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Markus Poschner bei den Bayreuther Festspielen "Einspringen kann tödlich enden"

Musikerlebensläufe werden auch vom Zufall geschrieben. Das Einspringen ist dabei Mythos und Karrieretreiber. Bayreuth-Dirigent Markus Poschner erzählt von entscheidenden Anrufen am Strand, kurzen Proben und seiner Liebe zum Jazz.

Markus Poschner | Bildquelle: © Foto Kerschi

Bildquelle: © Foto Kerschi

BR-KLASSIK: Markus Poschner, Sie haben am Montag die Eröffnung in Bayreuth mit dem Festspiel Open-Air-Konzert am Fuße des Festspielhügels dirigiert. Wie war es?

Markus Poschner: Es war berauschend und beeindruckend, und wir waren alle unglaublich glücklich, weil wir entgegen aller Wetter-Apps tatsächlich keinen Regen hatten. Und es waren wahnsinnig viele Leute da mit Picknickdecken und Stühlchen, mit Imbisskörbchen und Weinflaschen und Bier. Es war eine unglaubliche Stimmung.

BR-KLASSIK: Diese Open-Air ist ja eine Art Vorglühen vor der eigentlichen Eröffnung..

Markus Poschner: Ja, vorglühen, das haben wir wirklich gemacht, in jeder Beziehung.

Zwischen Jazz und Wagner

BR-KLASSIK: 2022 waren Sie als Einspringer auf dem Grünen Hügel, haben dann den Tristan als Eröffnungspremiere geleitet. Doch Sie spielen selbst auch gerne Jazz am Klavier, so wie Keith Jarrett. Ist er Ihr großes Vorbild?

Markus Poschner: Ich bin immer sehr vorsichtig. Vorbild? Man tut gut daran, sich an möglichst vielen zu orientieren. Wir können von allen lernen. Aber Keith Jarrett ist schon jemand, der mich sehr geprägt hat. Seine Art zu hören, seine Freiheit zu harmonisieren, und natürlich all die pianistischen Fähigkeiten, die er hat.

BR-KLASSIK: Ich habe erwartet, dass Sie sagen: ja, er war sehr wichtig, hat mich inspiriert, mit seiner Art zu spielen. Wieso haben Sie gesagt, mit seiner Art zu hören?

In der Kunst geht es immer darum, im rechten Moment loslassen zu können.
Markus Poschner

Markus Poschner: Weil den Moment zu ergreifen, also wirklich ganz bei sich zu sein, wenn man improvisiert, ist der einzige Schlüssel zum Erfolg. Man braucht einen Sensus für den absoluten Moment. Und dazu braucht man diese Freiheit, einerseits zu spielen und andererseits neben sich zu treten und sich selbst zuzuhören. Es ist ein Hören nach innen, im rechten Moment. Es fließen zu lassen, es gehen zu lassen. Keith Jarrett hat ein sehr, sehr breites Spektrum, einen sehr breiten Horizont und kann trotzdem im richtigen Moment hinter seinem eigenen Spiel zurückzutreten. Aber in der Kunst geht es immer darum, im rechten Moment loslassen zu können.

BR-KLASSIK: Wann hatten Sie den Wunsch Dirigent zu werden?

Markus Poschner: An dieser Stelle würde ich mir wünschen, ich könnte so eine Geschichte erzählen, wie viele Kollegen: ‚Im Alter von sechs Jahren traf ich einen folgenschweren Entschluss, ich möchte Dirigent werden.‘ Bei mir war es tatsächlich nicht so. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich aus einer Musikerfamilie komme. Mein Vater war Dirigent, meine Mutter ist auch Musikerin. Musik war bei uns immer zuhause, und auch das Dirigieren hat vor meinen Augen ganz real immer stattgefunden. Ich war bei fast allen Proben meines Vaters dabei, habe auch im Orchester gespielt, im Chor gesungen und so weiter. Der Entschluss, dass ich das jetzt professionell machen will, der kam erst spät. Aber ich werde nie vergessen, als ich zum ersten Mal den Taktstock gehoben habe in Bad Reichenhall. Es war lustigerweise auch noch eine Bruckner-Ouvertüre, das allererste Werk, das ich dirigiert habe, was das für ein Gefühl war, wenn plötzlich dieser Klang entsteht und diese Energie und diese Kraft. Und das löst wirklich so viel Emotionen in einem aus, dass man bereit ist, alles, was man kann, zu investieren und diesen Weg versucht zu forcieren, natürlich weiterzugehen.

BR-KLASSIK: Dirigieren ist vor allem Kommunikation...

Markus Poschner: Es ist vielleicht sogar die herausfordernste Art und Weise, sich selbst kennenzulernen und zu sehen, wie kommuniziert man, wie vermittelt man sich am effektivsten? Man sieht sich ja selbst nicht. Man hat meistens auch kein Orchester zu Hause im Keller sitzen, mit dem man üben könnte, sondern es muss an Ort und Stelle funktionieren. Und das ist, glaube ich, doch ein sehr, sehr langer Prozess.

