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Regisseur Valentin Schwarz Nach Buh-Rufen zurück zum Grünen Hügel

Als Valentin Schwarz sich zum Interview auf eine Parkbank setzt, arbeiten Bauarbeiter auf einem Gerüst am ehrwürdigen Festspielhaus. "Werkstatt Bayreuth", sagt er und lacht. Auch an seinem eigenen Werk will er weiterarbeiten. Nach einem beeindruckenden Proteststurm zahlreicher Zuschauer im vergangenen Jahr ist er mit seiner sehr umstrittenen Interpretation des "Rings des Nibelungen" nun zurück auf dem Grünen Hügel. Im Interview mit dpa erzählt er, wie er sich dabei fühlt.

ARCHIV - 23.07.2021, Bayern, Bayreuth: Der Regisseur Valentin Schwarz steht vor dem Festspielhaus. Der «Ring»-Regisseur Schwarz, dessen Inszenierung des «Ring des Nibelungen» schon 2020 Premiere feiern sollte, wegen Corona aber auf 2022 verschoben wurde, wird dieses Jahr bei den Festspielen dabei sein. (zu dpa Regisseur Schwarz plant Bayreuther «Ring» als Serie) Foto: Daniel Karmann/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Daniel Karmann

Bildquelle: dpa-Bildfunk/Daniel Karmann

Änderungen am "Ring" – sogenannte Verständnishilfen

dpa: Sie sind zurück auf dem Grünen Hügel. Was ist für Sie anders in diesem Jahr?

Valentin Schwarz: Die größte Neuerung ist ein neuer Dirigent: Mit Pietari Inkinen, also dem neuen alten Dirigenten, haben wir ja im Vorfeld der letztjährigen Premieren monatelang zusammengearbeitet, bevor er erkrankte. Er bringt im Vergleich zum Vorjahr eine neue musikalische Sicht auf die Szene mit. Außerdem haben wir einige neue Sängerinnen und Sänger; ich spüre eine große Gestaltungslust bei allen. Das ist die berühmte Werkstatt Bayreuth, in der es eben auch darum geht, den "Ring" als Prozess zu begreifen, nicht als unveränderliches Werk – eben Suche, nicht Stillstand. Diese Arbeit am "Ring" ist ein kommunikativer Prozess. Das heißt, wir tragen Dinge zusammen und werten sie aus. Wir verarbeiten unsere eigenen Eindrücke und die von außen aus der Rezeption. Wir gucken neu drauf, und daraus entstehen viele kleinere Veränderungen. Für mich heißt das konkret, dass ich zusätzliche Verständnishilfen bieten möchte für das Publikum und visuell an manchen Stellen klarer werden im Fokus. Konzeptionell ändert sich nichts.

dpa: Sie wollen Ihre Inszenierung verändern, weil sie vielen nicht gefallen hat?

Valentin Schwarz: Es geht nicht um Verrenkungen oder Zugeständnisse an den Geschmack. Wenn man versucht, jedem zu gefallen, ist man schon gescheitert. Jeder soll sich sein eigenes Bild machen dürfen. Ich will niemandem vorschreiben, was er hier erlebt, noch Erklärungen dazu abgeben. Das ist nicht die Intention; vielmehr sind wir hier, um Erfahrungen zu ermöglichen. Wir haben von Zuschauerseite sehr viele Rückmeldungen bekommen. Die verschiedensten Leute haben mitgeteilt, was sie alles an Situationen und Vorgängen gesehen haben in diesem Werk – Dinge, die ihnen vorher nie aufgefallen waren im "Ring"; das erfüllt mich, weil ich daran merke: Ich habe einen anderen Blick eröffnet. Das ist nach meinem Verständnis Aufgabe von Regie.

Weniger Fragezeichen, mehr Aussrufezeichen

dpa: Was ist denn dann der Grund, dass Sie sagen, Sie wollen dem Publikum vielleicht doch noch mal die eine oder andere Erklärhilfe an die Hand geben? Hat Sie das überrascht, wie das Publikum – oder zumindest große Teile davon – im vergangenen Jahr reagiert hat?

