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Dirigent Cornelius Meister bei den Bayreuther Festspielen "Ich durchlebe eine Traumphase"

Eigentlich war Cornelius Meister für den "Tristan" vorgesehen, doch nun stemmt der Dirigent kurzfristig den neuen Bayreuther "Ring". Obwohl dieses Mammutunterfangen mit nur einigen Tagen Vorlauf fast ein Ding der Unmöglichkeit ist, folgte Meister dieser Aufforderung sehr gerne, verrät er im BR-KLASSIK-Interview.

Dirigent Cornelius Meister | Bildquelle: Gerald von Foris

Bildquelle: Gerald von Foris

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BR-KLASSIK: Sie haben in diesem Jahr ihr Debüt am Grünen Hügel gegeben. Ursprünglich war dafür die Eröffnungspremiere mit "Tristan und Isolde" vorgesehen. Zehn Tage vor Beginn der Bayreuther Festspiele wurde bekanntgegeben, dass Sie für Ihren erkrankten Kollegen Pietari Inkinen einspringen und den "Ring" übernehmen. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, nach wochenlanger Beschäftigung mit dem "Tristan" jetzt loszulassen und sich ganz auf den "Ring" einzulassen?

Cornelius Meister: Zunächst einmal ist es aus meiner Sicht selbstverständlich, dass man den Festspielen aus der Patsche hilft. Das ist wirklich eine missliche Situation, für die vier Abende des "Rings" über Nacht einen Dirigenten zu finden, der das Werk intus hat und der auch wenigstens ein bisschen mit dem Hügel vertraut ist. Das ist ja fast unmöglich. Und deswegen bin ich dieser Aufforderung auch gerne gefolgt, wenngleich ich sagen möchte, dass ich natürlich nach wie vor mit der "Tristan"-Produktion, die wir gemeinsam vorbereitet haben und bis kurz vor die Hauptprobe gebracht haben, mitfiebere.

Der Bayreuther Graben – ein dirigentischer Abgrund?

BR-KLASSIK: Sie haben 2013 den ganzen "Ring" an der Lettischen Nationaloper in Riga gegeben, und als Generalmusikdirektor sind Sie gerade verantwortlich für den neuen "Ring" an der Stuttgarter Staatsoper, wo in diesem Frühling die "Walküre" über die Bühne ging. Das heißt, Sie haben wirklich Erfahrung mit dem Zyklus. Aber der Bayreuther Graben, dieser "dirigentische Abgrund" – wie hat er auf Sie gewirkt? Wie war Ihr erstes Dirigieren dort?

Cornelius Meister: Tatsächlich war die erste Probe, bei der ich im Graben den Orchesterklang hören durfte, das "Rheingold". Und wir haben mit diesem "Es" begonnen. Oh Gott, in Worte fassen kann ich das eigentlich nicht. Also jeder Mensch, der mal das Glück haben sollte, wie auch immer auch nur drei Sekunden in diesem Graben zu sitzen und das zu hören, wird das nicht vergessen.

Ich kann das eigentlich nicht in Worte fassen.
Cornelius Meister über den Bayreuther Klang

BR-KLASSIK: Die zeitlichen Abläufe zwischen Bühne und dem Orchesterklang, der aus dem Graben zuerst auf die Bühne geworfen wird und dann erst im Publikumsraum ankommt, sind in Bayreuth ja sehr speziell. Was müssen Sie dabei als Dirigent beachten?

Dirigentenpult im verdeckten Orchestergraben mit Ansicht vom Saal im Richard-Wagner-Festspielhaus, Bayreuth | Bildquelle: picture alliance / imageBROKER | Günter Gräfenhain Dirigentenpult im verdeckten Orchestergraben im Richard-Wagner-Festspielhaus, Bayreuth | Bildquelle: picture alliance / imageBROKER | Günter Gräfenhain Cornelius Meister: Tatsächlich hilft es mir unglaublich, dass sich vor fast 20 Jahren hier schon als Assistent bei den Festspielen beteiligt war, damals bei der Neuproduktion von "Parsifal". Pierre Boulez hat dirigiert, Christoph Schlingensief hat inszeniert, und ich saß damals auch schon unten im Graben, hatte auch einige Klavierproben dirigiert. Und es ist genau, wie Sie sagen: Man hat einen vollkommen verfälschten Eindruck als Dirigent unten im Graben, was das Timing angeht. Denn wenn ich unten den Eindruck habe, Orchester und Sänger sind zeitlich zusammen, dann ist das draußen beim Publikum nicht der Fall.

