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Kommentar – Lange und zu lange Opern Ist Wagner langweilig?

Langeweile bei Wagner. Das ist eine interessante Sache. Wörtlich heißt Langeweile ja ganz einfach: lange Dauer. Leugnen wäre zwecklos – lange dauern sie, die Opern von Wagner. Viele finden: zu lang. Ist Langeweile bei Wagner Schicksal? Oder kann man etwas dagegen machen? Bernhard Neuhoff meint: ja.

Szenenbild der Inszenierung von Harry Kupfer aus dem Jahr 1988 in Bayreuth | Bildquelle: Bayreuther Festspiele

Bildquelle: Bayreuther Festspiele

Mir wird bei Wagner ja normalerweise nie langweilig. Trotzdem kann ich sehr gut verstehen, wenn auch hochmusikalische Menschen im ersten Akt Siegfried auf so eine bestimmte Art das linke Bein über das rechte schlagen. Dann: das rechte über das linke. Und Retour. Irgendwann beginnt der Kopf zu sinken. Und plötzlich kommt dieses verräterische Zusammenzucken, wenn Zwerg Mime gerade wieder besonders laut keift. Wagner wusste schon, warum er es mit extra unbequemen Sitzen im Festspielhaus extra schwer gemacht hat, Erlösung im Schlaf zu finden. Allerdings muss man fairerweise festhalten: Wagners Opern dauern fast immer viel länger, als Wagner beabsichtigt hat.

Wagners Wutanfälle über zu langsame Tempi

Der wollte nämlich schnelle Tempi, viel schneller als heute üblich. Schon bei der Uraufführung des "Rings" bekam Wagner veritable Wutanfälle über die "elende Bummelei", zappelte und schrie: "Nu macht doch vorwärts!" Das Meistersinger-Vorspiel wollte er in acht Minuten erledigt haben. Ein kurzer Blick ins Schallarchiv des BR zeigt: 90 Prozent der Dirigenten brauchen mehr als zehn Minuten. Sergiu Celibidache hält mit 12‘28 den Rekord. Das ist um mehr als die Hälfte länger als von Wagner gewollt. Für die Vermeidung von Langeweile sind also an erster Stelle die Dirigentinnen und Dirigenten verantwortlich. Die müssen ein inneres Gefälle erzeugen, eine Art Antrieb, der diese dickflüssige Musik permanent auf Trab hält. Die schwierige Aufgabe für gute Wagner-Dirigenten ist: treiben, ohne schneller zu werden. Als hätten sie den Fuß gleichzeitig auf Bremse und Gaspedal.

DER THRILL DER "VIELFRASSWEISE"

Und dann ist da der Text. Falls man ihn versteht. Wenn nicht mal klar ist, in welcher Sprache da unverständliches Zeug gesungen wird, lässt das die Zeit nicht unbedingt schneller vergehen. Falls man doch ein paar Worte aufschnappt, sind auch noch nicht alle Probleme gelöst. Da gibt es immer wieder nervenaufreibend spannende halbe Stunden. Zum Beispiel im ersten Akt "Meistersinger" die thrillige Aufzählung sämtlicher Regeln beim Dichten von Meisterliedern. Oder im "Ring" argumentativ ergiebige Debatten über Vertragsklauseln der Wotan GmbH. Und natürlich, regelmäßig eingestreut als dramatisches Highlight, die immer sehr informativen Zusammenfassungen all dessen, was bisher geschah.

KEINE HANDLUNG IN DREI AKTEN

Den Untertitel zum "Tristan" muss man fast schon eine böswillige Irreführung des Publikums nennen: "Handlung in drei Akten" steht da. Geboten werden spitzfindige philosophische Abhandlungen, aus unerfindlichen Gründen auf zwei Personen verteilt, die ratlos im Halbdunkel stehen und sich gefühlt alle 24 Minuten zu umarmen versuchen.

WAGNERS WIRKUNGSKALKÜL

Warum wird mir all das nicht langweilig? Habe ich einen Fehler in der Zeitwahrnehmung? Oder gibt es einen Trick beim Hören? Vielleicht. Ich glaube, man darf vor allem keine Angst haben vor der Langeweile. Vielleicht gehört sie dazu, vielleicht ist sie sogar Teil des Werks, Teil des Wirkungskalküls. Vielleicht wollte Wagner, dass wir unsere Erwartungshaltung erstmal herunterdimmen. Uns lieber willig sedieren lassen als krampfhaft nach Ereignissen zu fahnden. Dann nämlich, wenn man sich drauf eingelassen hat, wenn man vorerst gar nicht mehr so viel erwartet, ist man ein Stück weit wehrlos. Gerade dann erwischt er einen zuverlässig umso heftiger.

Fünf Stunden Wagner – zu kurz?

