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Marco Goeckes Weg als Choreograf Skandal und Kunst

Schon häufiger in seinem Leben sei er in Teufels Küche gewesen, sagt Marco Goecke. International für Aufmerksamkeit sorgte ein Skandal: 2023 beschmierte der Choreograf eine Kritikerin in Hannover mit Hundekot. Zwar suspendierte die Staatsoper ihn, doch Goecke bekam eine neue Chance. Mitte Juni führt das Bayerische Junior Ballett München sein neues Werk "Devil's Kitchen" auf. Im Interview mit BR-KLASSIK spricht Goecke über den gesellschaftlichen Wert von Kunst, seine Art zu arbeiten und einen womöglich positiven Nebenaspekt der Hundekot-Affäre.

Der deutsche Choreograph Marco Goecke wird als neuer kuenstlerischer Leiter des Balletts am Theater Basel vorgestellt, in Basel, am Mittwoch, 22. Mai, 2024.  | Bildquelle: picture alliance/KEYSTONE | GEORGIOS KEFALAS

Bildquelle: picture alliance/KEYSTONE | GEORGIOS KEFALAS

BR-KLASSIK: "Devil's Kitchen" heißt Ihr Stück für das Bayerische Junior Ballett München. Die Küche, woran lässt Sie das denken?

Marco Goecke: Ich bin öfter in meinem Leben in Teufels Küche gewesen. Immer mal wieder. Aber jedes Stück ist eine Teufelsküche. Da wird einfach gekocht. Und jedes Mal, wenn ich wieder in so ein Stück reingehe, frage ich mich, wieso ich das tue. Das ist mir ein Geheimnis. Natürlich ist das auch mein Broterwerb. Aber jeden Morgen, wenn ich anfange zu proben, denke ich: Okay, das ist einfach kein normaler Job.

Früher mehr Party und ungesünderer Lebensstil

BR-KLASSIK: Jetzt ist die Küche auch ein Ort, wo Partys stattfinden, wo es Gespräche gibt, wo es duftet, wo irgendetwas entsteht, wo wahnsinnig sinnlich, aber kurzfristig gelebt wird.

Marco Goecke: Ich koche gar nicht. Aber in der Küche treffe ich natürlich auch die Tänzer. Und das ist interessant: Ich habe das Gefühl, dass die junge Generation viel mehr auf sich achtet als ich damals, indem sie sehr gesund kocht. In meiner Jugend, da konnte man Currywurst essen. Da gab es nicht diese Anzahl von verschiedenen Essen aus verschiedenen Kulturen. Die leben heute viel gesünder. Es gibt aber auch viel weniger Party, als man sich vorstellen kann. Im Vergleich zu mir damals in der Heinz-Bosl-Stiftung, da hat es nämlich gekracht.

BR-KLASSIK: Ich habe den Eindruck, dass sich auch der Tanz in eine etwas gesündere Richtung entwickelt hat.

Marco Goecke: Ich denke, jede Überempfindlichkeit in der heutigen Zeit, die wir natürlich auch leben und zelebrieren, hat was mit einem unglaublichen Wohlstand zu tun. Wenn man alles aus dem Essen rauspickt, was einem irgendwie vielleicht das 104-Jahre-alt-werden versaut, hat das schon auch was mit Wohlstand zu tun. Man muss immer auch einen Blick auf das haben, was in der Welt geschieht.

Mensch steht bei der Arbeit im Mittelpunkt

BR-KLASSIK: Hat das Einfluss auf Ihre Arbeit? Das neue Stück entsteht ja mit den jungen Menschen zusammen.

Marco Goecke: Ich achte immer auf den Menschen, der vor mir steht, mit dem ich arbeite. Das ist nicht so, dass ich bei einem Stück mit irgendeiner großartigen Idee um die Ecke komme. Das gibt es nicht.

BR-KLASSIK: Also kein Skizzenbuch?

