Die Neuproduktion von Mozarts "Don Giovanni" am Münchner Nationaltheater wirft Fragen auf: Warum wird ausgerechnet dieser allgegenwärtige Evergreen als Festspielpremiere geboten? BR-KLASSIK-Redakteur Volkmar Fischer sucht nach Antworten in der Geschichte der Opernfestspiele.
Bildquelle: Wilfried Hösl
Der Pausensekt ist ein Ritual – nicht nur, aber auch für ein Opernpublikum. Auf die noble Variante Champagner auszuweichen, liegt hingegen besonders bei "Don Giovanni" nahe, denn nur in dieser Oper gibt es eine sogenannte "Champagner-Arie". Der Kosename der Gesangsnummer geht auf ein Gemälde von Max Slevogt aus dem Jahr 1900 zurück, auf dem Don Giovanni in elegantem, weißem Outfit mit Champagnerglas in der Hand selbstbewusst den Gastgeber eines offenbar festlichen Empfangs mimt. Wer das Libretto Lorenzo da Pontes an dieser Stelle unter die Lupe nimmt, sieht in diesen Versen "Fin ch’han dal vino – Damit ihnen vom Wein der Kopf heiß wird" die Charakterzüge und Lebensphilosophie des Frauenhelden wie in einem Brennglas vor sich. Da sprengt dreiste Überheblichkeit gesellschaftliche Normen. Mozarts Titelheld lädt nicht nur zum Fest, sondern zu animalisch eskalierendem Tanzvergnügen. Erklärtermaßen frauenverachtend soll die "Trophäensammlung" Don Giovannis Zuwachs bekommen.
Der Komponist lässt diese klingende Visitenkarte eines zügellosen Mannes in rastlosem, rasendem Tempo vorbeijagen. Überbordende Vitalität droht in Hektik auszuarten. Der Interpret der Arie kann Don Giovanni hier zwar nicht als Sympathieträger etablieren, wohl aber mit stimmlicher Flexibilität und souveräner Atemtechnik den Jubel der Opernfans auslösen. Und große Vorfreude auf das angekündigte Fest, das mit der Arie angekündigt wird. Dort trifft das gesamte Personal aufeinander, und weil es aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stammt, spielen drei Bühnenorchester gleichzeitig, was die Beteiligten jeweils zu tanzen gelernt haben. In drei verschiedenen Metren: Dreiviertel-, Zweiviertel- und Dreiachtelakt. Als würde die Musik verrücktspielen.
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Durch den plötzlich akuten "Vorfall" zwischen dem Adeligen und einer Bäuerin (Don Giovanni und Zerlina) spitzt sich das Durcheinander zu: Droht hier das Chaos? Oder gar ein gesellschaftlicher "Zerfall"? So ähnlich wie in der Realität des Jahres 2025? Könnte dies einer der Gründe sein, der die Entscheidung der Bayerischen Staatsoper beflügelt hat, gerade jetzt "Don Giovanni" neu inszenieren zu lassen? Das Publikum der Prager Uraufführung 1787 dürfte jedenfalls zumindest auf das Finale des ersten Aktes verstört reagiert haben. Und die Französische Revolution sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Nach vielen politischen Turbulenzen kam es über achtzig Jahre später zur Geburtsstunde der Münchner Opernfestspiele 1875: mit Bühnenwerken von Mozart und Wagner im Hof- und Nationaltheater der Isarmetropole. Noch ein Jahr vor den ersten Bayreuther Festspielen feierten die Menschen erstmals in Deutschland einen durch das Musiktheater geprägten "Festlichen Sommer". Mit der Bezeichnung war man später nicht mehr zufrieden: Aus dem "Festlichen Sommer" wurden "Festaufführungen" (1901), "Sommerfestspiele" (1905), "Richard Wagner- und Mozart-Festspiele" (1907). Diese beiden Komponisten aber blieben vorerst unter sich. Innerhalb weniger Tage konnte das Schaffen Wagners mit dem Mozarts verglichen werden – und umgekehrt. Kompakt gebündelt, kamen mustergültige oder so eingeschätzte Inszenierungen ihrer Opern aus der zurückliegenden Spielzeit zusammen. Und wenn es dann doch mal eine Neuproduktion während der heißen Sommerwochen gab, wanderte sie ins Repertoire der nächsten Saison.
