Klein und zerbrechlich wirkt sie, die große Pianistin Maria Joao Pires. Jetzt gastiert sie mit Mozart beim BRSO. Warum der Gegensatz von Karriere und Familie für die sechsfache Mutter nicht existiert und warum sie von Brahms nur kleine Stücke spielen kann.
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BR-KLASSIK: Maria Joao Pires, welches Mozart-Bild haben Sie vor Augen, wenn Sie das Jenamy-Konzert spielen?
Maria Joao Pires: Es ist kein bestimmtes Bild. Für mich ändert sich Mozart jede Sekunde – wie das Wetter oder wie unsere Gefühle. Mozart ist ein Wesen, das ich "instabil" ansehe – aber im guten Sinn. Es ist schwer, Ihnen darauf eine Antwort zu geben, denn das sind Sachen, die man spürt und nicht schreibt oder sagt. Ich bewundere die Menschen, die das beschreiben können. Mozart ändert sich dauernd, aber in einer sehr sensiblen und auch sehr 'wahren' Art und Weise. Er verkörpert die Wahrheit des Lebens. Und das ist auch das, was uns bewegt und woanders hinbringt.
Mozart hat immer alles gespürt.
BR-KLASSIK: Mozart war sehr jung, als er das Jenamy-Konzert geschrieben hat.
Maria Joao Pires: Ich glaube, er war erst um die zwanzig. Das Jenamy-Konzert ist sehr speziell. Es steht zwischen zwei Epochen. Es gibt einen Mozart vor und nach diesem Konzert. Es hat alles drin, sogar schon die Dramatik vom Ende des Lebens. Er hat immer alles gespürt.
BR-KLASSIK: Hätten Sie Ihn gerne kennengelernt?
Maria Joao Pires: Natürlich. Aber wir können ihn und andere Komponisten auch gut kennenlernen durch die Werke, die sie geschrieben haben.
BR-KLASSIK: Was würden Sie ihn am liebsten fragen?
Wahrscheinlich wäre es am besten, ihm überhaupt keine Fragen zu stellen (lacht). Man sollte ihm nur zuschauen und zuhören – und ihn aus der Nähe fühlen. Mozarts Musik sagt am meisten über ihn aus. Und wenn man seiner Musik richtig zugehört hat, muss man nicht mehr fragen. Es ist alles da, wir müssen nur zuhören, dann öffnen sich alle Türen. Das gilt übrigens nicht nur für Mozart. Ich liebe auch Beethoven und Schubert. Und Brahms! Aber den kann ich nicht spielen – höchstens kleine Stücke!
BR-KLASSIK: Und warum nicht?
Maria Joao Pires: Meine Hände sind zu klein. Ich würde ihn wahnsinnig gerne spielen. Aber das ist halt so.
BR-KLASSIK: Sie sind Mutter von sechs Kindern. War die Frage "Kind oder Karriere" für Sie jemals ein Thema?
Maria Joao Pires: Nein. Aber das Wort ‚Karriere‘ für ein Mädchen oder eine Frau gab es damals sowieso nicht. Ich habe vor 75 Jahren mit dem Klavierspielen angefangen. Was ‚Karriere‘ bedeutet, habe ich nie gewusst. Das habe ich eigentlich erst am Ende meines Studiums verstanden – als ich nach Deutschland kam. Ich war nie ehrgeizig – meine Lehrer schon. Ich wollte ja eigentlich Medizin studieren und hatte in Lissabon schon damit angefangen. Aber dann bekam ich ein Stipendium – und alle sagten, ich müsse jetzt Musik machen. Es war während der Diktatur – und ich habe nicht einmal geglaubt, dass ich einen Pass bekommen würde. Das mit dem Stipendium habe ich bis heute nicht verstanden. Aber es war so. Und dann bin ich nach München gekommen, um bei Rosl Schmid zu studieren. Das war eine schwere, aber auch schöne Zeit – und nützlich: ich habe viel übers Leben gelernt und über den Umgang mit anderen Menschen. Und natürlich übers Klavierspielen: Rosl Schmid war zwar hart und streng, aber eine fantastische Lehrerin. Karl Engel, mein zweiter Lehrer später in Hannover, war vom Charakter her das Gegenteil. Er war pure Harmonie.
BR-KLASSIK: Warum wollten Sie vor ein paar Jahren aufhören zu spielen?
Maria Joao Pires: Eigentlich wollte ich immer aufhören zu spielen, besser gesagt, Konzerte zu geben. Im Grunde bin ich kein Mensch für die Bühne. Liedbegleitung war mein Traum, das hab‘ ich ein paar Mal gemacht. Hätte ich einen Sänger gehabt, mit dem ich was hätte aufbauen können, hätte ich sicher nicht aufgehört. Aber das ist nie passiert. Das sind die Sachen im Leben, die man nicht beeinflussen kann.
BR-KLASSIK: Aber Sie haben ja dann wieder angefangen, Konzerte zu spielen.
Maria Joao Pires: Ich habe ein paarmal in meinem Leben aufgehört. Gleich nach dem Studium. Und als meine ersten Kinder klein waren, habe ich fast fünf Jahre ausgesetzt. Und zwischendurch immer wieder – auch mal ein halbes Jahr, als ich krank war. Inzwischen denke ich mir, ich lasse die Dinge so geschehen, wie sie kommen. Und jetzt spiele ich wieder.
BR-KLASSIK: In vielen Ihrer Aufnahmen und Konzerte spielen Sie über weite Strecken mit geschlossenen Augen. Ich habe dann immer den Eindruck, nicht SIE kommen zu ihrem Publikum, sondern Sie ziehen uns hinein in die Welt Ihrer Komponisten. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?
Maria Joao Pires: Nicht wirklich. Das ist nicht meine Absicht. Denn ich möchte die Musik ja mit meinem Publikum teilen. Und manchmal sitzt das Publikum auch mit geschlossenen Augen da. Wir brauchen keine Augen, um Musik zu hören. Ich habe immer das Gefühl, das Publikum und ich haben dieselbe Aufgabe: wir müssen zuhören können. Ich auch. Ich spiele ja nicht MEINE Musik.
Ich liebe alles. Auch das, was schwierig ist. Schmerz, Freude und Glück.
BR-KLASSIk: Was lieben Sie an ihrem Leben?
Maria Joao Pires: Ich liebe alles. Auch das, was schwierig ist. Schmerz, Freude und Glück – das gehört alles zusammen. Nur wenn wir das alles zusammen akzeptieren, sind wir bereit fürs Leben.
BR-KLASSIk: Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie dann bestimmte Dinge anders machen?
Maria Joao Pires: Es würde wahrscheinlich nichts nützen. Ich kenne so viele Menschen, die sagen: Ich möchte so gern noch einmal jung sein – und: Ach, hätte ich doch das und das gemacht! Das bringt nichts. Außer, wenn man Menschen, eventuell unbewusst, verletzt hat. Aber das würde ich vielleicht auch nicht ändern, denn das ist mein Leben. Zu unserem Leben gehört, dass wir lernen. Hätte ich das nie gemacht, hätte ich auch nie gelernt, wie man das nicht macht. (lacht)
20. und 21. Juni 2024, um 20 Uhr im Münchner Herkulessaal.
Hier können Sie den Konzertmitschnitt anhören.
Sendung: "Leporello" am 21. Juni 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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