Das hängt damit zusammen, dass der Klang von der untersten Reihe, wo die Posaunen sitzen, buchstäblich viele Meter nicht nur vor, sondern auch unterhalb von mir erst einmal an die Wand dieses Schalldeckels und dann von dort auf die Bühne geworfen wird. Das sind je nach Bühnenbild 20 bis 30 Meter. Und dann wird der Klang von der Bühnenrückwand zurück wiederum in Richtung Publikum reflektiert – und die Sängerstimme darf sich erst auf diesem letzten Weg draufsetzen. Somit sind die Sängerinnen und Sänger mal gerne zu früh, oder anders gesagt: Das Orchester klingt zu spät. Meine Aufgabe ist es, das vorauszuahnen und so zu koordinieren, dass der Klang am Ende hoffentlich zusammen beim Ohr des Publikums ankommt. Denn darum geht es ja.

Kritiken zum neuen Bayreuther "Ring"

Lesen Sie hier die BR-KLASSIK-Kritiken zu den bisherigen "Ring"-Teilen: "Das Rheingold" und "Die Walküre".
Eine erste Kritikerrunde zur "Götterdämmerung" findet schon während der Premiere statt. Nach dem zweiten Aufzug diskutieren in der Radioübertragung Christine Lemke-Matwey (ZEIT), Jan Brachmann (FAZ) und Bernhard Neuhoff (BR-KLASSIK) miteinander.

Großer Bayreuther Erfahrungsschatz

BR-KLASSIK: Haben Sie sich eventuell auch Rat eingeholt, zum Beispiel bei Dirigent Christian Thielemann, der seit 22 Jahren auf dem Hügel als Dirigent zuhause ist?

Cornelius Meister: Selbstverständlich. Die Weitergabe der Erfahrung ist für mich das A und O, und hier in Bayreuth natürlich besonders. Das sind ja mündliche Weitergaben. Es gibt keine Bücher, die man lesen könnte, sondern man wird in diese Festspielfamilie aufgenommen, und ich bin begierig danach und sauge das auf, was Generationen an Erfahrungen gemacht haben. Es ist sehr schön, dass es hier in allen Abteilungen etliche Kolleginnen und Kollegen gibt, die seit Jahrzehnten wirklich jeden Sommer in Bayreuth sind und sich freuen, dass diese Tradition über die Akustik, aber auch über vieles andere im Haus, einfach ganz natürlich mündlich weitergegeben wird.

Die Weitergabe der Erfahrung ist für mich das A und O.
Cornelius Meister

BR-KLASSIK: Bayreuth ist ja ein Mekka für alle Mitwirkenden in Sachen Wagner – ob für das Orchester, für die Menschen hinter der Bühne, aber auch für die Sängerinnen und Sänger. Da ist ja auch ein Ensemble in vielen Jahren gewachsen. Einige neue Sängerinnen und Sänger sind bei dem neuen "Ring" auch dabei. Wie war Ihr gemeinsamer Weg zur Interpretation?

Cornelius Meister: Tatsächlich kenne ich eine ganze Reihe der Mitwirkenden schon seit vielen Jahren. Wir haben an unterschiedlichsten Orten Wagner und auch anderes Repertoire aufgeführt, von Tokio über die Wiener Staatsoper bis zur Semperoper. Da herrscht ein über Jahre gewachsenes Vertrauen. Und insgesamt muss man natürlich schon sagen: Die Erfahrung, über die wir gesprochen haben, gilt für das Sängerensemble in besonderer Weise.

Dirigent Cornelius Meister | Bildquelle: Gerald von Foris Dirigent Cornelius Meister | Bildquelle: Gerald von Foris Wir haben bei "Siegfried" in diesem Jahr mit Andreas Schager und Arnold Bezuyen ein unglaublich tolles Paar als Siegfried und Mime. Dazu kommt Tomasz Konieczny als Wanderer. Daniela Köhler, die ja nur im "Siegfried" die Brünnhilde singt, während Irène Theorin diese Rolle bei der "Walküre" und der "Götterdämmerung" übernimmt. Eine aus meiner Sicht sehr stimmige Besetzung, die einfach Lust macht, miteinander Theater zu machen. Ich hoffe, dass sich das auch in der Audioübertragung vermittelt.