Valentin Schwarz: Grundsätzlich ist es doch gut, dass eine Debatte stattfindet. Kontroversen gehören für mich dazu, wenn man Kunst Relevanz zubilligt. Dass gewisse Koordinatenverschiebungen im "Ring" für Überraschungen und teilweise für Irritationen sorgen können, war abzusehen. Gleichzeitig habe ich die Beobachtung gemacht, dass Details gewisser Szenen und Situationen, die mir persönlich für den Gesamtzusammenhang wichtig sind, nicht von allen wahrgenommen wurden. Da brauchte es vielleicht, bildlich gesprochen, noch einen zusätzlichen Scheinwerfer auf die eine oder andere Szene, so dass man – wie im Film – einen stärkeren Fokus schafft und bei diesen Momenten weniger Fragezeichen, sondern mehr Ausrufezeichen setzt.

dpa: Welche Szenen wären das zum Beispiel?

Andreas Schager als Siegfried, Igor Schwab als Grane und Daniela Köhler als Brünnhilde | Bildquelle: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath Regisseur Valentin Schwarz wird den "Ring" an manchen Stellen leicht verändern. Auch die Interpretation der neuen Brünnhilde könnte etwas ändern. | Bildquelle: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath Valentin Schwarz: Es gibt verschiedene Momente, über die ich überraschende Dinge gelesen habe, die so nicht intendiert waren. Aber auch Reaktionen wie die von einer Dame aus den USA, die mir schrieb, sie habe sich in einer Situation selbst total wiedererkannt. Es gab sehr hellsichtige Beschreibungen aus verschiedenen Blickwinkeln, was mich gefreut hat. Die Zuschauerinnen und Zuschauer bringen ja verschiedenste Erwartungshaltungen und Hintergründe mit, ganz zu schweigen von der veröffentlichten Meinung. Wenn sie mich nach einem konkreten Beispiel fragen: Nehmen wir den Weltenbrand am Schluss der "Götterdämmerung". Das ist ja schon bei Wagner eine gedankliche Baustelle gewesen, wo er immer wieder verschiedene Versionen ausprobiert hat. Am Ende des "Rings" wird es dieses Jahr, auch durch die Interpretation unserer neuen Brünnhilde und unseres neuen Hagen, eine etwas andere Gestaltung geben.

"Ring" ist ein Drama des Hier und Jetzt

dpa: Die Reaktionen im vergangenen Jahr waren ja teilweise wirklich heftig und zum Teil auch unter der Gürtellinie. Hat Sie diese Heftigkeit überrascht? Warum war denn diese Wut so groß, haben Sie sich das mal gefragt?

Valentin Schwarz: Man kann verschiedene Erklärungen versuchen. Ich glaube, es geht vor allem darum, inwiefern Kunst auf unsere Gegenwart reagieren soll. Für mich ist der «Ring» ein Drama des Hier und Jetzt. Das zentrale Thema unserer Inszenierung ist die Generationen-Gerechtigkeit – aktueller denn je. Jede Generation trägt Verantwortung dafür, was sie der nachfolgenden Generation hinterlässt. Und dabei geht es nicht nur um Umweltsünden und den Raubbau an der Natur, sondern auch um Werte des Miteinanders und darum, welche Traumata weitergegeben werden. Mit diesen Hinterlassenschaften umzugehen, das ist eine der ganz großen zwischenmenschlichen und politischen Herausforderungen für uns und die Figuren im "Ring". Und diese Frage – welche Welt wir hinterlassen – ist, glaube ich, für viele Menschen unbequem, weil sie eine gehörige Portion Selbstkritik nach sich zieht. Ich bin davon überzeugt, dass wir in der Kunst auf die sich abzeichnenden Katastrophen und gesellschaftlichen Polykrisen, mit denen wir heute konfrontiert sind, nicht mit simplen Erklärmodellen reagieren können. Wir können uns nicht zurücklehnen und eine Botschaft X aussenden, die alles vereinfacht und so tut, als gäbe es eine halbgare Patentlösung für die komplexen Probleme unserer Gegenwart. Deren Dichte und die Dringlichkeit überfordert uns tendenziell. Und genauso ergeht es den Figuren im "Ring": Sie können sich nicht von den Wunden der Vergangenheit lösen und kommen deshalb nicht in der Gegenwart an – ohne Empowerment keine Zukunft.

dpa: Für Ihre These spricht, dass der «Tristan» im vergangenen Jahr so gut angekommen ist beim Publikum. Der ist ja mit seiner eher unpolitischen Anmutung so etwas wie das Gegenmodell zu Ihrem "Ring" und hat Weltfluchtmöglichkeiten geboten.