Marco Goecke: Ich habe meine Notizen, was auch ein Spiegel der Zeit ist, in dem, was ich wahrnehme. Das fließt dann schon auch mit ein. Ich sage den Tänzern auch immer, um sie zu ermutigen, kraftvoll, selbstbewusst und gut zu sein: dass ich das für sie mache. Ich mache das nicht für mich. Das ist der Unterschied. Ich brauche das nicht. Ich gehe da hin, um Menschen etwas zu geben. Das ist das Schöne auch an dem Beruf. Es geht mir nicht um meine Eitelkeit oder meine großartigen Ideen. Es baut sich zusammen aus dem, dem ich begegne. Vielleicht ist das auch eine Metapher fürs Leben an sich, dass sich das Leben daraus nährt.

Ich gehe da hin, um Menschen etwas zu geben. Es geht mir nicht um meine Eitelkeit oder meine großartigen Ideen.
Marco Goecke

Tanz ist Leben für wenige Minuten

BR-KLASSIK: Was meint Zeit für Sie beim Arbeiten?

Marco Goecke: Die eine Sekunde oder die fünf Minuten im Supermarkt, die bedeuten uns ja vielleicht nichts. Wenn man aber so eine Arbeit macht, sind fünf Minuten oder auch nur eine Sekunde so reich. Die muss man fangen und füllen. Ich glaube, warum die Leute hier hinkommen, auch die jungen Leute, oder warum ich das mache, ist eine unheimlich intensive Art zu leben. Für Minuten oder Sekunden. Das reizt uns daran, weil das das Gegenteil von der Langsamkeit ist, in der wir leben müssen. Das Leben ist ja irgendwie auch langweilig: Da musst du zur Bank, zum Bäcker, zum TÜV ... Gut, das Verliebtsein ist was Spannendes. Die Liebe ist vielleicht das, was uns Menschen antreibt, um auszusteigen aus dem, was uns sonst so drangsaliert. Die Liebe, die Kunst natürlich, die Schönheit vielleicht, die Natur. Aber an sich ist das, was wir machen, Leben auf eine ganz intensive Art für einige Minuten. Das kann wie eine Droge oder wie eine Erlösung sein. Trotzdem ist das, was wir leben, in der Gesellschaft völlig uninteressant.

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Arzt und Fußballer zählen, Künstler nicht

BR-KLASSIK: Erklären Sie das bitte.

Marco Goecke: In unserer Gesellschaft zählt nur der Arzt und der Fußballer. Danach kommt eigentlich nichts mehr. Das ist schon bitter. Es ist aber so. Vielleicht noch die Anwälte. Aber im Ansehen ist das, was wir hier tun, sicherlich nicht relevant. Zum Beispiel Fußball, ich gucke gerne Fußball. Wir leben in einer Welt der Fakten. Das heißt, die Leute brauchen das Einfache. Sie müssen wissen, wenn der Ball ins Tor geht, ist das gut und zu honorieren. Eine Arbeit, wie wir sie machen, da kann keiner sagen, ob sie gut oder schlecht ist. Deswegen hat sie auch keinen Wert. Sie hat eben die Fakten entbehrt.

Skandal hat Beruf des Choreografen bekannt gemacht

BR-KLASSIK: Das klingt wahnsinnig ernüchternd.

Marco Goecke: Ich finde auch die Bezahlung von Tänzern einfach kriminell. Das ist ein Appel und Ei für das, was sie geben. Auch dafür, was sie einem sicherlich kleinen Teil – das kann man nicht mit Fußball vergleichen –, aber einem kleinen Teil der Gesellschaft zurückgeben an Versöhnung, Schönheit, emotionalem Angebot, eine andere Welt zu schauen, als der Fußball es kann. Genauso wussten auch Menschen gar nicht, dass es Choreografen gibt, bis zu meinem Skandal. Ich glaube, dass die Leute heute dadurch erst wissen, was ein Choreograf ist. Bitter genug, aber es ist so.