BR-KLASSIK: Haben Sie das Gefühl, dass Sie auf dem Niveau in Bayreuth ganz anders abheben können – weil da schon so ein Wagner-Konsens herrscht?

Cornelius Meister: Ich habe auf jeden Fall das Gefühl, dass der "Ring des Nibelungen" genau hierher an diesen Ort passt. Denn die Voraussetzungen, die hier vorherrschen, sind einzigartig. Ich spüre, dass dieses Haus für den "Ring des Nibelungen" konzipiert wurde. Und Richard Wagner, der so vielerlei angestoßen hat, war eben auch jemand, dem es ganz wichtig war, wie die Werke aufgeführt werden. Für ihn ist ja seine Partitur nicht das Endergebnis, sondern die Aufführung ist das, was ihn interessiert hat. Und das spüre ich hier ganz besonders in diesem Haus.

Cornelius Meister und Valentin Schwarz – ein Dreamteam?

BR-KLASSIK: Die Aufführung lebt von der Musik, aber auch von der Szene, von der Inszenierung. Dafür ist Valentin Schwarz verantwortlich, ein junger Regisseur, gerade Anfang 30. Sie sind Anfang 40. Wie haben Sie beide zusammengearbeitet?

Cornelius Meister: Tatsächlich ist die Situation ja insofern schon kurios, als wir ja nun als Team durch diese besondere Situation erst seit wenigen Tagen zusammengekommen sind. Wir kennen uns schon seit einigen Jahren und ich schätze Valentin Schwarz auch sehr – sowohl menschlich als auch als Regisseur. Aber natürlich haben wir jetzt quasi in Rekordzeit Dinge zusammengeführt, für die man sonst manchmal über Jahre immer wieder zusammensitzt, ringt, nachdenkt und vielleicht auch verwirft. Weil eben die geballte Kompetenz in Bayreuth versammelt ist, war das jetzt möglich. Alle sind unglaublich flexibel. Ich selber schaue eigentlich die gesamte Zeit am liebsten auf die Bühne, während ich dirigiere. Mein Ziel ist es, immer, eine Theatralik zu erspüren. Musik und Szene sind natürlich wichtig, aber der Text und das Wort, das ist für mich und für uns alle auf jeden Fall immer die Basis.

BR-KLASSIK: Alle Augen und Ohren richten sich immer auf die Premieren. Beim "Ring" sind es vier. Wenn die Premieren vorbei sind und der Druck abfällt, freuen Sie sich dann besonders auf das gemeinsame Musizieren?

Cornelius Meister: Als Druck würde ich das gar nicht bezeichnen. Tatsächlich haben wir das Glück, drei Mal den gesamten "Ring" in diesem Sommer hier aufführen zu können. Ich habe ja wirklich ein unglaubliches Privileg, dass ich in meinem Leben das machen darf, was ich mir immer gewünscht habe – und jetzt hier in Bayreuth in besonderer Weise. Das ist das Schönste, was mir als Wagner-Dirigent passieren kann, hier in Bayreuth den "Ring" zu dirigieren. Eine Situation, die so schön ist, dass ich mir im Augenblick gar nicht vorstellen will, wie das dann im September sein wird … Derzeit durchlebe ich wirklich eine Traumphase."

Wir haben eine ganz große Verantwortung vor dem Werk und vor dem Publikum.
Cornelius Meister

BR-KLASSIK: Ist der Bayreuther Graben für Sie ein Höhenflug?

Cornelius Meister: So würde ich das, glaube ich, nicht bezeichnen, denn der Graben ist ja sehr tief und wir alle sind sehr ernsthaft. Wir haben eine ganz große Verantwortung vor dem Werk und vor dem Publikum, dass es einfach richtig überzeugend wird. Und natürlich wird uns nicht alles gelingen, das ist immer so, aber wir streben es immer wieder erneut an. Ich selber gehe nach jeder Probe und nach jeder Aufführung sehr lange in mich, um zu überlegen: Was können wir nächstes Mal noch adäquater erreichen? Darum geht es jedes Mal.

Premiere der "Götterdämmerung" live im Videostream auf BR-KLASSIK

Live im Videostream: Freitag, 5. August 2022, 16:00 Uhr
Zeitversetzt im Radio: Freitag, 5. August 2022, 20:04 Uhr

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