Valentin Schwarz: Ästhetisch war er das für mich auf jeden Fall. Weltflucht ist im "Tristan" ja angelegt. Das heißt, da steht man als Regisseur vor anderen Herausforderungen. Aber ja, das ist in gewisser Weise das Gegenmodell, da haben Sie schon recht.

Raus aus der Bubble

dpa: Glauben Sie, dass es schwieriger wird für Regisseure in dieser Welt, wie Sie sie beschrieben haben, die von Krisen geschüttelt ist, in der es so viele unbequeme Fragen gibt, das Publikum dafür zu begeistern, sich diesen Fragen auch noch bei einem Opernabend zu stellen?

Valentin Schwarz: Da sind wir jetzt bei der Frage des Ortes. Ich finde, Bayreuth ist und bleibt etwas Besonderes. Wagner hat hier nicht ein x-beliebiges Opernhaus zum Kunstgenuss erbaut, sondern er hat versucht, einen demokratischen Versammlungsraum zu schaffen. Hier sind alle Reihen gleich, es gibt keine Mittelloge für den König, sondern alle sitzen zusammen. Diesen Gedanken aus der griechischen Polis, dass man im Theater eine diskursive Gemeinschaft bildet, nehme ich ernst. Vielleicht sitzt man, während man sich seine Meinung bildet, neben jemandem, der genau gegenteiliger Meinung ist. Und diesen Menschen, der vielleicht obendrein in der Pause nervt, muss man nicht nur einen Abend lang ertragen, sondern der sitzt im «Ring» an vier Abenden hintereinander neben einem. Fast eine ganze Woche lang muss man sich mit jemandem auseinandersetzen, der oder die vielleicht völlig anders denkt als man selbst.

dpa: Das passiert nicht mehr oft.

Valentin Schwarz: Genau, das ist schon sehr ungewöhnlich im heutigen digitalisierten Leben, wo wir alle in unseren Bubbles flüchten und die Social Media-Algorithmen das Gegenteil von Demokratie betreiben – nämlich eine immer weiter fortschreitende Verengung des Horizonts. Ein Forum geschaffen zu haben, in dem verschiedene Haltungen aufeinandertreffen, das ist visionär gewesen von Richard Wagner. Dieser Herausforderung hat man sich zu stellen – neben Unbequemlichkeiten wie den engen Sitzen oder extremer Hitze im Saal. Das ist genau so gewollt. Das Bayreuth-Publikum ist ein sehr wissendes Publikum. Da muss man nicht die Geschichte erklären, sondern das Publikum will durchaus Extreme: In Bayreuth sieht jeder "Ring" anders aus als der letzte und stellt neue, andere Fragen.

Eine Katharsis in Bayreuth

dpa: Wenn Sie gedanklich zurückkehren in das vergangene Jahr - wie war der Moment für Sie, als Sie nach der "Götterdämmerung" auf die Bühne mussten? Da dürfte Ihnen ja schon klar gewesen sein, dass Sie kein Jubelsturm erwartet.

Valentin Schwarz: Es gehört quasi zu meinem Job, mich dem zu stellen und die Verantwortung zu tragen, im Positiven wie im Negativen. Ich persönlich habe diesen Moment als sehr kathartisch empfunden, wie eine Art von Reinigung; zu erleben, wie das Publikum sich untereinander erstmal einig werden muss – oder eben uneins bleibt. Das fand ich spannend, diesen Konflikt. Egal, ob wohlgesinnt oder kritisch, es ist eine unglaubliche Energie, die das Publikum aussendet. Da knistert es im Raum. Für mich war dieser Moment nach all den Jahren der Arbeit am "Ring" auch eine Zäsur, der Abschluss einer Phase in meiner persönlichen Biografie: magische Momente im Leben, wenn gleichzeitig eine neue Phase beginnt – eine Art Emanzipationsprozess, wie er auch im "Ring" öfter verhandelt wird: zum Beispiel, wenn Siegfried sich von seinem Ersatzvater Mime löst. Da konnte ich mich gut hineinversetzen.

