Intendant Sebastian Ritschel erweitert mit großem Publikumserfolg das Repertoire des Regensburger Theaters über die üblichen Erfolgsstücke und Klassiker hinaus. Ihm sind Neuentdeckungen wichtig, auch sperrige, wie Stephen Sondheims autobiografisches Musical von 1981. Der begeisterte Applaus rechtfertigte das Wagnis.
Bildquelle: Marie Liebig
„Erfolg ist eigentlich gar nicht so toll“, wird in diesem Musical behauptet, und weil es ein durch und durch amerikanisches Musical ist, ist das schon bemerkenswert, schließlich wird der Erfolg kaum irgendwo so sehr gefeiert, angehimmelt (und bezahlt) wie in den USA. Komponist Stephen Sondheim konnte davon mehr als ein Lied singen, denn er gehörte zumindest bei den Kritikern und Branchenkollegen zu den meist bewunderten Künstlern seiner Generation. Allerdings wurde der Vielschreiber Sondheim abgesehen von seinen Texten für die „West Side Story“ nie populär, nie mehrheitsfähig, weder am Broadway, noch in Deutschland. Er scheute eingängige Melodien, sentimentale Hymnen, Herzschmerz und Abenteuerfabeln.
Stattdessen verfasste er ein sozialkritisches Musical nach dem anderen, mit sehr amerikanischen oder besser gesagt typisch New Yorker Themen. Sondheim ist insofern fast schon der „Stadtneurotiker“ unter den Komponisten. So intellektuell und verschroben, wie seine Stoffe sind, sind sie anderswo naturgemäß schwer vermittelbar, auch in Regensburg. Gleichwohl entschied sich der dortige Intendant Sebastian Ritschel, „Merrily We Roll Along“ zu inszenieren. Grund dafür: Ihm geht es darum, wegzukommen vom immergleichen Kernrepertoire des Musiktheaters, Entdeckungen zu machen, Risiken einzugehen.
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In diesem Musical, das 1981 floppte, später jedoch dank Starbesetzung erfolgreich wiederbelebt wurde, erzählt Stephen Sondheim aus seinem eigenen Leben als Komponist, und zwar im Rückwärtsgang. Mitte der siebziger Jahre wird er, hier unter den Namen Frank Shepard, von den Kollegen und Wegbegleitern bejubelt, muss jedoch erkennen, dass er für den Ruhm sein privates Glück geopfert hat. Folgerichtig nimmt er das Publikum mit zu den Lebensstationen, die ihn in die fragwürdige Glitzerwelt des Showgeschäfts geführt haben, zurück bis ins Jahr 1957, als er hoffnungsfroher Teenager war. Wer allerdings meint, dass er dabei die Popmusik der Sechziger und Siebziger zitiert, der täuscht sich: Sondheim bleibt durchgehend seinem kühlen, rhythmusorientierten Sprechgesang treu. Das Regensburger Premierenpublikum war dennoch angetan, wie der begeisterte Schlussapplaus bewies.
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Sebastian Ritschel und seine Ausstatterin Barbara Blaschke hatten reichlich Discokugeln in die Bühne gehängt und ließen die Mitwirkenden durchgängig im flirrenden Pailletten-Outfit auftreten. Das erinnerte an sehr an die glanzvollste Ära des Deutschen Fernsehballetts zu Zeiten des Schwarz-Weiß-Fernsehens, und weil Andreas Bieber in der Titelrolle mit seiner blonden Mähne doch sehr an Dieter Bohlen erinnerte, war der Retro-Look perfekt. Gesungen und getanzt wurde hoch motiviert, auch von Fabiana Locke als Musical-Diva und Felix Rabas als eifrigem Textdichter, und doch wurde einmal mehr deutlich: Sondheim ist anstrengendes Kopfkino. Er will verstanden, nicht nachempfunden oder gar nachgefühlt werden. Leider fehlte ihm das Talent eines Kurt Weill, der die seichte Unterhaltung ja auch verabscheute, dem Publikum aber ausreichend Zugeständnisse machte, um populär zu werden.
Dirigent Andreas Kowalewitz gab sein Bestes, den knapp dreistündigen Abend immer wieder mit sattem Bigband-Sound aufzupeppen. Die Instrumentation funktioniert bei Sondheim, keine Frage, was fehlt, sind tanzbare Melodien. Deshalb werden seine Werke ein Fall für eine vergleichsweise kleine, anspruchsvolle Fangemeinde bleiben. Erfolg, wie eingangs erwähnt, ist auch gar nicht so toll – wenn man ihn konsequent zu Ende denkt. Und darin war der im November 2021 verstorbene Sondheim unerreichter Meister.
Sendung: "Allegro" am 26. Mai 2025 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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