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Premiere am Landestheater Niederbayern Musical "Sweet Charity" in Landshut

Ein Animiermädchen wird serienmäßig enttäuscht und verliert trotzdem nicht ihre Zuversicht. Stefan Tilch macht aus Bob Fosses gesellschaftskritischem Sechziger-Jahre-Musical eine bittersüße Revue mit Marihuana-Duft und Esoterik-Touch. Zwar ohne Happy End, aber unterhaltsam von Anfang bis Ende.

"Sweet Charity" von Bob Fosse am Landestheater Niederbayern in Landhut | Bildquelle: Peter Litvai

Bildquelle: Peter Litvai

Kritik

"Sweet Charity" am Landestheater Niederbayern Landshut

Wer die Gesellschaft von ganz unten sieht, hat natürlich den besten Blick auf ihre Rostflecken, auf ihren schäbigen Unterboden, den klapprigen Auspuff und die Stoßdämpfer. Bemerkenswert, dass das Animiermädchen Charity trotzdem nicht den Mut verliert und tapfer durchs Leben steuert. Wer wenig erwartet, wird selten enttäuscht, wer nichts erwartet, wird nie enttäuscht. Und so gehören diesem Taxi-Girl, das im Fandango-Club gegen Geld mit Männern tanzt und turtelt, die bittersüßen Sympathien des Publikums, das von Anfang an weiß: Hier verbietet sich jedes klischeehafte Happy End, diese Frau ist viel zu stark und unerschrocken, um sich in eine Ehe auf dem Land zu flüchten. Kein Geringerer als Federico Fellini war der erste, der diesen Stoff bearbeitete, für seinen Film "Die Nächte der Cabiria", mit der unvergleichlichen Giulietta Masina in der Hauptrolle.

Lebensgefühl der 68er

Bob Fosse machte daraus ein paar Jahre später ein Musical und einen Film, Shirley MacLaine spielte damals die Charity, die Musik steuerte der Jazz-Pianist und Komponist Cy Coleman bei, der im Big-Band-Sound der sechziger Jahre schwelgte. Das alles duftet bis heute nach Marihuana und Protest, nach dem wild bewegten, durch und durch unartigen Lebensgefühl der 68er-Generation, die sich auf die Sinnsuche zwischen Esoterik und Bewusstseinserweiterung machte.

Nichts ist ehrlicher als Bargeld

Intendant und Regisseur Stefan Tilch gelang am Landestheater Niederbayern in Landshut eine Inszenierung, die sich keineswegs in einem sentimentalen Rückblick auf diese Ära verlor, sondern absolut heutig wirkte, wenngleich natürlich die Erinnerung an die Entstehungszeit des Musicals mitschwang. Beklemmend, wie die naive und ungebildete Charity ausgenutzt wird, wie sie immer wieder reinfällt auf die Biedermänner, deren Verlogenheit unerträglich wirkt. Ehrlich und offen sind eigentlich nur die Nutten, soviel Gesellschaftskritik muss sein, denn was könnte ehrlicher sein als Bargeld?

Die Upper Class auf dem Dancefloor

"Sweet Charity" von Bob Fosse am Landestheater Niederbayern in Landhut | Bildquelle: Peter Litvai Bildquelle: Peter Litvai Im Landshuter Theaterzelt müssen sich die Macher natürlich bescheiden, was den äußeren Aufwand angeht, schließlich muss die Ausstattung auch problemlos in Passau und Straubing funktionieren. Gemessen daran gingen die Bühnenbildner Charles Cusick Smith und Philip Ronald Daniels an die Grenzen des Machbaren, einschließlich Feuerwerkseinlage. Anspielungsreich die Choreografie von Sunny Prasch, die recht satirische Moves wählte: So wird in der Upper Class auf der Tanzfläche geboxt, als ob es ums schiere Überleben geht. Hätte auch eine skurrile Szene aus dem so schrägen wie legendären "Raumpatrouille Orion"-Science Fiction sein können. Sechziger-Jahre-Sause vom Feinsten!

Eine wunderschöne Show

Hauptdarstellerin Katharina Elisabeth Kram wurde damit entschuldigt, dass sie gerade einen Infekt überstanden hat. Dafür freilich tanzte und sang sie hervorragend und vor allem in jeder Hinsicht glaubwürdig. Sehr anrührend, diese Charity, wie ein Engel, der durch die Hölle steppt und sich dabei die Flügel verbrennt. Als sie wieder mal verlassen wird steht sie allein, aber nicht einsam im Park, dreht verlegen ein paar geschenkte Blümchen in der Hand und schaut ins Publikum: Seht her, das Leben geht weiter, und ich bin wild entschlossen, daran nicht zu verzweifeln. Überzeugend auch fast alle anderen Solisten: Julian Ricker als verwöhnter Filmstar, Stefan Merten als schwer ichbezogener Neurotiker, vor allem jedoch Riccarda Schönerstedt und Kirsten Schneider als Taxi-Girl-Kolleginnen. Insgesamt eine wunderbare Showproduktion für die Festtagszeit: Etwas traurig, etwas besinnlich und vor allem von oben und unten sehr unterhaltsam!

Sendung: "Piazza" am 25. November 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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