Die Aufführungsorte und Spielstätten änderten sich: Wagner-Abende wurden von 1901 an im damals neuen Prinzregententheater zur Diskussion gestellt. Mozart-Abende hingegen fanden weiterhin im Nationaltheater - oder im Cuvilliéstheater statt. Also dort, wo 1781 "Idomeneo" aus der Taufe gehoben worden war, Mozarts stärkste opera seria. 1904 kamen die drei opere buffe der Lorenza-da-Ponte-Trilogie gemeinsam mit den beiden wichtigsten deutschsprachigen Bühnenwerken Mozarts ins Festspielprogramm: "Die Zauberflöte – Don Giovanni – Figaros Hochzeit – Così fan tutte – Die Entführung aus dem Serail". Bald danach wurde auch die damals selten aufgeführte letzte opera seria des Komponisten gezeigt: "Titus / La clemenza di Tito", sogar das relativ kleinformatige Singspiel "Bastien und Bastienne".
Erst 1913 gab es im Rahmen der Festspiele eine Oper, die weder von Mozart noch Wagner stammte: "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss, damals ein Stück des zeitgenössischen Musiktheaters. Und bezeichnenderweise ein durch Mozart ähnlich stark wie durch Wagner beeinflusstes Werk. Für die Bayerische Staatsoper und ihre Festspiele prägte sich danach so etwas wie eine Dreifaltigkeit heraus: das Triumvirat der Hausgötter Mozart-Wagner-Strauss. Nachdem es zunächst vier oder fünf, im Höchstfall elf Opern waren, die innerhalb eines Sommers aufgeführt wurden, setzte Viktor Schwanneke während seiner Intendanz nach Ende des Ersten Weltkriegs besonders ehrgeizige Pläne für die Festspiele um: Nicht weniger als 18 Opern kamen bei ihm zusammen, und dabei wurden abseits von Wagner, Mozart und Strauss auch andere Komponisten aufgeführt: Pfitzner, Beethoven, Weber, Marschner, Schreker. Und nicht etwa nur Musik-, sondern auch Sprechtheater! Darunter Grabbe, Schiller, Kleist, Wedekind und sogar Hofmannsthals "Jedermann", kurz bevor er den Weg zu den benachbarten Salzburger Festspielen fand.
So vielfältig das Programm 1919 zunächst auch wirkte – die Konzentration galt weiterhin dem deutschsprachigen Repertoire. Mozart wurde selbstverständlich als Deutscher gesehen, "Figaros Hochzeit" zum Beispiel bis weit in die 1950er Jahre keineswegs im italienischen Original aufgeführt. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gab es dann aber auch öfter wieder Ausgaben der Münchner Opernfestspiele, die sich - wie früher - auf Mozart und Wagner beschränkten. Sogar der definitiv ersten Münchner Uraufführung einer Mozart-Oper widmete man sich: 1935 wurde die opera buffa "Die Gärtnerin aus Liebe / La finta giardiniera" festspielwürdig. Inhaltlich eine Keimzelle des reifen letzten Gattungsbeitrags, "Così fan tutte", war die "Gärtnerin" in einem der ältesten deutschen Opernhäuser überhaupt, dem Münchner Salvatortheater, 1776 erstmals erklungen.
Nachdem das Nationaltheater aus Schutt und Asche 1963 wiedererstanden war, verlagerte sich der programmatische Akzent der Opernfestspiele mehr und mehr auf den jüngsten der Hausgötter - Strauss. Mehr und mehr reicherte man die sommerlichen Wochen auch durch Uraufführungen an, zum Ausgleich für Publikums-und-Touristen-Favoriten des etablierten deutschen wie auch italienischen Repertoires. Was Mozart betrifft, verdienen zwei musikalisch-sängerisch herausragende Münchner Festspiel-Neuproduktionen "für die Ewigkeit" hervorgehoben zu werden: 1964 kam eine neue "Zauberflöte" mit dem legendären Tenor Fritz Wunderlich als Tamino heraus. Und neun Jahre später - 1973 - gab es einen neuen "Don Giovanni" mit dem diabolischen Bassbariton Ruggero Raimondi in der Titelrolle. Sternstunden wie diese stellen zweifellos einen Ansporn dar – für die aktuellen Interpretinnen und Interpreten, die dem steinernen Jubilar zum 150.Geburtstag gratulieren kommen.
BR-KLASSIK überträgt "Don Giovanni" live aus der Bayerischen Staatsoper am 27.Juni 2025 ab 19 Uhr live im Radio.
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