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Kritik – Benjamin Bernheim bei den Münchner Opernfestspielen Charaktervoller Wundertenor

Er ist der neue Tenor-Star aus Frankreich, mittlerweile feiert Bernheim an den besten Opernhäusern der Welt Riesenerfolge – mit lyrischen Partien des französischen und italienischen Fachs. Auch seine Alben bieten bislang ausschließlich Opernarien. Doch wie schlägt sich Benjamin Bernheim in der intimen Gattung des Lieds? Am 19. Juli hat er bei den Münchner Opernfestspielen einen Liederabend im Prinzregententheater gegeben – mit Schumanns "Dichterliebe" und französischen Kunstliedern der Romantik.

Benjamin Bernheim | Bildquelle: © Christoph Köstlin

Bildquelle: © Christoph Köstlin

"Im wunderschönen Monat Mai" – was für eine kostbare Stimme im heißen Monat Juli da im Münchner Prinzregententheater zu erleben war! Edel timbriert, weich und samtig, aber auch kernig und strahlend in der mühelosen Höhe, klug geführt und makellos in der Intonation – so präsentierte der französische Wundertenor Benjamin Bernheim seine außergewöhnliche Stimme beim Festspiel-Liederabend. Zunächst in Robert Schumanns "Dichterliebe" aus dem Liederjahr 1840, jenem Zyklus kongenial vertonter Gedichte des lieblichen, trotzigen, zuweilen auch spöttischen Heinrich Heine, die um aufflammende Liebe und Sehnsucht, um gebrochene Herzen und abgrundtiefe Tristesse kreisen, bis der Erzähler am Ende seine Liebe quasi im Sarg versenkt. Ein Reigen kontrastierender Gefühlslagen, den man wegen der charakteristischen Klaviernachspiele zwischen den einzelnen Liedern auch als Einheit, als kontinuierliche Reise ins Innere begreifen kann.

Noch Luft nach oben

Bernheim schlägt einen schlichten, innigen Schumann-Ton an, phrasiert stimmig, formt schöne Legato-Bögen, mal ganz tonlos und fahl, dann wieder verzückt und schwärmerisch. Erstaunlich ist sein Deutsch allemal, er spricht die Sprache wohl auch, wenngleich manche Vokale leicht französisch gefärbt und die harten Konsonanten recht weich klingen. Angenehm unprätentiös geht Bernheim Schumanns Schmerzenswelt an, mit wunderbar zarten Pianissimo-Stimmungen und kontrollierten Leidenschaftsausbrüchen. Sympathisch ist diese Dezenz, die vielleicht noch zu viel Respekt vor der deutschen Romantik verrät. Aber Bernheim fehlt vorerst noch der Facettenreichtum zwischen Andachts- und Balladenton in diesem Zyklus, der Sinn auch für Heines Ironie, den Übermut Schumanns. Zu monochrom wirkt seine hochkultivierte Interpretation der "Dichterliebe", da ist in noch Luft nach oben, wenn man etwa an die Gestaltungskraft eines Ian Bostridge denkt, der in seiner Aufnahme von 1997 ein emotionales Wechselbad entfesselt.

Exquisite Klangfarben aus Frankreich

Indem er Schumanns "Dichterliebe" mit ausgewählten französischen Kunstliedern, sogenannten "Mélodies" aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kombinierte, rundete Bernheim sein anspruchsvolles Programm zum Thema "Liebe und Tod". Da ist Bernheim dann ganz in seinem Element, sprachlich sowieso, und musikalisch geht er hier viel mehr aus sich heraus, steuert mit Verve emotionale Höhepunkte an. Auswendig gestaltet er in Henri Duparcs schillernden, morbiden und amourösen Klangwelten exquisite Schattierungen, verwandelt im berühmten Lied "Le Spectre de la Rose" aus den "Nuits d’été" von Hector Berlioz das Bild der verblühten Rose zwischen hymnischem Paradies und dumpfem Grab zu einer packenden Szene. Höhepunkt ist dann die große, halbstündige Elegie "Poème de l’amour et de la mer" von Ernest Chausson, die textwidrig meist von Frauen gesungen und fast nur in der reich kolorierten Orchesterfassung aufgeführt wird.

"Tristan"-nahe Harmonien

In den ausgedehnten, vollgriffigen Zwischenspielen überzeugte dann auch die kanadische Pianistin Carrie-Ann Matheson weit mehr als in der "Dichterliebe", wo sie für Schumanns ausgeprägte Klavierkunst nur routinierte, wenig subtile Töne fand, die manchmal zudem arg holprig daherkamen; einige Noten fielen gar unter den Tisch. Chaussons todestrunkene Gesangsszene über das Meer und eine verflossene Liebe, lange vor Debussys "La mer" entstanden, führte im Dialog von Matheson und Bernheim durch raffiniert verschattete Seelenlandschaften, durch "Tristan"-nahe Harmonisierungen und leidenschaftliche Gefühlsaufwallungen in eine versunkene Welt.

Benjamin Bernheim: Alles andere als ein Showtyp

Ganz ohne Pathos, ohne jeden Anflug von Sentimentalität gestaltet Benjamin Bernheim diese sensitive Musik, bescheiden im Auftreten, alles andere als ein Showtyp. Mit großem Ernst bannt er das Publikum im ausverkauften Prinzregententheater, das hochkonzentriert lauscht, zur Ruhe kommt abseits des Alltagslärms. Am Ende kennt der Jubel keine Grenzen, und es gibt zwei Zugaben. Nach dem versonnenen "Morgen!" von Richard Strauss gibt Bernheim dann doch noch dem Affen Zucker: mit dem überschäumenden Léhar-Hit "Dein ist mein ganzes Herz" – fraglos charaktervoller als sein Kollege Plácido Domingo vor einer Woche.

Sendung: "Allegro" am 20. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Samstag, 22.Juli, 15:38 Uhr

Lisa Sittich

Liederabend Bernheim

Monochrome .....Interpretation ??
monochrom = griechisch (einfarbig), oder bedeutet Ton in Ton, oder Grauabstufungen,
monochrom ist ein Begriff aus der Malerei und Fotografie,
dieser Begriff passt überhaupt nicht zur farbenreichen Interpretation des Herrn Bernheims.
Farbenreiche Facetten sind sein Spezialgebiet, modern und schlank dargeboten.

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