Ich glaube, dass die Leute heute erst durch den Skandal wissen, was ein Choreograf. Bitter genug, aber es ist so.
Marco Goecke

Die Hundekot-Attacke 2023

Als Ballettdirektor der Staatsoper Hannover hatte Marco Goecke am 11. Februar 2023 im Foyer der Oper der niedersächsischen Landeshauptstadt eine Autorin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Hundekot beschmiert. Zuvor hatte er ihr vorgeworfen, immer "schlimme, persönliche" Kritiken zu schreiben. Das Staatstheater Hannover trennte sich in der Woche nach dem Angriff von dem Choreografen. Sein Vertrag als Ballettdirektor wurde nach Angaben der Intendanz mit sofortiger Wirkung im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst. Der Fall schlug international hohe Wellen. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verurteilte den Vorfall damals als Angriff auf die freie Meinungsäußerung.

BR-KLASSIK: Aus dem Skandal in Hannover ist inzwischen sogar ein Theaterstück geworden, in Jena, "Die Hundekot-Attacke". Das hat weltweit Kreise gezogen.

Marco Goecke: Der Begriff Choreograf ist dadurch sicherlich, durch ein Unglück, durch etwas Schreckliches, bekannter geworden. Die Leute kennen mich heute und wissen auch, was ich beruflich tue. Das ist eigentlich ganz interessant. Dennoch: So ein Stück zu machen, das können sich Menschen gar nicht vorstellen. Ich habe selbst noch Probleme, meiner Mutter zu verklickern, wie das funktioniert. Dass das eben ein Schritt nach dem anderen ist, eine wirklich unglaublich mühsame Arbeit für diese paar Minuten. Was ich davon zurückkriege auf der Welt, ist gut, es scheint sich zu lohnen und das ist schön. Und dennoch: Wenn wir hier einen Schritt nach dem anderen aus uns rausleiern, glaube ich nicht, dass die Leute wissen, was das kostet.

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Leben Musikkritiker gefährlich?

BR-KLASSIK: Ist es das, was Sie inspiriert, auch weiterzumachen, das nächste Stück anzugehen, die nächste Musik zu suchen?

Marco Goecke: Ich glaube, dass ich nicht alle Tassen im Schrank habe, denn jedes Mal, wenn ich das wieder mache, sitze ich da und denke: Das kann doch nicht wahr sein.

Arbeit ist Marke

BR-KLASSIK: Das heißt, wenn Sie hier mit den Tänzerinnen und Tänzern arbeiten und sehen, zu dem einen passt etwas anderes besser, wird es geändert?

Marco Goecke: Es gibt auch welche, die mehr wollen, der eine will mehr als der andere. Ich kann nicht bei jedem Stück die Welt neu erfinden. Meine Sprache bleibt. Ich wiederhole keine Schritte. Jedes Stück hat seine eigenen Schritte. Ich benutze nichts Altes. Aber in der Struktur bin ich jetzt noch mehr zu Hause und dann muss ich diese Stücke auch in diesen Strukturen weiterarbeiten. Ich habe nicht die Kraft, für jedes Stück meine ganze Welt umzudrehen. Das muss ich auch nicht. Meine Arbeit ist auch eine Marke, die ich natürlich nicht zerstöre. Es gibt Leute, die laufen dann rum und sagen: Alle Stücke sind gleich. Aber dann haben sie die Stücke alle nicht gesehen, denke ich mir. So ein starkes Vokabular und so eine starke Sprache ist auch eine Errungenschaft, auf die ich stolz bin. Porsche macht auch nicht morgen Bollerwagen, nur um die Welt neu zu erfinden. Da bleibt man auch bei dem, was man hat, was auch gut und schön ist. Damit bin ich sehr glücklich.

Autorin des Textes: Sylvia Schreiber

Konzerte in München

BJBM im Prinzregententheater ab dem 11. Juni mit einer Choreografie von Marco Goecke.
Strawinsky in Paris, ab dem 17. Juli im Gärtnerplatztheater mit einem Ballett von Marco Goecke.

Sendung: "Leporello" am 4. Juni 2025 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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