BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik - "Fidelio schweigt" in Gelsenkirchen Kraftvolles Statement einer Komponistin

Eher ungewöhnlich ist es schon, eine Uraufführung an einem Sonntagnachmittag anzusetzen. Das Musiktheater im Revier hat es trotzdem getan. "Fidelio schweigt" ist ein kraftvolles Statement einer tollen Komponistin: gut inszeniert und– beinahe – exzellent besetzt.

Szenenbild "Fidelio schweigt", Oper von Charlotte Seither, Uraufführung 12.05.2024 | Bildquelle: Karl und Monika Forster

Bildquelle: Karl und Monika Forster

Nicht gerade voll ist das Musiktheater im Revier am Sonntagnachmittag um 16 Uhr. Es gibt zwar kein konkurrenzierendes Fußballmatch, aber das Wetter zeigt sich sommerlich, und manch einer mag sich gedacht haben, och nö, jetzt in die Oper, zumal in eine Uraufführung, dat lass ich lieber. Schade!

Ausgangspunkt: Beethovens "Fidelio"

Szenenbild "Fidelio schweigt", Oper von Charlotte Seither, Uraufführung 12.05.2024 | Bildquelle: Karl und Monika Forster Szenenbild aus "Fidelio schweigt", Oper von Charlotte Seither, Uraufführung am 12. Mai 2024 in Gelsenkirchen | Bildquelle: Karl und Monika Forster Charlotte Seither, geboren 1965 in der Pfalz, liefert seit vielen Jahren verlässlich gehaltvolle Novitäten, sie liebt besonders kammermusikalische Besetzungen und schreibt wunderbar für Stimme(n). Meist sind ihre Stücke fein ausgehört, reich an Ideen und heben sich von post- oder popmoderner Beliebigkeit ab, wie sie zunehmend die Neue-Musik-Szene (über)formt. In Gelsenkirchen wurde Seithers Musiktheater "Fidelio schweigt" zum großen Publikumserfolg. Der Ausgangspunkt ist Ludwig van Beethovens einzige Oper, sie erklingt teilweise völlig "normal", nur wird die Sache oft unterbrochen, etwa durch einen flüsternden, geräuschhaften, auch mal klagenden Chor oder Gerassel aus dem Graben oder wiederum durch kantige, dabei für romantisch veranlagte Ohren aber nicht zu sehr schmerzende Töne.

Die treue Gattin wird aufgewertet

Librettist und Regisseur Hermann Schneider will die treue Gattin, welche ihren im Kerker gefangenen Florestan befreit und mit ihm sowie weiteren lieben Charakteren bei Beethoven ein beschwingt-pathetisches Pompfinale feiert, aufwerten und gibt ihr die letzten Sätze. Als neue Herrscherin (oder zumindest Ministerin) wird Leonore die Geschicke ihres Volkes vielleicht in bessere Sphären führen, wobei sie sich spürbar unwohl fühlt und auch die allerletzten Beethoven-Töne nicht vom Tutti-Klangkörper kommen, sondern sie ein auf der Bühne sitzendes Streichquartett eher filigran und behutsam spielt.

Zwei Drittel Beethoven, ein Drittel Seither

In der knapp zweistündigen Aufführung hört man gefühlt zwei Drittel Beethoven und ein Drittel Seither. Das bedeutet, vieles vom eigentlichen "Fidelio" (oder "Leonore", wie das Stück in einer anderen Fassung heißt) ist gestrichen. Fokussiert wird vielmehr die, hier etwas unklare, Beziehung zwischen dem bösen Don Pizarro und Leonore, sie treffen sich auch mal in einem Hotelzimmer. Der eigentliche Knackpunkt: In einem hollywoodreifen Showdown sterben Pizarro und Florestan, die nervös umherschießende Leonore ist daran nicht ganz unschuldig. Später erinnert man sich an die düstere Zeit in Form eines Staatsaktes.

Szenenbild "Fidelio schweigt", Oper von Charlotte Seither, Uraufführung 12.05.2024 | Bildquelle: Karl und Monika Forster Szenenbild aus "Fidelio schweigt", Oper von Charlotte Seither, Uraufführung am 12. Mai 2024 in Gelsenkirchen | Bildquelle: Karl und Monika Forster Dank Hermann Schneiders pointierter, schlackenloser Regie wird das nicht unfreiwillig komisch, sondern wirkt in jedem Moment plausibel. Besonders stark sind die wie eine Art griechischer Tragödien-Chor auftretenden Sängerinnen, die den berühmten (männlichen) Gefangenenchor kontrastieren. Seithers oft nur knappe Motivminiaturen oder Geräuschgewitter öffnen und erweitern auf sinnvoll-sinnliche Weise den Horizont.

Chor und Neue Philharmonie Westfalen in Höchstform

Ein Pfund sind in Gelsenkirchen vor allem die von Alexander Eberle fulminant einstudierten Chöre (selbige müssen hier einfach nochmals erwähnt werden!) und die von Peter Kattermann zackig und expressiv geleitete Neue Philharmonie Westfalen. Ilia Papandreou spielt und singt Leonore mit Kraft und vielen Farben. Benedict Nelson überzeugt mit dunkel-bösen Tönen als Pizarro, Gefängniswärter Rocco wird von Almas Svilpa ebenfalls gut gesungen. Einziges Manko: Martin Homrich als Florestan – er hatte am Premierennachmittag doch arg mit den Beethoven'schen Höhen zu kämpfen und musste sich auch sonst immer wieder durch ein paar technische Tricks retten. Das alles klang sehr nach Nervosität und mag sich in den kommenden Aufführungen jedoch geben.

Sendung: "Leporello" am Montag, 13. Mai ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Montag, 13.Mai, 13:29 Uhr

Herbert Gutmann

Warum Gelsenkirchen???

Ich frage mich seit längerem, nach welchen Kriterien Sie die Themen Ihrer Beiträge auswählen ... Oper in Gelsenkirchen oder sonst wo in Norddeutschland, Festivals in Österreich etc.
Bayern hat eine so reiche Kulturlandschaft und die sollte auch mehr berücksichtigt werden. Ich als Hörer aus dem Kerngebiet des BR würde mir wünschen, besser über die Veranstaltungen in Bayern informiert zu werden. Oder auch Interviews zu den lokalen Festivals zu hören. Das war früher durchaus der Fall und hilfreich. Vielleicht könnte man dahin wieder zurückkehren!

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player