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Kritik – "La Bayadère" in München Ein unverzichtbarer Klassiker

Zeitreise am Bayerischen Staatsballett: "La Bayadère" ist ein Klassiker der Ballettgeschichte, zumal in der über 100 Jahre alten Choreografie von Marius Petipa. Im Nationaltheater gelingt eine kritische Rekonstruktion des Stückes – und eine, die zeigt, wie gut der neue Ballettdirektor Laurent Hilaire dem Ensemble tut.

La Bayadere | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Klassische Ballette werden ja in der Regel so getanzt wie das im 19. Jahrhundert auch der Fall war. Und auch so ausgestattet. Und das ist – in manchen Fällen – nicht ganz unproblematisch. Klischees und Zuweisungen aus der europäischen Kolonialzeit finden sich häufig in den bunten Defilees dieser Ballette. Daran entzünden sich Debatten. Etwa als man in Berlin den "Nussknacker" aus diesem Grund aus dem Vorweihnachtsspielplan nahm. Man kann sich also durchaus fragen, ob die Bayerische Staatsoper eine gute Idee hatte, als sie beschloss, den Petipa-Klassiker "La Bayadère" wieder auf den Spielplan zu setzen.

Trotz Kolonialklischees: In München gelingt ein großer Ballettabend

Denn "La Bayadère" ist voller Indien-Klischees, die aus der europäischen Kolonialzeit stammen: Orientalismus, Pumphosen, Tempeltänzerinnen. Aber auch das ist "La Bayadère": Reichtum, Macho-Männer, soziale Ungleichheit. Immerhin kann sich die Liebe zwischen dem Krieger Solor und der Bayadère Nikija aufgrund gesellschaftlicher Hierarchien nicht erfüllen. Und ja, eine große Liebesgeschichte ist "La Bayadére" natürlich auch. Das Bayerische Staatsballett hat den romantischen Klassiker in Patrice Barts Umarbeitung von 1998 wiederaufgenommen. Natürlich nicht ohne Zweifel im Vorfeld. Denn immerhin wurde dieses Werk zuletzt eher von den Spielplänen gestrichen als wieder aus der Kulissenlagern hervorgeholt.

Herausgekommen ist in erster Linie ein großer Ballettabend. Die Kompanie erlebt gerade eine Blütezeit. Der neue Ballettdirektor Laurent Hilaire tut dem Ensemble sichtbar gut. Technisch brillant waren die Tänzerinnen und Tänzer auch vorher schon. Doch neu ist: Der erzählerische Willen, der nun mit den Bewegungsqualitäten verknüpft wird, der Gemeinsinn der Gruppenszenen, die über die Rampe hinweg spürbare Euphorie der gemeinsamen Arbeit. Und: "La Bayadère“ ist als eines der großen klassischen Handlungsballette ein Paradestück um diese neue Qualität zu zeigen.

Klicktipp

"Was macht das Ballett, Herr Hilarie?" – Lesen Sie hier, was Laurent Hilaire in der Saison 2023/24 mit seinem Ensemble vorhat.

Rahmenprogramm ordnet das Ballett in seinen historischen Kontext ein

Madison Young in der Titelrolle und Maria Baranova als Gamazatti geben ein antagonistisches Paar, das sich nicht nur tänzerisch gegenübersteht, sondern auch menschlich. Young tanzt die Bayadère Nikija mit melancholischer Kühle. Schon vor ihrem Tod etwas weltentrückt, aber willensstark. Baranova hingegen versetzt ihren Arabesquen eine Schärfe, ein arrogantes Selbstbewusstsein, das ihre höhere Herkunft, ihren gesellschaftlich bessergestellten Anspruch ans Leben spürbar werden lässt. Und Osiel Gouneo als Solor steht tatsächlich ein bisschen zwischen ihnen. Nicht nur der äußeren tragischen Umstände wegen. Auch innerlich kann er Gamazatti in den gemeinsamen Pas de Deux durchaus etwas abgewinnen.

Soweit die Grundkonstellation. Dazu gibt es viele Symbole Indiens, wie man sie sich eben im 19. Jahrhundert so vorgestellt hat. Das Bayerische Staatsballett hat die Wiederaufnahme dieses Stücks mit einem Rahmenprogramm flankiert, um das etwas abzumildern. So hat man etwas eine klassische indische Tänzerin eingeladen, die in Austausch getreten ist mit den Tänzerinnen und Tänzern der Kompanie. Das Programmheft wurde neu aufgelegt und um einordnende Texte zum Orientalismus des 19. Jahrhunderts und zur Geschichte dieses Balletts ergänzt. Die Wiederaufnahme der Bayadère in München ist eine Art kritische Ausgabe des Klassikers. Eine Art konstruktiver Konservatismus. Denn bei aller Kritik: Verzichten möchte man auf dieses Stück hier nicht.

Das Publikum zeigt sich begeistert

Das Publikum am Premieren-Abend im Übrigen auch nicht. Fast jedes Solo, fast jeder Abschnitt bekommt heftigen Zwischenapplaus. Schon von Anfang an. Die Tänzerinnen und Tänzer werden gepusht. Osiel Gouneo springt gedrehte Arabesquen in der Manege, Madison Young dreht die obligatorischen Fouéttes ohne Makel. António Casalinho verleiht dem Goldenen Idol eine fast surrealistische Strahlkraft. Der Schattenakt ist reinster Ballettzauber, die Corps-de-Ballet-Szenen sind aus einem Guss. Denn ja, das ist "La Bayadère" auch: Klassisches Ballett in technischer Höchstform, dass auch genauso gezeigt wird. Und in all dieser Artistik steckt dann auch ein kleines Schmunzeln: Das Defilee am Ende des ersten Akts – bunt, überbordend und mit einem Trommeltanz: Starke Männer, hohe Sprünge, und dann plötzlich dazwischen eine Frau. Gehört zum Stück. Sie tanzt dieselben Sprünge. Sie ist nicht ausgestellt, verkörpert nicht die Gegenseite, sie ist einfach dabei. Trotz aller Mann-Frau-Klischees, aller Ost-West-Klischees, gibt es hier diesen kleinen Bruch. Der aber schafft eine große Verbindung in das Denken und Fühlen von Heute.

 Sendung: "Piazza" am 27. Mai ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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