Zur Person

Valentin Schwarz galt bei seiner Vorstellung als neuer Bayreuther "Ring"-Regisseur als große Überraschung. Die Aufmerksamkeit von Festspielchefin Katharina Wagner zog er mit der Inszenierung von Mauricio Kagels "Mare Nostrum" an der Oper Köln auf sich. 2017 gewann er mit seinem Bühnenbildner Andrea Cozzi beim Internationalen Regiewettbewerb "Ring Award" Graz den Hauptpreis, den Publikumspreis und diverse Sonderpreise. Sein Bayreuther "Ring" sollte eigentlich schon 2020 aufgeführt werden, verzögerte sich aber wegen der Corona-Pandemie um zwei Jahre.

Mit Material der dpa erstellt

Kommentare (4)

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Freitag, 30.Juni, 22:41 Uhr

Volkmar Heller

Buh-Rufe programmiert

Zu den Ausführungen von Herrn Schwarz fallen einem sofort Wagnerzitate ein,etwa "entnahmt ihr was der Worte Schwall" oder "mit tiefem Sinn willst du mich trügen".Das bedenkliche daran ist die Vermengung von Wahrheit und Unsinn ,die es einem schwer macht,kurz und prägnant zu antworten.Ich unterstelle ihm durchaus Verehrung für Wagner und Bayreuth,um so mehr befremdet das Ergebnis seines Wollens.Ich brauche keine neue Perspektive auf den Ring,der Blick Wagners auf seine Zeit und das kapitalistische System ist heute aktueller denn je.
Die künstlerische Umsetzung fasziniert bis heute und die Parallelen zur Gegenwart sind beklemmend genug.Überhöhungen,die auch noch erklärt werden müssen ,sind völlig überflüssig,vor allem ,wenn sie wie bei Schwarz aus sinnfreiem Klamauk bestehen.Herr Schwarz,nehmen Sie Feder,Tinte und Papier und schreiben Sie ein neues Stück aus ihrer Perspektive, Text und Musik!

Freitag, 30.Juni, 15:46 Uhr

Eva Schubert

Die Fähigkeit zur Selbstkritik, um...

...dadurch zu erkennen, daß man ungeeignet ist, fehlt diesem jungen Mann. Schuld trifft aber eigentlich nur Frau Wagner. Wir sind froh, daß wir den Ring von H. Kupfer, den Tristan von H. Müller, aber auch die Meistersinger von B. Kosky und den letzten Lohengrin erleben konnten und bleiben dem Hügel fern.

Freitag, 30.Juni, 08:29 Uhr

Fred Keller

Interview Valentin Schwarz

Als Valentin Schwarz sich zum auf eine Parkbank setzt,........

Guten Morgen, ich denke da fehlt was?

Donnerstag, 29.Juni, 15:42 Uhr

Der einsame Rufer

Wie nicht anders zu erwarten...

...unerträgliches Gefasel dieses selbstgefälligen Kulturzerstörers.

Die Realität wird erst gar nicht herangelassen. Der Buhsturm eines Publikums, dem er vorsätzlich einen teuer erkauften Jahreshöhepunkt verdorben hat, wird nur als "kathartische" Erfahrung in seinem kleinen narzisstischen Kosmos eingeordnet.

Und klar, an der schwachsinnigen "Konzeption" wird nichts geändert, war ja eh alles nur ein ein Missverständins innerhalb eines "kommunikativen Prozesses".

Na dann viel Spaß mit Wotan als Kinderschänder und embryonalen Traumatisiers Hagens auch in diesem Jahr. Wer dieses Jahr eine Karte erworben hat, weiß ja, auf was er sich einlässt, deshalb hält sich mein Mitleid in Grenzen.

Katharina Wagner sollte sich natürlich schämen, aber das hat sie sich ja auch längst abtrainiert...

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