Vielleicht muss also man durch die Langeweile durch, quasi in der Langeweile abtauchen und drunter durchschwimmen wie unter einer großen Welle. Man lässt sich tragen und verwandeln und kann sich drauf verlassen: Irgendwann wird man an die frische Luft gespült und ist in einer völlig anderen Zeiterfahrung … Und plötzlich, hehrstes Wunder, sind fünf Stunden viel zu schnell rum!

Sendung: "Allegro" am 19. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (13)

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Freitag, 26.August, 17:44 Uhr

Volkmar Heller

Wagner langweilig 3

Herr Brönner spricht mir aus dem Herzen.Langweilig sind Inszenierungen mit permanenter Aktion auf der Bühne und penetranten parallelen Videoclips.Unerträglich ,wenn Regisseure mir dann erklären,dadurch alles transparent und verständlich zu machen.
In RW genialer Kunst kommentiert und antizipiert das Orchester das Geschehen, dafür speziell im Ring das feingesponnene Netz an Leitmotiven.Nein,ich will kein Pferd auf der Bühne,keine Rauschebärte,kein Planschbecken,keinen Drachen aus Pappmaché.
Konzentration auf die Personen der Handlung und interessante Lichtregie würden mir reichen.
Wenn aber kurz vor dem Mord an Siegfried Wotans Raben auffliegen möchte ich da bitte etwas sehen,
zu wichtig,um es einfach wegzulassen.
Schlimm,dass auch zunehmend das musikalische Niveau unter dem RT-Schwachsinn leidet.

Freitag, 26.August, 14:36 Uhr

Wilhelm Brönner

Ist Wagner langweilig?

Kein einziges Musikwerk von Richard Wagner ist langweilig oder zu lang! Wenn ich nur an das Mammutwerk "Der Ring des Nibelungen" denke, dann ist die Thematik in einem Satz verkürzt: Weil der Mensch das Prinzip "Liebe" aufgibt zugunsten des Prinzips "Macht und Reichtum", geht diese Welt zugrunde. Das ist eine hochaktuelle Thematik, voller Psychologie und Dialektik! Und wenn dies begleitet wird durch geniale musikalische Dramatik, dann sehe ich ein absolut kurzweiliges Gesamtkunstwerk.
Allenfalls kann man es durch langweilige Inszenierungen (siehe die aktuelle Bayreuther des "Ring"!) verunstalten.
Eine andere Ursache, dass manche solche Werke als zu lang(weilig) empfinden, könnte auch an den vielen kurzlebigen oberflächlichen Alltagsbeschallungen liegen, die keiner Muße mehr Raum bieten für längere und tiefergehende Hörerlebnisse.

Dienstag, 23.August, 15:33 Uhr

Dr. Michael Strobel

RING an einem Abend

Wem Wagner zu lange ist, weil er sich bloß noch drei Sekunden auf eine Sache konzentrieren kann, und auch den Bayreuther Festspielen empfehle ich Loriots konzentrierte Fassung. Das spart viel Geld für unverständliche Inszenierungen und hässliche Bühnenbilder und auch wortundeutlich vor sich hingrummelnde, statuarische Sänger im Stile der 1890er Jahre blieben einem erspart. Kinder, schafft Neues, oder wie, oder was?

Dienstag, 23.August, 04:19 Uhr

Geraldine Gaul

Wagners Werke

Klar sind die lang, und das Sitzen--nicht nur in Bayreuth--lässt jeden Orthopäden sich die Hände reiben...aber Tristan durchhalten bis zum LIEBESTOD...Parsifal bis zu seinem.fulminanten Schluß? Gerne!! Keiner zwingt doch Kurzweiler, sich DAS anzutun! Es muß ja auch Hörer der Beatmusik geben...3min halten die doch durch ..gell??

Sonntag, 21.August, 09:57 Uhr

Kropsch Fritz

Wagner

Danke für diesen tollen Artikel.
Wagner kann nie langweilig werden, unter der Voraussetzung, dass man diese wunderbare Musik mag.

Samstag, 20.August, 14:14 Uhr

Steinmetz Gisela

Wagner zu lang? fünf Stunden zu kurz?

Klar, 4 oder 5 h bei einer Aufführung, die eine grottenschlechte Inszenierung hat, dass man sich ärgert wenn man sie ansieht und noch viel Geld gekostet hat. Gestern hatte ich in Operavision am PC die übertragene Premiere als Aufzeichnung von Siegfried in Longborough, England, angesehen. >>>ohne Pausen, 4 h durchgespielt, bei mir im Büro am Bürostuhl. Eine wunderbare, auch moderne, authentische Aufführung, bei der man auf der Bühne sieht, was gespielt wird und kein Rätsel, da kann man sich voll auf die Musik und den Gesang konzentrieren und .....genießen!! 4 Stunden!!! Und toll gesungen und gespielt.

Samstag, 20.August, 14:08 Uhr

Tomáš Spurný

Wagners Interpretation

Der Artikel - Volltreffer! Danke für tolle klare Aussage. Seit sehr lange Zeit denk ich dasselbe Toll!

