Betroffene unterstützen, auch weiterhin Musik genießen zu können. Welche Möglichkeiten es gibt, erzählt der Hörakustiker Eberhard Schmidt. Er ist Präsident der Bundesinnung der Hörakustiker, die vom 18.-20. Oktober 2023 beim internationalen Hörakustikerkongresses in Nürnberg vertreten ist.

HNO-Ärztin untersucht einen Patienten | Bildquelle: picture alliance / Westend61 | Zeljko Dangubic

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BR-KLASSIK: In Deutschland sind 5,4 Millionen Menschen von Schwerhörigkeit betroffen. Die Zahl steigt. Schon aufgrund des demografischen Wandels. Ist uns das bewusst?

Eberhard Schmidt: Mit dem Thema Hören setzt sich erst derjenige auseinander, der tatsächlich ein Hörproblem hat. Die Zahlen sind natürlich für die Profis interessant. Von diesen circa 5,4 Millionen Schwerhörigen tragen ungefähr 3,5 Millionen ein Hörsystem. Und da sieht man das Nachholpotenzial bei der Hörgeräteversorgung.

BR-KLASSIK: Altersbedingt lässt unser Gehör irgendwann einfach nach. Ab wann ist es denn sinnvoll, ein Hörsystem zu tragen?

Eberhard Schmidt: Sinnvoll ist es immer dann, wenn es natürlich gebraucht wird. Gut ist, wenn man sich ab dem 50. Lebensjahr regelmäßig einem Hörtest unterzieht. Das können alle Hörakustiker in Deutschland machen. Die erbringen die Leistung kostenlos. Das geht auch beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Wenn das Ohr schlechter wird, ist ein Hörsystem erforderlich. Dieser Zeitpunkt schwankt sehr.

Ein Hörgerät gibt es nicht im Supermarkt

BR-KLASSIK: Wer ein Hörsystem benötigt, kann das ja nicht einfach im Supermarkt kaufen. Das heißt, er geht erst einmal zum Hörakustiker oder einer Hörakustikerin?

Hörakustiker Eberhard Schmidt | Bildquelle: Bundesinnung der Hörakustiker KdöR Der Regensburger Hörakustiker und Unternehmer Eberhard Schmidt. | Bildquelle: Bundesinnung der Hörakustiker KdöR Eberhard Schmidt: Der Hörakustiker ist der Fachmann, der die audiologischen Daten aufnimmt und der die Hörfähigkeit überprüpft. Wenn ein Hörsystem erforderlich ist, gibt dann der Hörakustiker die Daten mit dem Versicherten an den Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt überprüft noch einmal die Kontraindikation, und wenn da alles in Ordnung ist, wird ihm ein Rezept ausgestellt. In Deutschland haben wir die gesetzlichen Krankenversicherungen, die zu 100 Prozent eine gute zuzahlungsfreie Versorgung sicherstellen.

BR-KLASSIK: Jetzt ist Schwerhörigkeit nicht mehr nur ein Altersphänomen. Das war es vielleicht nie. Auch junge Menschen leiden heutzutage zunehmend darunter. Was sind denn die größten Risiken im Alltag?

Eberhard Schmidt: Die größten Risiken sind natürlich bei den jüngeren Menschen das Konsumieren von Audio-Informationen via Smartphone, Headset und Kopfhörer. Platz zwei belegen die Arbeitsgegebenheiten. Damit sieht man schon, dass das Hören zunehmend belastet wird. Mehrbelastung heißt, dass man wahrscheinlich im Laufe der nächsten 20 Jahre auch früher zu einem Hörgerät greifen muss.

Die Ohren können wir nicht so einfach verschließen

BR-KLASSIK: Das ist das Phänomen. Die Ohren kann man nicht einfach zumachen wie die Augen.

Eberhard Schmidt: Nein, die Ohren sind tatsächlich 24 Stunden am Tag eingeschaltet und mit unserem Gehirn verbunden. Das ist ja auch gut - siehe Bahnsignale. Und auch bei Müttern zum Beispiel. Mütter haben noch ein inneres Ohr, mit dem sie ihre Babys schreien hören. Also das Hören ist ein ganz wichtiger Kontakt zur Außenwelt.