Von Kreta nach Bayreuth in weniger als einem Tag

BR-KLASSIK: Die meisten Menschen haben ja irgendeinen Spiegel, im Privaten ist es oft der Ehemann, die Ehefrau oder die Kinder. Warum gibt es das so nicht zwischen Dirigenten, Dirigentinnen und den Orchestern? Es wäre doch an sich auch möglich, dass es so eine Art Feedback-Kultur vom Orchester zum Dirigenten gibt?

Markus Poschner: Ich war Stipendiat beim Dirigentenforum des Deutschen Musikrates, und da gab es das, und davon habe ich sehr profitiert. Da hat man sich dann mit dem Orchester zusammengesetzt. Es war wunderbar.

BR-KLASSIK: Manchmal kommt aber auch der Zufall zum Tragen. Letztes Jahr ist es im Sommer passiert. Da kam der Anruf, ob Sie einspringen wollen in Bayreuth. Wo waren Sie, als das Telefon geklingelt hat und diese Frage aller Fragen gestellt wurde?

Ich war mit dem Werk also bestens vertraut, was die absolute Voraussetzung ist, sonst kann das Einspringen auch sehr tödlich enden.
Markus Poschner

Markus Poschner: Am Strand in Kreta, in der Badehose, knietief im Meer.

BR-KLASSIK: Und da haben Sie das Handy in der Tasche?

Markus Poschner: Meine Frau hatte das, und dann hat sie heftig mit den Armen gewunken. Und dann ging das Nachdenken los. Dass ich das will, habe ich relativ schnell geklärt. Ich wusste, es handelt sich um "Tristan und Isolde". Ein Werk, was ich wirklich in und auswendig kenne und schon oft gemacht habe.

Ich war mit dem Werk also bestens vertraut, was die absolute Voraussetzung ist, sonst kann das Einspringen auch sehr tödlich enden. Doch dann muss man es auch organisatorisch schaffen. Ich hätte aber am nächsten Morgen am Flughafen sein müssen. Wir waren auf einem sehr entlegenen Teil dieser Insel. Dann haben wir uns dann mit Taxi da durchgeschlagen…

Aber dann stürzt man sich in dieses Werk hinein, und es dauert ein paar Sekunden, und man verschwindet in dieser Musik.
Markus Poschner

BR-KLASSIK: Die Partitur hatten Sie da aber noch nicht dabei?

Markus Poschner: Stimmt, das war der andere Punkt. Wie komme ich an meine Partitur? Also, es waren viele Fragen und Dinge zu klären, aber es hat tatsächlich dann alles reibungslos geklappt. 18 Stunden nach diesem Anruf saß ich in Bayreuth.

BR-KLASSIK: Die Bedingungen waren schon ein bisschen knackig, also Hauptprobe, Generalprobe, dann Aufführungen, wenig Zeit für gemeinsame Probenarbeit. Haben Sie keine Angst gehabt vor einem Scheitern?

Markus Poschner: Nein, das ist eigenartigerweise das allerletzte, an was man da denkt. Man hat in dem Moment nur noch dieses Stück im Ohr und im Kopf ist natürlich sehr aufgeregt. Was erwartet einen in Bayreuth? Vor allem in diesem Mythos-Orchestergraben, wo es so viele Dinge zu bedenken gibt und auch so vieles anders läuft als in herkömmlichen, normalen Operngräben. Aber dann stürzt man sich in dieses Werk hinein, und es dauert ein paar Sekunden, und man verschwindet in dieser Musik.

Teuer erkauft: Die Zeit für den Jazz

BR-KLASSIK: Markus Poschner, Dirigent bei den Bayreuther Festspielen im Moment, aber auch Jazzpianist. Neben all Ihren Dirigaten, haben Sie noch viel Raum für den Jazz?

Markus Poschner: Leider nein, viel zu wenig. Wobei, ich muss gestehen, in den letzten Jahren habe ich mir den Raum genommen, oder besser, teuer erkauft. Das ist wie eine Zeitreise. Denn ich muss viel Zeit investieren, um zu üben. Ich bin also wieder in Form zu kommen, um auch zu schreiben, um zu arrangieren, um Projekte entstehen zu lassen.

Wie bringe ich ein Orchester dazu, Jazz zu spielen?
Markus Poschner

BR-KLASSIK: Was für ein Projekt schwebt Ihnen als nächstes vor?

Markus Poschner: Ich finde es immer sehr spannend, Dinge zu entwickeln, die es so noch nicht gab. Und da fasziniert mich gerade auch mit meinem anderen wichtigsten Lebensbereich, also gerade im Orchester, irgendwie gemeinsame Sache zu machen. Und das ist ja manchmal so ein No-Go-Feld: Wie bringe ich ein Orchester dazu, Jazz zu spielen? Allein das löst schon Schnappatmung aus, manchmal bei den Dirigenten, aber auch bei den Orchestermusikern.

Sendung: "Meine Musik" am 29. Juli 2023 ab 11:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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Samstag, 05.August, 17:50 Uhr

Michael Teufelberger

Markus Poschner

Wir sind glücklich in linz, Österreich wie er das Bruckner Orchester zu einem erstklassigen Klangkörper gemacht hat
Das Bruckner Jahr 2024 hat ein großartiges Programm
Hoffentlich bringt da auch Br Klassik einige Konzerte

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