Samstag, 20.August, 14:05 Uhr

Sabine Roth

Der Ring - Hochspannung bis zum Schluss

Die erste Wagner-Live-Erfahrung war der Freiburger Ring mit voller Dröhnung und nur kurzem Auftauchen in den Alltag zwischen den Aufführungen. Ich habe noch nie so eine spannende Woche erlebt mit wie geht's weiter, mit Vorfreude auf die Sängerinnen und Sänger und mit einem sich Reinfallen lassen in das Klangungetüm, mit Tränen beim Wonnemond und Erschütterung bei der Schlussszene der Götterdämmerung - und großer Trauer, dass alles so schnell vorbei war. Langweilig? NIE!

Samstag, 20.August, 11:57 Uhr

Volkmar Heller

Wagner langweilig 2

Die vom Autor angeführten Beispiele mit Langweiligkeitsverdacht beweisen ein gewisses Mass an Unkenntnis und Unverständnis.
Davids großspuriger Auftritt mit Kompetenzüberschreitung ist gut gemeint,vermehrt aber die Not Stolzings ungewollt.Logisch,dass dann Beckmesser Triumphator des 1.Aktes MS ist.Eine Szene mit feiner Komik,zu der eine das Schrille und Ordinäre liebende Spassgesellschaft natürlich kaum Zugang findet .Schreiers Interpretation in Karajan Dresdner MS-Aufnahme,hinreißend.
Die Rückblenden im Ring sind vom Feinsten und vielgestaltig,mal Monolog,dann Wissenswette,düsteres Orakel(Nornen),Erzählung(Waltraute) oder Instrumental(Trauermarsch) ,und treiben die Handlung an.Die Wissenswette 1.AktSiegfried ist ein Kabinettstück in Sachen Psychologie und Kommunikationstechnik.Mime versagt,weil er eben die falschen Fragen gestellt hat,nicht weil er eine Antwort schuldig blieb.Das soll langweilig sein?Nur für Unkundigedie meinen,ein kurzer Blick in den Reclam Opernführer muss reichen.

Samstag, 20.August, 10:05 Uhr

Prof. R. Wiedmann

Video-Tipp - Ist Wagner anstrengend?

Habe kürzlich eine wunderbare Erklärung auf diese Frage „ob Wagner anstrengend sei“ auf dem YouTube-Kanal „Klassik unfrisiert“ gesehen. Der Klassikerklärer Herr Dariusz Szymanski hat die Frage brilliant und amüsant beantwortet. https://youtu.be/nj1qqdYaNME

Samstag, 20.August, 08:41 Uhr

Bassetto

Der Wagner-Sog

Vor einigen Jahren, als Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper „Parsifal“ dirigierte, konnte ich keine Karte ergattern, aber es gab einen Live-Stream. Nun ja, dachte ich, den ganzen Parsifal am heimischen PC zu schauen, ist sicher zu viel verlangt, aber man kann ja mal reinhören. Am Ende bin ich nicht nur von der ersten bis zur letzten Minute aufmerksam dabei geblieben, ich fand es sogar kurzweilig!!
Das ist dieser besondere Sog, der in den besten Aufführungen entsteht und den sicher viele Opernfreunde kennen. Von Langeweile keine Spur!

Freitag, 19.August, 23:48 Uhr

Volkmar Heller

Wagner langweilig

Nein,Wagner ist nie langweilig,weder Handlung noch die Musik, unabhängig von den Tempovorgaben der Dirigenten.Seine musikdramatische Kunst ist hochgradig philosophisch inspiriert und von feinster psychologischer Charakterisierung der Personen durchzogen.Hier gibt es nichts Unlogisches, Überflüssiges oder abrupte unmotivierte Wendungen der Handlung.
Dargestellt werden Entwicklungsprozesse ,man schaue nur auf Brünnhilde,Wotan,Siegfried,Parsifal jenseits aller Gut-Böse-Klischees.Es sind die menschlichen Graubereiche ,die ich an W Kunst so schätze,die heute aktueller denn je ist.Über die sinfonische Durchdringung der Musik bei genialer Instrumentierung soll nicht weiter gesprochen werden.Wer das langweilig findet sollte sich Alternativen im rumtata-rumtata -Rhythmus suchen und bei Rampenopern glücklich werden

Freitag, 19.August, 12:54 Uhr

Störzel Alexander

Ist Wagne rlangweilig?

Bitte nicht in Trivialität oder Banalitäten abgleiten, nur, weil es nach dem Premierenzyklus aus Bayreuth nichts interessantes mehr zu berichten gibt.
Der Komponist hat die Menschen immer polarisiert und wird weiter polarisieren.
Schauen wir lieber, dass wir junge Menschen, von denen imme rdie Zukunft ausgeht, für die Kunst und für die Opern aller großen Komponisten sensiblisieren.
Die von Herrn Neuhoff gestellte Frage bringt uns keinen Millimeter weiter.
Ansosnten lese ich seine Artikel sehr gerne und bin damit sicher nicht alleine.

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