BR-KLASSIK: Menschen mit Hörschädigung fühlen sich oft von Veranstaltungen ausgeschlossen. Bei Lesungen verstehen sie nichts, bei Konzerten nehmen sie nicht alles wahr. Was hat sich technisch in den letzten Jahren getan?

Eberhard Schmidt: Technisch hat sich sehr viel im audiologischen Bereich verändert, sodass das Verstehen mit einem Hörsystem immer besser geworden ist. Hörsysteme bilden mittlerweile Netzwerke, so dass auch richtungsabhängig Sprecher hervorgehoben werden können. Eine große Errungenschaft ist auch, dass Hörsysteme mit Smartphones verbunden werden können, auch mit externen Mikrophonen, sodass die auditive Umgebung, etwa vom Fernsehen, immer besser an das Gehör des Schwerhörigen angekoppelt werden kann.

Hören wir mit einem Hörgerät so wie vorher?

BR-KLASSIK: Wie sieht das denn in Konzertsälen, Opernhäusern, Kinos und Theatern aus? Sind solche Systeme aufwendig einzubauen?

Eberhard Schmidt: Früher hat man hier die sogenannte Induktionsspule verwendet, die wird zunehmend weniger genutzt. Ich denke, dass die Zukunft dem Bluetooth-Standard gehören wird. Und es gibt auch etwas Neues: Aura Cast. Damit lassen sich zum Beispiel an Bahnhöfen Informationen direkt auf Hörsysteme transportieren. Also hier ist man immer noch am Anfang. Die ganze Konnektivität und die Bluetooth-Technologie ist leider im öffentlichen Raum noch nicht so angekommen, wie man sich es vielleicht wünschen würde.

BR-KLASSIK: Wenn wir noch mal zur Musik kommen: Bringt mir ein Hörsystem alles das wieder zurück, was ich vorher nicht mehr hatte. Ich denke da an die verschiedenen Facetten eines symphonischen Konzerts, mit der ganzen Dynamik, mit hohen Frequenzen und so weiter.

Eberhard Schmidt: Ein Hörsystem ist primär auf die Optimierung der Sprachübertragung ausgelegt. Es gibt Hörsysteme, die in der Lage sind, klassische Musik zu erkennen, Rockmusik zu erkennen und dann kann dieser Sound eben entsprechend übertragen werden. Das ist aber keine Leistung einer gesetzlichen Krankenkasse. Das ist eine sogenannte Komfortleistung, für die der Versicherte auch mehr Beiträge übernehmen muss, um so ein qualitativ hochwertiges Hörsystem mit High-Fidelity Sound zu erhalten.

Hilfe bei Tinnitus

BR-KLASSIK: Noch ein Thema, das viele Menschen betrifft: Tinnitus. Also Pfeiftöne oder andere Störgeräusche, die wohl im Kopf entstehen, aber für Niemanden sonst hörbar sind. Doch die Betroffenen leiden selbst sehr darunter. Kann da ein Hörakustiker helfen?

Eberhard Schmidt: Ja, da können Hörakustiker und Hörsysteme gut helfen. Stellen wir uns vor, dass zum Beispiel bei einem Pfeifton von vier bis 6000 Hertz einfach dieser Ton im Gehirn wahrgenommen wird. Gleichzeitig ist eine Schwerhörigkeit von vielleicht 40 Dezibel vorhanden. Bis ich diese 40 dB Schwerhörigkeit bei 4000 Hertz ausgleiche, hat das Gehirn plötzlich die Wahrnehmung von Vogelzwitschern, von Papierrascheln und wird dadurch auch von diesem Tinnitus abgelenkt. Also da helfen Hörsysteme tatsächlich gut und können bei der kognitiven Verarbeitung von Tinnitussignalen helfen.

Sendung: "Allegro" am 18. Oktober 2023, ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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